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© PA Wire

Sterbehilfe: Tod mit Brandy und iPod

Ein britischer TV-Star outet sich als Sterbehelfer und riskiert eine Mordanklage – viele applaudieren ihm.

Einen Tag nachdem in der vergangenen Woche das Mordgeständnis von Fernsehmoderator Ray Gosling ausgestrahlt wurde, kam die Polizei. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als den 70-Jährigen zur Wache mitzunehmen. In dem BBC-Film stand er auf einem Friedhof und sagte: „Auch ich habe einmal jemanden umgebracht.“ Nach zwei Tagen Verhör wurde er gegen Kaution freigelassen. Wen er tötete, sagte Gosling nicht.

„Es war ein junger Mann. Er war mein Liebhaber und er hatte Aids“, begann das Geständnis. Gosling drehte auf einem Friedhof in Nottingham die letzte Szene einer Sendung über das Sterben. Alle hätten sich ihm in dem Film offenbart, erzählte er später, da sei auch von ihm Offenheit gefordert gewesen. So geht er zwischen Grabsteinen über den Friedhof und erzählt, wie er in den frühen achtziger Jahren seinem aidskranken Liebhaber beim Sterben half. „Es war ein heißer Nachmittag. Der Doktor sagte: ‚Da ist nichts, was wir machen können.’ Er hatte schreckliche, schreckliche Schmerzen. Ich sagte zu dem Arzt: ‚Lassen Sie mich eine Weile mit ihm allein.’ Dann nahm ich ein Kissen und erstickte ihn. Als der Doktor zurückkam, sagte ich: ‚Er ist gestorben.’ Kein Wort wurde mehr gesagt.“

Was Gosling tat, ist Mord, Ausnahmen gibt es ihm britischen Recht nicht. Aber das Geständnis ist Teil einer Debatte, die die Briten seit zwei Jahren mit wachsender Intensität führen. Angetrieben wird sie von einer Generation, die gewohnt ist, sich nach den eigenen moralischen Grundsätze zu richten. „Babyboomers“, die geburtenstarken Jahrgänge, die im Wohlstand der Nachkriegszeit heranwuchsen, die sexuelle Revolution verwirklichten und, wie Gosling, Vorurteile gegen Homosexualität bekämpften. Sie kämpften für Freiheit und Selbstverwirklichung und wollen nun auch ihr Älterwerden und Sterben in die Hand nehmen.

Martin Amis etwa, 60 Jahre alt, einer der wichtigsten englischen Romanautoren, der kürzlich die Einführung von „Euthanasiebuden“ an den Straßenecken forderte, wo man sich „mit einem Gin Tonic in der Hand“ ins Jenseits befördern lassen könne. „Wenn man 70 ist, will man sich nicht unter einen Bus werfen, da will man etwas Bequemeres“, sagte Amis unter Gelächter in einer Diskussion. Ganz ernsthaft fügte er dann aber hinzu: „Mensch zu sein, das verlangt eine gewisse Würde, und ich sehe in Demenzkranken keine Würde. Die Wahl, zu sterben, ist ein nobles Privileg, das wir alle haben sollten.“

Dann nahm der Bestseller Autor Terry Pratchett den Ball auf, der 62-jährige Autor der „Scheibenweltromane“. Ihm ist das Recht auf einen selbstbestimmten Tod wichtig, weil er Alzheimer hat und, sagt er, „sich nicht von Alzheimer nehmen lassen, sondern Alzheimer von sich nehmen“ will. In einem in der BBC übertragenen Vortrag schlug er „Selbstmordtribunale“ vor, bei denen ein Arzt und ein Psychologe entscheiden würden, ob einem Selbsttötungswunsch entsprochen werden soll. Sterben will er in seinem Garten, mit einem Glas Brandy in der Hand und der Musik von Thomas Tallis auf dem iPod.

Rund 140 Briten sind, um das Sterben in die eigene Hand zu nehmen, bereits in die Dignitas-Klinik in die Schweiz gefahren. Der unheilbar kranke Craig Ewert ließ sich beim Sterben für eine dann unter Kontroversen im Fernsehen gezeigte Dokumentation filmen. Als der 85-jährige prominente Dirigent Sir Edward Downes und seine unheilbar kranke Frau Joan, 74, gemeinsam die Reise in die Schweiz machten, veröffentlichte die „Times“ eine Umfrage: 74 Prozent der Briten glauben, dass Ärzte die Erlaubnis haben sollten, unheilbar Kranken beim Sterben zu helfen. 60 Prozent wollen, dass es Freunde oder Verwandte tun dürfen.

Der Verband der britischen Krankenschwestern, das Royal College of Nursing, gab seinen Widerstand gegen Sterbehilfe auf. Jeder dritte Arzt glaubt nach einer Umfrage unter 4000 Ärzten, dass einfacheres Sterben zum „Service“ des Gesundheitsdienstes gehören sollte. „Das Parlament muss unheilbar kranken, mental kompetenten Menschen das Recht auf Sterbehilfe geben“, fordert die Organisation „Würde im Sterben“. Die Gesellschaft habe sich verändert, die Medizin habe sich verändert, nun müsse sich auch das Gesetz ändern.

Britischen Gerichten ist das Thema längst vertraut. Im Januar wurde die 57-jährige Frances Inglis wegen Mordes zu neun Jahren Gefängnis verurteilt. Sie hatte ihren 22-jährigen nach einem Unfall schwer hirngeschädigten Sohn mit einer Heroinüberdosis umgebracht, um ihm ein „Leben in der Hölle“ zu ersparen. Kurz darauf wurde die 55-jährige Kay Gilderdale freigesprochen. Die 55-Jährige hatte ihrer MS-erkrankten, seit Jahren lebensmüden Tochter Luft in die Venen gespritzt. Der Richter kritisierte, dass die Frau überhaupt vor Gericht gebracht wurde, und lobte ihren „gesunden Menschenverstand, ihren Anstand und ihre Humanität“. Das war ein deutlicher Hinweis, dass die Rechtslage nicht mehr klar genug ist.

Die 47-jährige MS-Kranke Debbie Purdy forderte vor längerem schon eine gerichtliche Klärung des Selbstmordgesetzes von 1961. Demnach wird mit Gefängnis bis 14 Jahren bestraft, wer andere beim Selbstmord berät, Selbstmord vorschlägt oder bei der Verwirklichung hilft. Purdy wollte eine Garantie, dass ihr Ehemann sie ohne Angst vor strafrechtlicher Verfolgung in eine Schweizer Sterbeklinik bringen darf, wenn sie selbst dazu nicht mehr in der Lage ist. Andernfalls müsse sie früher in die Schweiz zum Sterben fahren, als sie eigentlich wolle. Das oberste Gericht gab ihr recht – und forderte die Staatsanwaltschaft auf, zu klären, unter welchen Umständen sie Sterbehelfer verfolgt oder nicht. Diese Klärung wird in der kommenden Woche erwartet.

„Pro Life“-Organisationen wie die Gesellschaft „Care not Killing“ stehen bereit zum Protest. „Wenn wir die Strafen für sogenannte Gnadenmorde herabsetzen, lassen wir verwundbare Menschen ohne Schutz und leisten einem Denken Vorschub, dem das Leben von Kranken oder Behinderten als weniger lebenswert gilt“, warnte der Direktor der Organisation.

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