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Fertiglasagne von Edeka.

© pa

Sterneköche und Fertiggerichte: Deutschland fehlt es an Esskultur

Trotz immer neuer Sternerestaurants ernähren sich viele Deutsche von Fertiggerichten. Das liegt nicht nur an Bequemlichkeit - sondern auch am verstärkten Geschmack. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Arno Makowsky

Manchmal sind es die kleinen Probleme, die uns in die Krise stürzen: Speisekarten, zum Beispiel. Sollen wir im „Bandol sur Mer“, diesem aufregenden neuen Sternerestaurant in Berlin-Mitte, nun den „Havelzander mit Topanimbur, Herbsttrompete, Schmorgurke und Hummerbisque“ für 32 Euro bestellen, oder lieber das „Landei“ für 18 Euro? Warum kostet ein Landei 18 Euro? Und was zum Teufel ist Hummerbisque? Man könnte nun einwenden, dass man in diesem Lokal, egal was man bestellt, vermutlich nichts falsch macht, und das mit der Hummerbisque wird sich schon noch herausstellen. Dem Esprit der Sternegastronomie wird man mit so profanen Überlegungen allerdings nicht gerecht. Denn längst hat sich auch in Deutschland eine Gourmet-Gemeinde etabliert, in der über die korrekte Zubereitung von vorsichtig gegartem Sellerie mit Trüffelspänen ebenso leidenschaftlich diskutiert wird wie in anderen Kreisen über die Tagesform von Robert Lewandowski.

Vor ein paar Tagen vergab der Guide Michelin wieder einmal seine Sterne an die ambitioniertesten Restaurants der Republik. Sogar in unserem Land, das aus Gourmet-Sicht bis in die 80er-Jahre als kulinarische Wüste galt, missioniert Michelin schon seit 50 Jahren, und das mit Erfolg. Noch nie wurden so viele Sterne verliehen, und es ist wohl anzunehmen, dass man in Deutschland noch nie so gut essen konnte wie heute. Vorausgesetzt, man will das. Und kann es sich leisten.

Mit dem Smartphone am Ohr kann man nicht vernünftig essen

Leider gibt es aber auch eine ganz andere, eher deprimierende Entwicklung: Während einige Kochkünstler eine eingeschworene Gemeinde von Hobbyköchen und Gourmet-Freaks begeistern, ernähren sich immer mehr Deutsche von Fertiggerichten. Und auch wenn jetzt vor Weihnachten wieder jede Menge neuer und exotischer Kochbücher im Angebot sind („Der Zauber der orientalischen Gemüseküche“), wurde mutmaßlich noch nie so wenig selbst zubereitet wie heute. Darin sind sich Soziologen und Ernährungswissenschaftler einig.

Die Experten haben auch herausgefunden, woran das liegt: An den „modernen Lebensgewohnheiten“ natürlich, die es uns angeblich unmöglich machen, drei Mahlzeiten am Tag einzunehmen. Vermutlich deshalb, weil man mit dem Smartphone am Ohr nicht vernünftig essen und auch nicht mit physisch anwesenden Menschen kommunizieren kann.

Die Konsequenzen heißen „Snacking“ und „Convenience Food“. Also zwischendurch mal ein Sandwich reinschieben, dann einen Schokoriegel oder ein Instant-Nudelgericht. Abends ist der moderne Mensch dann natürlich zu erschöpft zum Kochen, deshalb gibt es die Asia-Pfanne aus der Mikrowelle oder die guten Köttbullar von Ikea.

All diese Produkte schmecken ziemlich perfekt, weil sie in Laboren designt werden und voller Geschmacksverstärker stecken. Kinder finden richtige Erdbeeren oft ein bisschen langweilig, weil das Naturprodukt eindeutig abfällt gegenüber der industriellen Kopie in Fruchtjoghurts und Säften. Inzwischen bieten Ernährungsberater teure Kurse an, um von Fertignahrung wegzukommen. Ihr größtes Problem ist nicht etwa, dass Fertiggerichte einfacher und zeitsparender zuzubereiten sind als normales Essen. Die Menschen wieder für Lebensmittel ohne chemische Zusätze zu sensibilisieren, ist deshalb so schwierig, weil sie ihnen einfach nicht mehr intensiv genug schmecken.

Die meisten legen keinen Wert auf frische Produkte

Sicher, mit der deutschen Esskultur war es noch nie weit her. Außer Sauerbraten, Weißwurst und Schwarzwälder Kirschtorte hat sie nichts von Bedeutung hervorgebracht. Kein Wunder, dass nicht nur am heimischen Herd, sondern auch in der normalen, nicht sterneverdächtigen Gastronomie vor allem Ödnis und Gleichförmigkeit herrscht. Wer ein halbwegs preiswertes Lokal entdeckt, in dem abseits des Pizza-, Pasta- und Fertigsoßen-Einerleis gekocht wird, kann sich glücklich schätzen. Das ist kein Wunder, denn die meisten Restaurantgäste legen keinen Wert auf frische Produkte und kreative Zubereitung.

Tja, so ist die Lage im Land der Sternerestaurants und Jamie Oliver-Fans. Sogar unter den Liebhabern der Kochsendungen im Fernsehen gibt es nicht mehr aktive Köche als aktive Fußballer unter den Anhängern des FC Bayern. Mag ja sein, dass es immer mehr werden, die sich japanische Messerchen und Profi-Wokpfannen kaufen. Die deutsche Esskultur werden Deutschlands Gourmets nicht retten, leider.

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