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Vereint. Amanda Berry in der Mitte mit ihrer Schwester und ihrer Tochter nach der Befreiung.

© AFP

Spektakulärer Entführungsfall: Der Entführer von nebenan

Nach der Befreiung dreier Frauen aus dem Haus ihres Entführers in Cleveland packt Nachbarn nun das Entsetzen – sie hatten jahrelang mit dem Täter immer gegrillt.

Amanda Berry hatte gerade die letzte Schicht vor ihrem 17. Geburtstag hinter sich gebracht. Noch von ihrem Arbeitsplatz bei Burger King rief sie ihre Familie an und sagte, sie würde sich jetzt heimfahren lassen – sie kam nie zu Hause an. Das war 2003. Am Montagabend gelang Berry und ihrer sechsjährigen Tochter die Flucht aus einem Haus in Cleveland im US-Bundesstaat Ohio, in dem sie zehn Jahre lang festgehalten worden war.

Was genau passiert ist und unter welchen Umständen die heute 26-Jährige in dem unauffälligen Haus in der Seymour Avenue lebte, ist noch unklar. Auch ist nicht bekannt, wer der Vater der Kleinen ist. Fest steht: Mit Amanda Berry konnten zwei weitere Frauen befreit werden. Gina DeJesus war 14 Jahre als, als sie 2004 spurlos verschwand, und von der damals 19-jährigen Michele Night fehlte seit 2002 jede Spur. Alle drei Frauen und das Mädchen wurden zunächst in ein Krankenhaus in Cleveland gebracht, mittlerweile aber entlassen und mit ihren Familien vereint.

Die mutmaßlichen Entführer sind unterdessen in Haft. Unter ihnen ist der 52-jährige Besitzer des Hauses, Ariel Castro, ein Schulbusfahrer, der unter Nachbarn als „netter Typ“ galt. „Ich kenne ihn, seit ich fünf oder sechs Jahre alt war“, sagte Juan Perez einem lokalen Fernsehsender. Er habe zwei Häuser weiter gewohnt. Castro habe häufig Kinder mit seinem Wagen ein paar Blocks mitgenommen, sagte Perez. „Er war immer freundlich.“

Völlig fassungslos gab sich ein weiterer Nachbar, Charles Ramsey, dessen rasches Eingreifen die Flucht von Amanda Berry und die Befreiung der anderen Frauen wahrscheinlich erst möglich gemacht hat. „Ich habe dieses Mädchen gesehen, das völlig panisch war und aus dem Haus raus wollte“, erzählte Ramsey. Ich bin auf meine Veranda getreten und habe gehört, wie sie schrie: „Helfen Sie mir raus. Ich war sehr lange hier drinnen.“ Ramsey habe zunächst an einen Fall von häuslicher Gewalt gedacht und die Tür eingetreten. Amanda Berry und ein Mädchen seien aus dem Haus gelaufen und hätten sofort nach einem Notruf verlangt. „Sie sagte: Rufen sie (die Notfallnummer) 911 an. Ich bin Amanda Berry.“

Ramsey habe den Namen nicht gekannt und sei auch nicht mit dem Fall der verschwundenen Frau vertraut gewesen. Umso härter traf ihn die Nachricht, dass sein Nachbar offenbar drei Mädchen entführt hatte. „Ich habe den Typen jeden Tag gesehen. Ich habe mit ihm gegrillt. Wir hatten Rippchen und haben Salsa gehört.“ Ermittler bemühen sich nun, das Doppelleben von Ariel Castro und seinen Brüdern zu beleuchten. Früh zeichnet sich ab, dass Castro außer dem dreistöckigen weißen Holzhaus in der Seymour Avenue noch einen anderen Wohnsitz gehabt haben muss. „Er war oft nur für wenige Minuten am Tag hier“, erinnert sich Nachbar Perez. „Im Nachhinein hätte man das wohl als Signal dafür sehen können, dass hier etwas nicht stimmte.“ Er sei nicht der Einzige in der Nachbarschaft, der sich schäme und nicht nachvollziehen könne, wie eine solche Tragödie im Haus nebenan unbemerkt habe stattfinden können. „Das ist verrückt“, sagte Perez. „Das darf nicht passieren.“

Ein Onkel der drei Verdächtigen, Julian Castro, distanzierte sich am Montagabend von seinen Neffen. „Ich will die nie wieder sehen“, schimpfte er in einem Interview mit CNN-Talker Piers Morgan. Einen der drei habe er erst vor Wochen an einer Bushaltestelle gesehen, die anderen seit mindestens vier oder fünf Jahren nicht mehr. Sein Bruder, der Vater der Verdächtigen, sei vor acht Jahren gestorben, zur Mutter habe er keinen Kontakt.

Außer sich vor Freude waren am Montag die Familien der befreiten Frauen. Nancy DeJesus habe ihre Tochter Gina sofort im Krankenhaus besucht. Sie habe die Hoffnung nie aufgegeben, ihre Tochter lebend wiederzufinden, erzählte eine Kusine. Kayla Rogers, eine Freundin aus Kindheitstagen, sagte: „Ich habe sie nie vergessen und immer für sie gebetet. Das ist so großartig, ich bin so glücklich.“ Tasheena Mitchell sagte einer Zeitung in Cleveland, sie könne es nicht erwarten, ihre Kusine Amanda Berry in den Arm zu nehmen. „Ich werde sie drücken und nie mehr loslassen.“

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