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Studie: Zu Tode gelangweilt

Wer sich im Job nicht ausgefüllt fühlt, verbringt auch seine Freizeit weniger aktiv und senkt so seine Lebenswartung - so das Ergebnis einer Studie.

Unser größter Feind sei die Langeweile, hat der große Voltaire gewusst. Der geistreiche Aufklärer wird dabei weniger an die menschliche Gesundheit gedacht haben. Doch genau der könnte Langeweile auf Dauer etwas anhaben – jedenfalls, wenn sie sich hartnäckig in den beruflichen Alltag einschleicht. Das legt zumindest eine Studie aus dem renommierten International Journal of Epidemiology nahe.

Annie Britton und Martin Shipley vom International Center für Health and Society des University College in London haben sich dafür die Frage gestellt, ob die Redensart „Sich zu Tode langweilen“ vielleicht auch eine wissenschaftliche Basis habe. Tragen Menschen, die sich langweilen, ein größeres Risiko, früher zu sterben? Die Londoner Gesundheitsforscher haben auf der Suche nach einer Antwort die Daten von mehr als 7500 Beschäftigten im öffentlichen Dienst aus dem Großraum London analysiert. Sie alle waren zu Beginn der Studie zwischen 35 und 55 Jahre alt, hatten keine Herz-Kreislauf-Erkrankungen und wurden bis zum Jahr 1988 für die große Gesundheitserhebung Whitehall II mehrmals auch zu ihrer Situation im Job befragt. Die Wissenschaftler verfolgten das Wohl und Wehe der Befragten anschließend bis zum April 2009. Und siehe da: Von denjenigen Angestellten und Beamten, die in den wiederholten Befragungen jeweils angegeben hatten, sich an ihren Arbeitsplätzen im vergangenen Monat besonders oft und anhaltend gelangweilt zu haben, waren elf Jahre später überdurchschnittlich viele nicht mehr am Leben. Ihr Risiko, einem Herzinfarkt zu erliegen, war sogar um das Zweieinhalbfache erhöht.

Müssen also Menschen, denen die Zeit am Arbeitsplatz lang wird, dafür ungerechterweise auch noch auch noch mit einem Abzug vom Lebenszeitkonto büßen? So einfach scheint es nicht zu sein. Bei genauerer Betrachtung der Daten zeigte sich nämlich, dass diejenigen Angestellten, die sich im Job besonders oft und heftig langweilten, nicht nur einen schlechteren Bildungsstand hatten und auf der Karriereleiter weiter unten standen, sondern dass sie in ihrer Freizeit auch weniger Sport trieben. Rechneten die Forscher solche Faktoren heraus, dann ließ die chronische Langeweile allein die Studienteilnehmer nicht auffällig viel früher sterben. „Der Zustand von Langeweile steht fast sicher stellvertretend für andere Risikofaktoren“, folgern die Autoren.

Doch wie kommt es, dass Menschen, die sich im Job nicht ausgefüllt fühlen und ihn als nicht spannend empfinden, im Schnitt auch in ihrer Freizeit ungesünder leben und so mehr Risikofaktoren anhäufen? Ein Bindeglied ist wahrscheinlich das Bildungsniveau. „Qualifizierte Jobs werden als spannender empfunden, weil sie meist weniger repetitive Elemente enthalten“, sagt der Psychologieprofessor Peter Walschberger von der Freien Universität Berlin. Zugleich ist bekannt, dass mit der Bildung auch das Gesundheitsbewusstsein und die Lebenserwartung steigen.

Aus Studien weiß man, dass Menschen sich in Ausbildung und Beruf mit „dosierter Überforderung“ am wohlsten fühlen. „Wer überfordert ist, kommt in Stress, wer unterfordert ist, langweilt sich“, resümiert Walschburger. Doch die Schwelle, von der an sich Menschen langweilen, ist individuell unterschiedlich und wird teilweise durch genetische Merkmale bestimmt. Menschen mit dem Persönlichkeitssmerkmal „novelty seeking“ suchen schnell nach neuen Reizen, um sich auf das für sie passende Erregungsniveau zu bringen. Die Suche nach Abwechslung kann dann vor allem jüngere Leute schnell zum exzessiven Trinken, Rauchen und Konsum illegaler Drogen verführen.

Dabei kann es sehr produktiv werden, wenn rührige Menschen sich für kurze Zeit unterhalb ihres optimalen Erregungsniveaus befinden: Die Idee zu ihrer Studie hätten sie „in einem unserer seltenen Augenblicke der Muße“ gehabt, sagen jedenfalls die britischen Gesundheitsforscher.

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