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Gesund, unterhaltsam und lehrreich: Kleingärtnern. Wie hier in der Kolonie "Pferdemarkt" am Heckerdamm in Berlin-Charlottenburg.

© Kitty Kleist-Heinrich

"Tag des Gartens": Der Garten im Handy

Kleingärten boomen, die Digitalisierung erfasst auch sie. Der "grüne Daumen" wird digital. Das ist gut für Artenvielfalt und Innovationen.

Von Carsten Werner

Kaum etwas scheint dem Internet und der alle Lebensbereiche erfassenden Digitalisierung ferner als das Gärtnern. Doch gerade Digital Natives – Generationen, die die Welt ohne Internet gar nicht mehr erlebt haben – treibt es in die Gärten: Fast die Hälfte der neuverpachteten Kleingärten in Deutschland sind in den vergangenen fünf Jahren an Familien mit Kindern gegangen. In repräsentativen Image-Umfragen steht der Schrebergarten längst nicht mehr für Spießigkeit und Streberei, sondern für Experimentierfreude. Doch auch wenn viele im eigenen Garten vor allem Ruhe und wohnortnahe Natur finden: Apps und digitale Informationen helfen, den sprichwörtlichen „grünen Daumen“ zu entwickeln.

Digitale Gartenkalender, -foren und -blogs bieten von Kindern bis zum Profi Tipps zum Pflanzen, Schneiden und Gestalten: Johannisbeeren schneiden, Pflaumen ernten, Erdbeeren pflanzen, Boden bereiten – wann, wie und mit welchem Werkzeug, da hilft die Schwarmintelligenz zuverlässig weiter.

Apps zur Tier- und Pflanzenbestimmung checken, wen und was man da zwischen Sonnenbad und Drecksarbeit vor sich hat: Foto hochladen, die Software vergleicht und liefert Namen und Eigenheiten, Essbarkeit, Entwicklung oder Schädlinge zuverlässig direkt ans Beet; vielfach gleich verlinkt mit schmackhaften Rezepten, teuren Geräten, Chemie oder Online-Pflanzenhändlern. Dabei reichen zum Gärtnern – neben dem Smartphone – natürlich immer noch Spaten, Schaufel, Harke, Gartenschere und Handschuhe; man muss es nur wissen.

Lernen von den Jungen ... und den Alten

So lernen alteingesessene Schrebergärtner auch vom Nachwuchs. Denn längst nicht jede Erfahrung übersteht alle Zeiten: Dass zum Winter der Garten komplett einmal umgegraben sein muss, gilt in Zeiten des Klimawandels als überholt - heute geht bei einerseits höheren Durchschnittstemperaturen und andererseits kräftigeren Extremen eher darum, die Pflanzen mit wärme- und feuchtigkeitsspeicherndem Material wie Laub, Rinden und gehäckseltem Holz zu schützen, das sie auch gleich mit wichtigen Nährstoffen für die nächste Wachstumsperiode versorgt.

An diesem Sonntag begehen Deutschlands Kleingärtner den „Tag des Gartens“ – die Öffentlichkeit ist eingeladen, über ihre Zäune und Tellerränder zu schauen und sich für eigene gärtnerische Experimente inspirieren zu lassen. Immerhin 46.000 Hektar, 460 Quadratkilometer groß ist dieses Freiluftlabor, verteilt auf eine Million Parzellen – flächenmäßig sind das mehr als die Hälfte von Berlin oder zweimal Düsseldorf.

Bewusst, wo: Das Klischee vom spießigen Schrebergärtner ist passé - das schlechte Image vom "Unkraut" auch.
Bewusst, wo: Das Klischee vom spießigen Schrebergärtner ist passé - das schlechte Image vom "Unkraut" auch.

© Sebastian Willnow/dpa-ZB

Inzwischen kann man sich aber für den eigenen Garten auch das Gärtnern sparen: Das Berliner Start-up „IP Garten“ bietet Parzellen im Umland der Hauptstadt an, die man gar nicht mehr betreten muss und soll: Mit dem Hashtag #GAMEüse bewerben sie ihr Konzept, vom Computer zuhause oder unterwegs Bepflanzung und Pflege zu steuern, von der Auswahl der Samen und Pflanzen übers Graben und Gießen bis zur Ernte setzen professionelle Gärtner die digitalen Befehle analog um. Das mehr oder weniger erfolgreiche Wachsen und Gedeihen kann und muss per Webcam rund um die Uhr beobachtet werden. Im Sommer und Herbst wird die Ernte geliefert. Die Gründer haben ihr Konzept auf der Internet-Konferenz re:publica als transparent, ökologisch, sozial und vor allem lehrreich gepriesen – ganz billig ist es nicht. Aber es könnte tatsächlich ein Schritt Richtung Selbstversorgung mit regionalen Nahrungsmitteln sein, der nicht auf teure City-Flächen, viel Freizeit und körperliche Fitness angewiesen ist – bis jetzt Reize, aber auch Voraussetzungen städtischen Gärtnerns.

Die IGA in Berlin-Marzahn hat eigens eine Talkreihe „Digitalisierung im Grünen“ eingerichtet, die solche Trends diskutiert – wie auch die Mini-Photovoltaik- Anlage „Sunzilla“, die fern von Steckdosen mobilen Geräten Saft liefert; oder die Bedeutung der Natur als Arbeits- und Rückzugsort für Kreative, Geistes- und Digitalarbeiter.

Für copyrightfreies Obst und Gemüse: "Open Tomate"

Aus der Netzkultur gelernt hat auch die Initiative OpenSourceSeeds, die Saatgut für Landwirte rechtefrei stellen und vor Patenten weniger großer Lebensmittelkonzerne schützen will, indem sie neue Sorten kreiert und lizenzfrei auf den Markt gibt. Statt Einheitsgemüse setzt sie auf Vielfalt. Denn aktuell sind über 70 Prozent des Saatgut-Marktes von nur zehn Konzernen bestimmt, von etwa 1000 einheimischen Apfelsorten in Deutschland wachsen in den professionellen Obstbaubetrieben nur 20 und allein Spargel beansprucht mehr als 20 Prozent der bundesdeutschen Anbauflächen.

Längst haben die Städte das Land bei der Artenvielfalt überholt, längst gilt „Unkraut“ als Mehrwert: Je größer, desto größer die Biodiversität. Berliner Stadtbienen produzieren bis zu 47 Kilo Honig pro Volk – der deutsche Durchschnitt liegt bei 30 Kilo; in der Stadt doppelt so viel wie auf dem Land.

Stadtbiene schlägt Landbiene: Die ist nicht fauler, sie findet in den Landschaften der Agrarwirtschaft weniger Nahrung und mehr Gift als in Kleingärten und Parks.
Stadtbiene schlägt Landbiene: Die ist nicht fauler, sie findet in den Landschaften der Agrarwirtschaft weniger Nahrung und mehr Gift als in Kleingärten und Parks.

© Caroline Seidel/dpa

Auch Füchse, Waschbären, Marder und Saatkrähen wissen das Stadtleben zu schätzen: Die Strukturen sind kleinteiliger, das Nahrungsangebot viel breiter als in von der Agrarwirtschaft aufgeräumten Gebieten mit vielen Hektar Raps, Mais und Spargelfeldern. Auch diese organisierte Verantwortungslosigkeit macht Hobbygärtnern so verdienstvoll.

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