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Taifun "Hagupit" hat die Philippinen erreicht.

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Update

Taifun bedroht die Philippinen: "Wir verstecken uns im Kinderzimmer"

Der Taifun "Hagupit" erreicht die Philippinen. Und die Menschen versuchen sich auf den Supersturm vorzubereiten – eine Million Einwohner sind auf der Flucht. Dabei sind die Schäden, die "Haiyan" vor einem Jahr angerichtet hat, noch längst nicht beseitigt.

Kurt Behringer ist kein Mann ausschweifender Worte. "Alle zittern", bringt er auf den Punkt, wie den Menschen in Salcedo auf den Philippinen im Angesicht des neuen Supertaifuns zumute ist, ihm auch. Seit "Haiyan" vor einem Jahr die Gemeinde mit den 41 Dörfern verwüstete, lebt der Deutsche dort und baut Häuser, Schulen und Kindergärten wieder auf.
"Hagupit" heißt der als Ungeheuer empfundene Supersturm diesmal international, die Philippiner nennen ihn "Ruby". Die renommierten Wetterexperten auf Hawaii wie in Japan beobachten ihn seit Tagen. Am Freitag sah es zunächst so aus, als schwäche er sich ab, am Samstag wurde die Warnstufe wieder heraufgesetzt. Nach Angaben der Experten ist "Ruby" zwar etwas langsamer, aber das muss nicht heißen, dass er mit seinen 600 Kilometern Durchmesser weniger zerstörerisch sein wird. Eine Million Menschen sind bereits auf der Flucht. "Ruby" nimmt offenbar fast die gleiche Route wie der Vorgänger. Am Samstag erreichte er im Osten der Philippinen die abgelegene Insel Samar – hier liegt auch Borongan, ein Ort, der 2013 nicht so schwer getroffen wurde wie die Gemeinden südlich: Hernani, Salcedo, Guiuan. Dort sind die Schäden noch längst nicht beseitigt.

Vor allem dort nicht, wo staatliche Stellen verantwortlich sind. Präsident Aquino hat Ende Oktober den nationalen Wiederaufbauplan unterzeichnet. Wegen Korruptionsvorwürfen und Kritik an schleppender nationaler Hilfe hatte er einen Sonderbeauftragten eingesetzt, Ex-Polizeichef Panfilo Lacson. Er bezifferte den Schaden auf 167 Milliarden Philippinische Pesos. Lacson sagte dem Tagesspiegel, er habe nach Kritik an schlechten Standards "sofort unsere Verantwortlichen beauftragt, das zu untersuchen".

Auf der Flucht: Hunderttausende suchen Schutz vor dem Sturm.
Auf der Flucht: Hunderttausende suchen Schutz vor dem Sturm.

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Der Regierungsplan sei gründlich geprüft worden, im Vergleich zu anderen Ländern hätten die Philippinen schnell reagiert. Zudem hätten ausländische Beobachter gesagt, die Philippinen seien schneller als andere Länder nach solchen Katastrophen, wies er Kritik zurück. Im November hätten nur noch 261 Familien in Zelten gelebt. Beim Wiederaufbau gehe es ihm darum, "die Lebensqualität zu verbessern". Bis 2016, dem Ende der Amtszeit Aquinos, sollten 80 Prozent der Projekte abgeschlossen sein. 200000 Häuser wurden versprochen, bis November waren nach Lacsons Angaben 1124 gebaut, bis Jahresende sind weitere 1748 geplant.

Präsident Aquino forderte am Samstag mit markigen Worten die Verantwortlichen auf, "alles Menschenmögliche" zu tun, um Schäden so gering wie möglich zu halten und Opfern schnell zu helfen. Einschränkend fügte er hinzu, dass am Ende er verantwortlich sei. "In einigen Fällen muss ich wirklich – wie soll ich sagen? – Druck ausüben und die Trägheit einiger Mitglieder der Bürokratie überwinden", zitierte ihn der Sender ABSCBN.

