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Glückliche Mutter.

© picture alliance / dpa

"Social Freezing": Der Mann, der hilft, das Leben aufzuschieben

Der Reproduktionsmediziner Jörg Puchta hat schon mehr als 10 000 weibliche Eizellen eingefroren. Er hält die Methode für den letzten Schritt zur vollen Emanzipation der Frauen. Ein Besuch in seiner Praxis.

In einem kleinen, hochgesicherten Raum lagert das potenzielle Leben. Innerhalb von Sekundenbruchteilen werden die Eizellen nach der Entnahme auf Weltraumtemperatur heruntergekühlt. „Da sind die Lebensvorgänge quasi gestoppt“, sagt Dr. Jörg Puchta. Mehr als 10 000 solcher weiblichen Zellen hat der Arzt schon eingefroren, sie liegen in kleinen Tanks, und es wird genau kontrolliert, wer in seiner Münchner Praxis Zugang zu dem Zimmer hat. Jahre später, wenn es die Frau denn so will, werden sie befruchtet mit dem Samen eines Mannes und in die Gebärmutter eingesetzt. „Social Freezing“ nennt sich diese Methode. Und der Reproduktionsmediziner Puchta ist in Deutschland der Arzt, der sie am häufigsten anwendet und am entschiedensten verteidigt.

Puchta erinnert die Debatte an die ersten In-Vitro-Fertilisationen

„Social Freezing“ sorgt für heftige Debatten, seit die Unternehmen Apple und Facebook verkündet haben, ihren Mitarbeiterinnen in den USA die Eientnahme zu bezahlen – damit diese im Unternehmen bleiben und den Kinderwunsch in die Zukunft verschieben. „Ich freue mich über jeden Fortschritt in der Medizin“, sagt Puchta. Und die Frauen, die am Ende, wenn es auf natürliche Weise nicht mehr klappt, auf ihre Eizellen zurückgreifen, seien „überglücklich“. Bisher sind durch seine Arbeit auf diese Weise 29 Kinder geboren worden, sieben Schwangerschaften laufen gerade.

Auf die heftige Kritik, dass „Social Freezing“ unnatürlich sei und die Frauen dazu bringe, Karriere vor Kinder zu stellen, reagiert Puchta ebenso offensiv wie locker. „Ich gehöre nicht zu den Bedenkenträgern in diesem Land“, sagt er, „sondern eher zu den Machern.“ Er sehe die positiven Aspekte. Außerdem: „Diese Technologie bedroht überhaupt niemanden.“ Ihn erinnert die Debatte an die ersten In-Vitro-Fertilisationen vor mehr als 30 Jahren, die künstliche Befruchtung im Glas. „Damals war man der Ansicht, dass die gesamte Menschheit künftig in Retortengläsern rumwabern würde. Das war absurd, crazy.“

Vorreiter. 2007 hat Jörg Puchta mit drei Kollegen das „Social Freezing“ in Deutschland eingeführt.
Vorreiter. 2007 hat Jörg Puchta mit drei Kollegen das „Social Freezing“ in Deutschland eingeführt.

© promo

2007 hat Puchta – zusammen mit drei Kollegen – das „Social Freezing“ in Deutschland eingeführt. Eigentlich war es gedacht für kranke jüngere Frauen, die etwa vor einer Krebsbehandlung standen und sich über die Eizellen-Entnahme die Fruchtbarkeit erhalten wollten. „Wir waren Exoten“, erinnert sich der Mediziner, „das künftige Potenzial hatten wir damals nicht erkannt.“

Die Maximilianstraße 2 ist eine edle Adresse in München. Hier ist die neue Praxis von Jörg Puchta, das „Kinderwunsch-Zentrum an der Oper“. Tag für Tag werden hier Eizellen entnommen. Sind es die Top-Verdienerinnen, die zu Puchta kommen, die jungen Managerinnen? Ist „Social Freezing“ ein Oberschichten-Phänomen? „Wir haben natürlich zu einem größeren Prozentsatz die erfolgreichen Karrierefrauen mit einem guten Einkommen aus den entsprechenden Unternehmen“, sagt Puchta. Aber er will das Klischee so nicht stehen lassen: „Es kommen aber auch Normalverdienende und interessanterweise viele Krankenschwestern.“

2000 Euro kostet im Kinderwunsch- Zentrum die Entnahme der Eizellen. Die Lagerung schlägt mit 20 Euro im Monat zu Buche. Der Arzt hat griffige Vergleiche parat: „Man muss auf einen Urlaub verzichten. Und raucht im Monat vier Schachteln Zigaretten weniger, was sowieso gesünder ist.“

Die meisten Frauen lassen sich mit 40 die Eizellen einsetzen

Arline Schuller hat die Eizellen-Entnahme hinter sich. „Jetzt gerade habe ich überhaupt keinen Kinderwunsch“, sagt die 25-Jährige, die bei Jörg Puchta in der Praxis arbeitet und das Einfrieren deshalb kostenlos erhält. „Ich will jetzt mein Leben leben“, sagt sie, „und im Beruf weiterkommen.“ Kinder kann sie sich „mit 35 Jahren vorstellen“. Wenn es dann nicht klappen sollte, so hat sie die Fruchtbarkeitsreserve im Tank ihres jetzigen Chefs.

Die Mehrzahl der Frauen ist bei der Eientnahme um die 30 Jahre alt. Auch gibt es eine kleinere Gruppe 18- bis 20-Jähriger, die dies etwa von den Eltern oder Großeltern geschenkt bekommen. Puchta hat vier Töchter. Der ältesten – 20 Jahre jung – hat er schon Eizellen eingefroren. Im Schnitt sind die Frauen 40 Jahre alt, wenn dann die Zellen eingesetzt werden und die Schwangerschaft beginnt. Viele Frauen können in diesem Alter nicht mehr auf natürliche Weise schwanger werden.

Doch will das Land immer ältere Eltern haben? Sollte man nicht mehr Geld in Kinderbetreuung investieren, damit Nachwuchs und Karriere besser vereinbar sind? Und ist nicht die Vorstellung an sich schon gruselig, wie da mit Leben hantiert wird, dessen Bestandteile ein Jahrzehnt lang im Eisschrank gelegen sind? Puchta schüttelt den Kopf. Er als Arzt sei nicht befugt, darüber zu urteilen, bis zu welchem Alter eine Frau schwanger werden sollte. Manche seien schon Ende 40, und zwar auf natürliche Weise. Sowohl Kinderbetreuung als auch „Social Freezing“ hält er für wichtig und will das nicht gegeneinander ausspielen. Außerdem: „Unsere Generation ist in ihren Betrachtungsweisen moralisch sehr zugebaut. Die jüngeren Frauen gehen da völlig anders ran, komplett positiv.“ Puchta ist 53 Jahre alt. „Too old for Rock’n’Roll, too young to die“, wie er schmunzelnd bemerkt.

Die tiefere Ursache für die Beunruhigung sieht er woanders: Mit „Social Freezing“ würden Frauen den „letzten Schritt zur Emanzipation machen“. Mit der Anti-Baby-Pille können sie die Fortpflanzung regulieren. Nun würde es für sie aber auch keine „Altersfalle“ und damit „keine Grenzen mehr geben“.

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