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Jeder fünfte Deutsche leidet statistisch einmal im Leben an einer Depression.

© dpa

Suizid und Depression: Mehr Aufmerksamkeit, mehr Achtsamkeit!

Hinter Suiziden steckt oft eine Depression. Keine andere Krankheit ist so präsent und gleichzeitig so fremd. Betroffenen kann geholfen werden. Doch dafür braucht es auch mehr Sensibilität in der Gesellschaft. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Katrin Schulze

Es passiert nicht aus dem Nichts. Nicht einfach so. Nicht ohne Vorgeschichte. Wenn ein Mensch sich dafür entscheidet, sein Leben zu beenden, ist dem in aller Regel ein langer Prozess vorausgegangen. Vielleicht ein dauerndes Hin und Her, eine elende Qual, ein langer Kampf, eine dunkle Episode, aus der man nur noch diesen Ausweg sieht, diese eine vermeintliche Lösung.

Das war bei dem Fußballtorwart Robert Enke so, bei Schauspieler Robin Williams und vielleicht auch bei dem Fernsehmoderator Ben Wettervogel, der sich zu Beginn dieser Woche in seiner Berliner Wohnung erschoss. Wie sie entschließen jedes Jahr Tausende, aus dem Leben zu scheiden. Oft steckt eine Depression dahinter, die mehr Rätsel als Erklärungen hinterlässt. Keine andere Krankheit ist so präsent und gleichzeitig so fremd, so unnahbar. Die vielschichtigen Symptome und Empfindungen Depressiver vermag keiner zu fassen, der sie nicht selbst einmal hatte. Psychische Erkrankungen sind eben kein Beinbruch, der für jeden sichtbar ist.

Dennoch zeigen alle Studien: Depression ist eine Volkskrankheit. Jeder fünfte Deutsche erkrankt einmal im Leben daran. Bei den Krankschreibungen sind depressive Episoden inzwischen so relevant wie Rückenschmerzen, wie eine Untersuchung der Techniker Krankenkasse erst kürzlich offenlegte. Viele Arbeitgeber begreifen trotzdem nicht, dass sie auch präventiv tätig werden, Pausen, einen Ausgleich und Hilfsangebote bieten müssen. Ist es nicht so: Psychische Erkrankungen sind überall, nur nicht in der eigenen Umgebung. Da kümmern wir uns nicht darum, weil das Thema keines sein darf. Allen geheimen Schicksalen, die öffentlich wurden, zum Trotz.

Die großen Kleinigkeiten werden allzu oft vergessen

Als ob es uns und unsere Liebsten nicht treffen könnte. Wir arbeiten und arbeiten – und gestehen uns wie anderen nicht zu, vor Erschöpfung irgendwann am Ende zu sein. Trauer, Verlust oder eine schwere Erkrankung sind allgegenwärtig. Dass jemand davon berichtet, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist selten. Natürlich darf jeder einmal leiden. Aber nach einem Monat soll bitte schön alles wieder gut sein. Und wenn nicht? Wer ist dann da? Auch nach einem Jahr noch?

Manchmal ist der schlimmste Vorfall tatsächlich nicht zu verhindern. Manchmal kann man allerdings auch mit kleinen Gesten viel bewirken. Dass sich jemand einem anvertraut zum Beispiel, erzählt von seinem Leid, herauskommt aus seinem Schneckenhaus, sich womöglich einen Therapieplatz sucht, denn Depressionen sind gut behandelbar. Da ist sich die Wissenschaft sicher. Viel ist für mehr Bewusstsein gar nicht nötig, doch vergessen wir die naheliegenden großen Kleinigkeiten in der täglichen Routine zwischen Frühstückstisch, Büro und dem Fernsehabend allzu oft. Zeit für das Gegenüber und Empathie für seine Probleme, damit wäre schon viel gewonnen.

Auch das ist eine gesellschaftliche Verantwortung: Die Augen aufmachen, genau hinsehen, zuhören. Achtgeben! Auf den Partner, die Familie, den Kollegen. Es erfordert den Mut jedes Einzelnen, zu sagen, dass er nicht mehr kann, nicht mehr weiter weiß, Hilfe benötigt. Aber es braucht dafür ebenso eine mutige Gesellschaft, die das nicht als Schwäche auslegt, sondern für andere da ist und Depressionen, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit als das versteht, was sie sind. Normalität.

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