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Nasse Füße? Ich nicht, und Du?

© dpa

Sturmtief Axel: Alle reden vom Wetter. Wir auch!

Die Masse redet vom Wetter? Die Masse ist dumm. Wir sind klug. - Diese Haltung ist elitär. Das Wetter ist, neben der Gesundheit, die letzte große Schicksalsmacht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Nur Spießer reden übers Wetter. Das Thema ist langweilig bis zum Überdruss. Was soll man auch Sinnvolles dazu sagen? „Schön kalt draußen?“ „Nass geworden?“ Außerdem gibt es Wichtigeres: Syrien, Trump, Pflegereform. So denkt es seit rund fünfzig Jahren in manch kühl-klugem Kopf. Zu dessen Kennzeichen gehört es, jegliches Geschwätz über Banalitäten zu verachten, um selbst als umso relevanter dazustehen. Die Masse redet vom Wetter? Die Masse ist dumm. Wir sind klug. So lautet die Gleichung.

Das Sinnbild dafür ist ein Plakat des SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund) von 1968. „Alle reden vom Wetter. Wir nicht“, steht darauf, und in der Mitte sieht man die Konterfeis von Karl Marx, Friedrich Engels und Wladimir Iljitsch Lenin. Das Poster hing damals in jeder linken WG an der Wand. An der Universität Stuttgart war es konzipiert worden und wurde, nach anfänglichen SDS-internen Bedenken, rasch zum identitätsstiftenden Hit. Aus den Einnahmen des Plakatverkaufs finanzierte der Bundesvorstand die Prozesse gegen „Rädelsführer“, die sich nach Protestaktionen gegen die Notstandsgesetze wegen Landfriedensbruch verantworten mussten.

Allerdings war der Slogan ein Plagiat. Zwei Jahre vorher hatte ihn die Deutsche Bundesbahn in einer der berühmtesten Anzeigenkampagnen der Nachkriegsgeschichte geprägt. Zu sehen war eine E-Lok (Baureihe E 10) in einer Schneelandschaft, und suggeriert werden sollte die Unabhängigkeit der Bahn von jeder Witterung. Wenn dann trotzdem extreme Hitze, Schnee oder Eis das Bahnfahren ungenießbar oder gar unmöglich machten, wurde der Bahn ihr eigener Slogan gern spöttisch um die Ohren gehauen.

Wir haben absolut keinen Einfluss darauf

Die Grünen versuchten im Bundestagswahlkampf 1990 die Sache umzukehren und titelten: „Alle reden von Deutschland. Wir reden vom Wetter“. Alle wussten, dass sie nicht das Wetter meinten, sondern das Klima – mit Waldsterben, saurem Regen und so. Sie scheiterten dann an der Fünf-Prozent-Hürde.

Dabei ist weniger erstaunlich, wie viele Menschen übers Wetter reden, als vielmehr, wie wenige es tun, ohne sich wegen des Gesprächsstoffs zu schämen, oder gar glauben, sich dafür entschuldigen zu müssen. Denn das Wetter ist, neben der Gesundheit, die letzte große Schicksalsmacht. Wir können es berechnen, immer genauer, immer langfristiger. Aber wir haben absolut keinen Einfluss darauf. Es beeinflusst unsere Laune, unsere Kleidung, unsere Konjunktur, die Wahl des Urlaubsortes, des Fortbewegungsmittels, der Freizeitgestaltung. Kurzum: Es gibt kaum etwas, das unseren Alltag stärker prägt als das Wetter. Doch die Selbstverständlichkeit, mit der ganze Generationen darüber sprachen, ist vielen heute abhanden gekommen.

Vielleicht fehlt es gelegentlich auch an historischem und globalem Verständnis für die Dimension des Themas. Ob Evolution oder Artensterben, Hunger oder Flüchtlingsströme, Bevölkerungsentwicklung oder Individualpsychologie (wo es lange kalt ist und viel regnet, wird oft mehr gelesen): Wer solche Phänomene ohne Rückgriff auf Wetterfaktoren erklären will, scheitert. Darum: Alle reden vom Wetter. Wir auch.

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