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Die Vermieterin des Feriencamps stellt sich einem niederländischen Kamerateam.

© dpa

Sexuelle Übergriffe: Kinder vergewaltigen Kinder

40 Kinder und Jugendliche aus Osnabrück sollen in einem Feriencamp unbeschwerten Urlaub genießen. Für einige wird die Reise zu einem Albtraum.

Sie kamen in der Nacht aus dem oberen Stockwerk, fünf bis acht Jugendliche, und sie waren vermutlich größer und stärker. Ihre Opfer, 13 und 14 Jahre alten Jungen, wurden von ihren 13- bis 16-jährigen Peinigern aus den Etagenbetten gezerrt und in die Mitte des großen Raumes gezwungen. Dort rissen die Täter den Kindern die Unterhosen vom Leib und führten ihnen Gegenstände wie Colaflaschen aus Plastik ein. Szenen aus dem Schlafsaal einer Ferienfreizeit auf der niederländischen Insel Ameland, wie sie von der Staatsanwaltschaft in Osnabrück am Mittwoch geschildert werden. Weitere Missbrauchsversuche seien nur daran gescheitert, dass sich die Opfer „verzweifelt an ihren Betten festgekrallt haben, über Feuerleitern geflüchtet sind oder erheblichen Widerstand geleistet haben“. So zitierte gestern die „Neue Osnabrücker Zeitung“ einen Polizeibeamten.

Es ist eine sommerliches Idyll, die niederländische Insel Ameland. Hier sollten Kinder und Jugendliche aus Osnabrück in einem Feriencamp unbeschwerten Urlaub genießen. Für einige wurde die Reise zu einem Albtraum.

Bisher ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen eine noch offene Zahl von möglichen Tätern. „Es sind wahrscheinlich acht“, sagt Oberstaatsanwalt Alexander Retemeyer am Mittwoch. Sie sollen, so formuliert es der Staatsanwalt, sich „planmäßig vorgenommen haben, andere Kinder zu misshandeln“. Zum Kreis der Täter zählen auch zwei 13-Jährige, die zuvor selber Opfer geworden waren.

Vieles von dem, was zwischen dem 25. Juni und dem 8. Juli in dem alten umgebauten Bauernhaus auf der Nordseeinsel geschah, ist noch unklar. 25 der 170 Teilnehmer an der Ferienfreizeit hat eine Sonderkommission bisher vernommen; darunter einige der bisher bekannten Opfer, Zeugen und auch drei der mutmaßlichen Täter. „Alle drei haben die Taten eingeräumt“, sagt Georg Linke, Sprecher der Osnabrücker Polizei.

Tausende Kinder werden vom Landessportbund und seiner Unterorganisationen in jedem Sommer in hunderte von Ferienlagern geschickt. 48 Kreis- und Stadtsportbünde gibt es in Niedersachsen, und alle bieten solche Freizeiten an. „Noch nie“ sei etwas vergleichbares passiert, beteuert der Direktor des Landessportbundes, Reinhard Rawe. Jedenfalls nicht in den 28 Jahren, in denen er an der Spitze des gemeinnützigen Verbandes steht.

„Es ist erschütternd“, sagt der Vorsitzende des Stadtsportbundes Osnabrück, Wolfgang Wellmann, ein ehemaliger Polizist. Er hatte einen Tag nach der Heimkehr der Kinder einen Anruf einer Mutter erhalten. „Mir ist der Hörer aus der Hand gefallen“, sagt Wellmann. Der Mutter sei aufgefallen, dass ihr Kind, 13 Jahre alt, wesensverändert aus der Freizeit zurückgekehrt sei. Als sie den Jungen zur Rede stellte, berichtete der von den Misshandlungen.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt nach Angaben ihres Sprechers gegen die Jungen wegen schweren sexuellen Missbrauchs. „Wegen des Einführens kommt auch Vergewaltigung in Betracht.“ Dafür müsste das Motiv der Peiniger „einen sexuellen Hintergrund“ gehabt haben, wie Polizeisprecher Linke sagt. Die Ermittler schwanken noch. „Wenn es ausschließlich um die Erniedrigung der Opfer ging, bliebe als Tatvorwurf gefährliche Körperverletzung.

Erwachsene waren an den Misshandlungen nicht beteiligt. Die Ermittler schließen aber nicht aus, dass sich Betreuer der unterlassenen Hilfeleistung schuldig gemacht haben. Es gebe Aussagen, wonach sich Kinder noch vor Ort hilfesuchend an das Personal gewandt hätten, doch das sei nicht gegen die Täter vorgegangen.

In dem Dorf waren viele Menschen von den Nachrichten überrascht und entsetzt: „Das ist Negativ-Werbung für uns, wir sagen dazu nichts“, sagte eine Nachbarin des Ferien-Bauernhofes gegenüber dpa. Die Vermieterin, die den alten Bauernhof zum Feriencamp umgebaut hatte, sagte: „Wir haben von den Vorfällen nichts mitbekommen. In 40 Jahren ist so etwas noch nie passiert.“ In dem Camp ist inzwischen eine Gruppe aus Nordrhein-Westfalen untergebracht, die von den Vorfällen am Mittwoch noch nichts mitbekommen hatte.

Für die Kinder in dem Camp gibt es während des Urlaubs zahlreiche Aktivitäten wie Kutschfahrten, Strandwanderungen oder Strandspiele. Sie können auch das Deutsche Sportabzeichen machen.

Der Osnabrücker Oberbürgermeister Boris Pistorius (SPD) reagierte entsetzt auf die Vorgänge: „Ich hoffe, dass die Ermittlungsbehörden die Geschehnisse lückenlos aufklären können“, sagte er.

Karl Doeleke

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