Armeechef Gregorio Pio Catapang verkündete, das gesamte Militär sei in höchster Alarmbereitschaft – auch, um diesmal Plünderungen zu verhindern. Verzweifelt auf Hilfe wartende Opfer, aber auch "Sturmgewinnler" hatten nach "Haiyan" Supermärkte und Geschäfte geplündert. Am Samstag patroullierten in der Großstadt Tacloban auf der Insel Leyte, die 2013 besonders schlimm getroffen wurde, bewaffnete Militärs.

Angst vor den Wellen

In Guiuan, dem südlichsten Zipfel von Samar, fühlen sich viele Menschen allerdings abermals im Stich gelassen. "Wir haben nichts zu essen, wir sind hier nicht sicher", ruft Sally Balbastro, die mit ihren fünf Kindern daheim ist, am Nachmittag ins Telefon. Der 43-Jährigen sitzt "Haiyan" noch in den Knochen: "Wir verstecken uns im Kinderzimmer." Sie hoffe, dass das Wasser dort nicht hineinlaufen werde. Nicht nur, falls die vorhergesagten viereinhalb Meter hohen Wellen bis zu ihrem wenige hundert Meter vom Meer entfernt liegenden Zuhause kämen und das Erdgeschoss überschwemmten.

Ihr ehemals stattliches Haus ist eine Ruine. Das zweistöckige Gebäude hat kein Dach mehr, die Treppe nach oben hat "Haiyan" weggerissen, dorthin gelangt man nur noch über eine so wackelige wie morsche Holzkonstruktion, für die Jüngsten, Christine (5) und Christian (6), keine Option. Das ehemalige Treppenhaus ist nicht einmal mit einer Plane abgedeckt. Auch am anderen Ende des gefliesten Wohnzimmers guckt die Familie direkt in den Himmel. Wenn es seither geregnet hat, haben sie das Wasser eben rausgewischt, wie sie vor wenigen Wochen Besuchern erzählte.

Viele Menschen sind in öffentlichen Gebäuden untergekommen. Sie konnten nur das Nötigste mitnehmen.
Viele Menschen sind in öffentlichen Gebäuden untergekommen. Sie konnten nur das Nötigste mitnehmen.

© dpa

Inzwischen stehen vor dem Haus einige Wellblechplatten, die sie als Spende bekam. Aber Sally Balbastro konnte das Dach nicht reparieren, die Nachbarn waren mit den eigenen Häusern beschäftigt. Allein ihr Dach würde nach Expertenschätzung 5000 Euro kosten. Sally Balbastro ist offiziell als Opfer von "Haiyan" registriert, die Regierung hat ein paar Monate für drei Kinder Schulgeld gezahlt, seit dem Sommer kam aber nichts mehr, sagt sie.

Spenden von Tagesspiegel-Lesern

In Salcedo bereiten Bürgermeister Melchor Mergal und Rey Padit die Dörfer auf den Taifun mit Tsunamiwellen vor. Als Evakuierungsorte dienen die Schulen und Häuser, die mit 106 000 Euro Spenden von Tagesspiegel-Lesern aufgebaut wurden: "Ohne diese Gebäude wäre das ein Albtraum für uns. Wir hätten nicht gewusst, wo wir unsere Leute unterbringen sollten", erklärte Padit.

Derweil nageln die Bewohner Sperrholz oder Bleche vor ihre Fenster, verzurren so so gut wie möglich ihre Dächer, berichtet Kurt Behringer. "Ich war in Jagnaya und Asgad, um den Einzug der Familien zu beschleunigen, um sie und ihre Habseligkeiten in Sicherheit zu bringen." Sein Team baute an der Schule in Salcedo Gerüste ab, "damit die scharfkantigen Wellbleche nicht durch die Luft fliegen". Außerdem nahm Behringer im Büro Nachbarn auf, deren Hütten "Ruby" wohl nicht überstehen.

Über der Hilfe für die anderen kam die eigene Vorbereitung etwas zu kurz. "Ich habe nicht sehr viele Vorräte, da nach den Hamsterkäufen alle Geschäfte leer gekauft waren", sagt Behringer. Er habe auch kein Benzin mehr für die Generatoren auftreiben können. Es werde aber wohl ab Sonntag keinen Strom, keinen Handyempfang und kein Internet geben. "Es kann sich aber nur um Tage oder Wochen oder Monate handeln."

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