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Panorama: Südsee vor Sylt

Die Nordsee lockt mit steigenden Wassertemperaturen Tiere aus exotischen Gegenden an

Wer auf Sylt wohnt, ist in Sachen Schwimmen abgehärtet: 18 Grad Wassertemperatur sind auf der Nordseeinsel schon warm, auch erheblich niedrigere Gradzahlen halten Nordfriesen nicht davon ab, sich in die Wellen zu stürzen. Nur Touristen sind nicht immer begeistert, wenn der erste Sprung ins Meer zu einer Mutprobe wird. Es bedarf schon einer robusten Natur, Jahr für Jahr an die Nordsee zu fahren. Bisher war das mildere Mittelmeer für so manchen Urlauber attraktiver. Aber das könnte sich in Zukunft ändern.

„Im letzten Jahrhundert ist die Temperatur der Nordsee um ein Grad angestiegen“, sagt der Meeresbiologe Karsten Reise. Klimaforscher erwarten in den nächsten 25 Jahren sogar einen Anstieg um weitere zwei Grad. Das ist eine deutliche Verschiebung, der Vergleich mit der letzten Eiszeit zeigt, warum: Vor einigen 10000 Jahren lag die durchschnittliche Temperatur nur um etwa drei bis vier Grad unter der heutigen.

Schuld daran ist die weltweite globale Erwärmung. „Bei uns ist das bisher noch nicht dramatisch, aber Auswirkungen können auch wir schon feststellen“, sagt Reise, der die Wattenmeerstation des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) in List auf Sylt leitet und dort seit Jahren über die Veränderungen der Nordseeküste forscht.

Fest steht, dass die wärmeren Temperaturen andere Lebewesen als die bisher vorkommenden begünstigen. Manche werden auf Schiffen aus Übersee zufällig eingeschleppt oder bewusst eingeführt, andere wandern aus südlichen Gefilden ins Wattenmeer ein. Auffällig ist, dass sich die zugezogenen Arten in den letzten Jahren immer besser an ihre neue Heimat angepasst haben und sich stark vermehren.

Immer häufiger tummeln sich jetzt Südseefische in der Nordsee, und fremde Pflanzen machen heimischen Arten Konkurrenz. Ob Sardinen, Sardellen, Amerikanische Pantoffelschnecken oder japanischer Beerentang: das nördliche Wattenmeer wird immer exotischer. Aber es gibt auch Auswanderer – der Kabeljau zieht sich mehr und mehr in die kühleren arktischen Gewässer zurück.

Am Beispiel der Miesmuscheln erklärt Reise die schon jetzt bemerkbaren Auswirkungen der gestiegenen Wassertemperaturen: „Friert das Meer in einem strengen Winter richtig durch, sterben zwar viele Krebse und Seesterne. Aber dafür kommt es im anschließenden Sommer zu einer großen Ansammlung von Muschelbrut“, die ansonsten beliebte Nahrung dieser Tiere. „Seit 1995/96 hatten wir keinen knackig-kalten Winter mehr“, sagt Reise. In diesen neun Jahren sind viele Muschelbänke verschwunden. Die Muschelsaison mussten die Miesmuschelfischer gerade mit einer Fangpause beginnen.

Statt Muscheln gibt es jetzt verstärkt Pazifische Austern, die einst per Schiff aus Japan kamen. Sie werden durch die anomal hohen Temperaturen der letzten Sommer begünstigt. Da die Austern im Watt kaum Feinde haben, sei damit zu rechnen, dass sich die Muschelbänke nach und nach in Austernriffe verwandeln.

Werden wir also Zeugen eines dramatischen Überlebenskampfes zwischen heimischen und fremden Arten? Da winkt Reise ab: „Die einen leiden unter den veränderten Bedingungen, aber andere profitieren eben davon. Das ist einfach ein Dominanzwechsel“, glaubt der Meeresbiologe. Überhaupt sieht er derzeit keinen Grund zur Panik. „Die tiefe und weit ausgedehnte Nordsee ist wie eine große Waschmaschine“ – kühlere Wasserbereiche vermischen sich mit wärmeren. Ein paar heiße Tage bringen das Meer deshalb nicht gleich aus dem Gleichgewicht.

Aber manche Veränderungen sind selbst für ungeübte Augen sichtbar – außer den verschwindenden Miesmuschelbänken ist das neuerdings auch die rasante Ausbreitung eines schon in den zwanziger Jahren angebauten Schlickgrases an der Sylter Wattseite, das auf wärmere Frühlingstemperaturen sehr sensibel reagiert. Einem Irrtum unterliegen aber viele Touristen auf Sylt, die die verstärkt am Strand auftauchenden Schweinswale mit Delfinen verwechseln: Große Meeressäuger bringt das wärmere Wasser noch nicht an unsere Küsten.

Aber britische Wissenschaftler der Universität von Newcastle meldeten vor kurzem, dass die Zahl der Delfine in einem von Nord-Northumberland bis in den Norden von Yorkshire reichenden Gebiet in den letzten Jahren angestiegen sei. Ein möglicher Grund ist auch, dass die Tiere in der Nordsee mittlerweile große Mengen Futter vorfinden: Dazu zählen neben Heringen, Makrelen und Tintenfischen eben auch die bei uns erst jetzt verstärkt vorkommenden Sardinen.

Juliane Schäuble[List, Sylt]

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