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Anja Rubik bei der Vorstellung ihres Buches in Breslau.

© imago/Eastnews

Sexualerziehung: Ein Topmodel will Polen aufklären

In der Modewelt ist sie ein Star. Jetzt veröffentlicht die Polin Anja Rubik ein Buch über Sexualerziehung. Sie fordert ein Umdenken in dem erzkatholischen Land.

„Ein Frauenarzt ist kein Zahnarzt, du musst nicht regelmäßig hingehen.“ - „Das beste Mittel für die Verhütung ist dein Kalender.“ - „Wenn du einen Minirock anziehst, ist es deine Schuld, wenn du belästigt wirst.“ Sätze wie diese lesen polnische Schüler in ihren Schulbüchern, wenn Sexualerziehung auf dem Lehrplan steht. Dabei ist Sexualerziehung eigentlich der falsche Begriff. Das Fach heißt stattdessen „Vorbereitung auf das Familienleben“. Oft unterrichten Priester oder Nonnen. Nun bekommen sie Konkurrenz: Das Topmodel Anja Rubik will mit ihrem neuen Buch die Aufklärung in Polen revolutionieren. Ihr Ziel ist, Sex als Thema in der streng katholischen Gesellschaft zu enttabuisieren.

Dabei soll Rubik ihre Prominenz helfen. Sie zählt zu den bekanntesten Models der Welt und stand schon für Yves Saint-Laurent, Chanel und Victoria's Secret auf dem Laufsteg. Die 33-Jährige war außerdem Gastjurorin der polnischen Version von „Germany's Next Topmodel“, auf Instagram folgen ihr mehr als eine Million Menschen.

Rubik setzt sich schon länger für Frauenrechte ein

Wenn sie nicht vor der Kamera steht, setzt sich Rubik für Frauenrechte ein. Als die rechtskonservative Regierungspartei PiS im Jahr 2016 verkündet, das ohnehin schon sehr restriktive Abtreibungsgesetz noch weiter zu verschärfen, demonstriert Rubik mit tausenden Polinnen dagegen und hält Reden bei den Protesten. Nebenbei liest sie wissenschaftliche Studien zum Thema Abtreibung und vergleicht Polen mit anderen europäischen Ländern. Sie findet heraus, dass in Ländern, in denen Abtreibung legal ist, die Sexualerziehung viel gründlicher ist. Dort gebe es auch geringere Abtreibungszahlen.

Rubik spricht 2017 auf einer Demonstration für Frauenrechte in Warschau.
Rubik spricht 2017 auf einer Demonstration für Frauenrechte in Warschau.

© Privat/Anja Rubik

Rubik versucht, sich an ihre eigene Aufklärung zu erinnern. Nur: Es gab keine. „Ich selbst hatte nie Sexualunterricht in der Schule und obwohl meine Eltern Ärzte und sehr offen und tolerant sind, haben wir zu Hause nie über Sex gesprochen“, erzählt Rubik. „Das Problem in Polen ist, dass die Eltern auch keine Sexualerziehung hatten und nicht wissen, wie sie eine solche Konversation mit ihren Kindern beginnen sollen. Und um ehrlich zu sein: Sie haben wahrscheinlich auch keine Ahnung.“ Rubik untersucht, ob sich mittlerweile etwas geändert hat, liest in Schulbüchern, spricht mit Psychologen und Lehrern. Doch alles sei noch wie früher. „Ich war geschockt!“, sagt sie. So werde zum Beispiel Homosexualität noch immer als Krankheit dargestellt.

"Ich wollte Sex in der Gesellschaft thematisieren."

Dass die Informationen aus den polnischen Schulbüchern problematisch sind, bestätigt auch eine Studie der Wissenschaftlerin Maria Wozniak, die an der Universität Warschau zum Thema Sexualerziehung promoviert hat. Die Schulbücher, die das polnische Bildungsministerium den Lehrern empfiehlt, sind wissenschaftlich nicht auf dem aktuellen Stand, schreibt Wozniak. Außerdem würden vor allem natürliche Verhütungsmethoden vorgestellt. Gesundheitsvorsorge sei nur ein marginalisiertes Randthema.

Rubik beschließt, etwas zu tun. Ihr hören die Menschen in Polen zu, vor allem junge Frauen. Ende 2017 startet sie eine kleine Kampagne und veröffentlicht Videos, in denen Freunde von ihr eine Minute lang über Sex reden. „So wollte ich Sex überhaupt einmal in der Gesellschaft thematisieren“, sagt sie. Die Videos werden ein Erfolg und erreichen mehr als zehn Millionen Klicks.

Viele Jugendliche melden sich bei Rubik: „Ich bekam Briefe von Menschen aus allen Altersstufen, vor allem von Teenagern, die mir sagten, wie diese Kampagne ihr Leben beeinflusst hat, dass sie mit ihren Eltern vor dem Bildschirm saßen, die Videos geguckt haben und nun über Sex sprechen können.“ Angetrieben von den positiven Rückmeldungen und dem Ärger über die Bildungspolitik der Regierung macht das Model weiter. Sie will eine Alternative zu den polnischen Schulbüchern. Ihre Idee: Ein eigenes Aufklärungsbuch.

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Attacken aus dem katholischen Teil der Gesellschaft

Zusammen mit einer Psychologin reist sie durch Polen und führt Interviews mit verschiedenen Experten, Virologen, Sexualwissenschaftlern und Gynäkologen. Rubik überarbeitet die Texte in Zusammenarbeit mit Jugendlichen. „Mir war wichtig, dass es in einer einfachen Sprache geschrieben und interessant für Teenager ist“, erklärt Rubik. Dabei richte sich ihr Buch „#sexedpl“ gar nicht nur an Jugendliche: „Es ist ein Buch für jeden. Die Leute denken, sie wissen über Sex Bescheid, nur weil sie Sex haben. Das ist aber nicht wahr. Allein während der acht Monate, in denen ich das Buch gemacht habe, habe ich so viel gelernt, über mich, über Sexualität und über andere Menschen.“

Ihr Modelberuf hat mit ihrem Engagement nichts zu tun, sagt Rubik, „denn Sexualerziehung geht alle etwas an, egal ob du ein Model, eine Anwältin oder eine Journalistin bist“. Doch das Buch gefällt erwartungsgemäß nicht allen: Vor allem vom sehr katholischen Teil der Gesellschaft wird sie attackiert, berichtet Rubik. „Sie haben das Buch noch nicht mal gesehen und sagen, ich würde Kinder sexualisieren. Das ist absurd.“

Sie fand einen Verlag, der das Buch für umgerechnet fünf Euro als Non-Profit-Projekt herausgibt. Es soll für Jugendliche bezahlbar sein. Ihre Suche nach Sponsoren für die Videokampagne und das Buch verlief aber erfolglos. „Sexualerziehung ist in Polen ein sehr politisches Thema. Jeder hat Angst, sich zu äußern“, sagt Rubik.

Deshalb plant sie schon die nächsten Schritte. Im Dezember will Rubik einen Song veröffentlichen und für das nächste Jahr plant sie, mit einem Bus durch Polen zu fahren und Workshops für Jugendliche anzubieten. Sie träumt davon, eine große Bewegung zu starten: „Ich will, dass Sex kein Tabu mehr ist. Und wenn ich mir etwas vornehme, dann ziehe ich das auch durch.“

Das Buch „#sexedpl“ ist auf Polnisch unter www.sexed.pl erhältlich, eine englische Fassung geplant.

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