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Kliniken sind Infektionsherde.

© dpa

Sepsis in deutschen Kliniken: Angeblich 30.000 Tote durch Klinikinfektionen

Experten schlagen Alarm. Die Zahl der tödlichen Klinikinfektionen ist mit geschätzt 30.000 in Deutschland höher als bisher gedacht.

In Deutschland sterben weit mehr Menschen an Klinikinfektionen als offiziell angegeben. Das behaupten Experten der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH), die sich am Freitag zu einem Fachkongress in Berlin trafen. Sie bezifferten die Zahl der entsprechenden Erkrankungen auf 900 000 und die der Todesfälle auf „mindestens 30 000“ pro Jahr. Bisherige Schätzungen gingen von 10 000 bis 15 000 Todesopfern aus. Allerdings würden in Deutschland Wundinfektionen, die erst nach der Klinikentlassung auftreten – und dies sei in bis zu 60 Prozent aller derartigen Komplikationen der Fall – nicht miterfasst.

Hygiene ist der Schlüssel zur Lösung des Problems

Man wolle nichts skandalisieren, sagte DKGH-Präsident Martin Exner – und erinnerte auch daran, dass in deutschen Kliniken pro Jahr fast 19 Millionen Patienten behandelt werden. Aber bei den Klinikinfektionen handle es sich um ein Riesenproblem, dem man weit intensiver begegnen müsse als bisher. So müsse Hygiene in der Arztausbildung eine sehr viel größere Rolle spielen. Die Länder müssten mehr Geld investieren, etwa für Einzelzimmer und Isolierräume. Es brauche mehr Pflegekräfte, insbesondere auf Intensivstationen, denn überfordertes Personal vergesse schon mal das Händedesinfizieren. Und angesichts zunehmender Resistenzen sei es auch dringend nötig, neue Antibiotika zu entwickeln. Wenn sich das für die Pharmaindustrie nicht lohne, müsse der Staat entsprechende Forschungsvorhaben unterstützen.

Es mache „keinen Sinn, die Dinge schönzureden“, meinte auch der Essener Klinikhygieniker und DKGH-Vizepräsident Walter Popp. Dank der massiven Anstrengung aller Beteiligten sei es in Deutschland gelungen, die Zahl der Verkehrstoten von 20 000 auf nicht einmal 4000 zu senken. Ein vergleichbarer Kraftakt sei auch im Kampf gegen Klinikinfektionen nötig.

So habe eine Umfrage unter Verbandsmitgliedern massive Defizite bei der Krankenhausreinigung ergeben. 59 Prozent gaben an, dass sich die Reinigungsqualität in ihren Häusern verschlechtert habe. Sonntags werde in 52 Prozent der Kliniken überhaupt nicht mehr und in 90 Prozent zumindest nicht regulär geputzt. In jedem siebten Haus falle die Reinigung aus Kostengründen auch mittwochs oder samstags aus. Eigenes Reinigungspersonal werde nur noch von jeder fünften Klinik vorgehalten. Die Hälfte bediene sich ausgelagerter Servicegesellschaften, 30 Prozent externer Kräfte, die ständig wechselten. Und Rufbereitschaften gebe es so gut wie gar nicht mehr. Wenn sich ein Patient beispielsweise nachts übergebe, dauere es in fast jedem zweiten Fall länger als sechs Stunden, bis das Malheur beseitigt sei.

Deutsche Krankenhausgesellschaft weist die Schätzungen zurück

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft wies die Zahlenangaben der Hygieniker zurück. Es sei „unverantwortlich gegenüber den Patienten und wenig hilfreich für die Krankenhäuser, nicht gesicherte Annahmen über Todesfallzahlen in die Welt zu setzen“, sagte Hauptgeschäftsführer Georg Baum. Wie viele der potenziell vermeidbaren Infektionen tatsächlich zum Tode führten, wisse niemand. Und zwei Drittel aller Infektionen seien unvermeidbar. Das zentrale Problem seien Antibiotika-Resistenzen. Diese könne man nicht den Kliniken anlasten. Und alleine könnten die das Problem ohnehin nicht lösen. Die Länder müssten eben mehr Geld lockermachen. „Wir fordern ein gezieltes Investitionsförderprogramm zur Infektionsprophylaxe.“

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