zum Hauptinhalt
Ein Sekt geht immer. Für Abhängige kann die Omnipräsenz von Alkohol bei vielen Gelegenheiten ein großes Problem sein.

© Jens Kalaene/dpa

Suchtbericht 2017: Alkohol und Medikamente sind beliebteste Suchtmittel

Die Hauptstelle für Suchtfragen hat ihren Jahresbericht vorgestellt. Vor allem jene Drogen sind beliebt, die sozial akzeptiert oder leistungsfördernd sind.

Von Oliver Bilger

Man kann auch von Erdnussbutter abhängig werden, wie übrigens von ziemlich vielen Substanzen. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen widmet sich in ihrem Jahrbuch Sucht 2017 jedoch den klassischen Substanzen mit hohem Abhängigkeitspotential. Wenig überraschend ist der Alkohol noch immer das liebste und damit hartnäckigste Suchtmittel der Deutschen.

Getrunken wurde im Jahr 2015 mit 9,6 Liter reinem Alkohol (96 Prozent) so viel wie im Jahr zuvor, ein ganzer Putzeimer Spiritus also. Der Konsum ist seit Jahren unverändert hoch. Unter den Hauptkonsumenten, den 15-65-Jährigen, waren es sogar 14,6 Liter. Noch immer ist des Deutschen liebster Alkohol das Bier, gefolgt von Wein, Schnaps und Schaumwein. Insgesamt wird von allem zu viel getrunken. Im internationalen Ländervergleich ist Deutschland dagegen ein moderater Trinker und landet auf Platz 23, weit hinter vielen osteuropäischen Ländern, Südkorea oder Irland.

Die dennoch besorgniserregende Bilanz des Berichts: 3,38 Millionen Erwachsene waren in Deutschland von einer „alkoholbezogenen Störung“ betroffen, hierzu werden Missbräuchler (1,61 Millionen) genauso gezählt wie Abhängige (1,77 Millionen). 74.000 Todesfälle standen 2015 direkt mit Alkohol oder der Kombination aus Alkohol und Tabak in Verbindung. Die Diagnose „Psychische und Verhaltensstörungen“ war bei Männern die häufigste Hauptdiagnose, die in Krankenhäusern gestellt wurde.

Die Pfeife ist die neue Selbstgedrehte

Eine höhere Steuer auf alkoholische Getränke würde nicht einmal ansatzweise die direkten und indirekten Kosten des Alkoholkonsums abdecken. Die lagen bei 40 Milliarden Euro, alkoholbezogene Steuereinnahmen dagegen bei etwas mehr als drei Milliarden.

Rauchen, egal ob Zigaretten oder Selbstgedrehte, wird dagegen immer unbeliebter. Noch rund 920 Fertigzigaretten rauchte jeder Einwohner statistisch gesehen im vergangenen Jahr, rund 100 weniger als 2012. Bei Jugendlichen ist Rauchen in etwa so unbeliebt wie Facebook. Kurios: Zigarren, Zigarillos und vor allem Pfeife rauchen wird dagegen immer beliebter. Mal sehen, wann die gegängelte Tabakbranche da auf Zielgruppenfang geht.

Funktionieren statt aussteigen

Der Umgang mit weiteren psychoaktiven Substanzen wie Schlaf- und Beruhigungsmitteln, Kokain oder Marihuana spiegelt den Zahlen des Suchtberichtes zufolge gut wieder, wie sich viele Menschen in zunehmend prekären und beschleunigten Arbeits- und Lebensverhältnissen zu fühlen scheinen. Beim Drogenkonsum geht es nicht mehr darum, auszusteigen und sich aus der Welt zu ballern, wofür das stark nachlassende Interesse etwa an Heroin spricht. Vielmehr werden Kokain, das verwandte Speed oder auch verschreibungspflichtige Schlaf- und Beruhigungsmittel konsumiert, um in der äußeren Ordnung funktionieren zu können.

Zwar sind die Verordnungen beruhigender Mittel mit Abhängigkeitspotential in den vergangenen Jahren zurückgegangen, aber nur jene, die von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden. Der Anteil der von privaten Kassen verordneten Mittel hat demgegenüber zugenommen.

Eine Zahl ist besonders alarmierend: Rund zwei Millionen Menschen sind in Deutschland von Medikamenten abhängig, also mehr als von Alkohol. Besonders ältere Frauen sind betroffen. Und immer häufiger werden von den Ärzten auch starke Schmerzmittel verschrieben, deren Risiken nicht immer transparent gemacht werden.

Cannabis ist beliebteste illegale Droge

Gesondert führt der Bericht auch die Zahl der von der Polizei sichergestellten Ecstasypillen auf. Vor allem der Vertrieb im Internet scheint zu boomen, wie überhaupt für alle illegalen Drogen. Noch nie haben Behörden so viel Kokain konfisziert wie im Jahr 2015.

Was Verbreitung und Konsum angeht, ist Cannabis noch immer die am weitesten verbreitete illegale Droge. Ihr Konsum, der vor allem der Entspannung dient und manchen so lieb ist wie das Feierabendbier, zieht sich durch alle Altersgruppen. 7,3 Prozent der befragten Jugendlichen und 6,1 Prozent der Erwachsenen gab an, in den vergangenen zwölf Monaten mindestens einmal einen Joint geraucht oder anderweitig Cannabis konsumiert zu haben.

Es ist eine seit Jahren zu beobachtende Tendenz: Ein Anstieg des Konsums und damit auch potentieller Abhängigkeiten ist vor allem bei jenen Drogen zu verzeichnen, die sozial akzeptiert sind und gut ins Alltagsleben und zum Zeitgeist passen: lange durchhalten, schnell runterkommen, lange durchhalten und so weiter.

Zur Startseite