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Technisch unzulänglich, dafür blitzblank. Die Londoner U-Bahn wird dem Ansturm kaum gewachsen sein.

© Reuters

Teuer, gefährlich, lästig: Londoner fürchten Olympia

Die Londoner fürchten die Olympischen Spiele. Sie gelten als teuer, gefährlich und lästig – und werden die Stadt auf eine harte Probe stellen.

Was ist das größte Risiko für die reibungslose Durchführung der Olympischen Spiele London 2012? Die noch ziemlich neue Jubilee Line, glaubt das Londoner Stadtparlament. Seit dieser Woche sollen die Züge im Zwei-Minuten-Takt fahren, 30 Züge pro Stunde, direkt zum Olympiagelände nach Stratford in Ost-London. Aber Pannen der neuen Signaltechnik bringen immer wieder Züge zum Stillstand. „Extrem beunruhigend“, sorgt sich Stadträtin Caroline Pidgeon. „Wir müssen absolut sicher sein, dass der Service bis zum Sommer von Grund auf transformiert ist.“ 650 000 Menschen nutzen die Linie jeden Tag. Während der Sommerspiele sollen bis 800 000 zusätzliche Nutzer des Verkehrssystem in der Stadt sein.

Andere Risiken hat die Boulevardzeitung „Sun“ identifiziert. Mehr als 100 wegen terroristischer Verschwörungen verurteilte und vorzeitig freigelassene Extremisten würden während der Spiele Londons Straßen unsicher machen. „Wahnsinn“, kommentiert die Zeitung und berichtete über den Plan einer „Al-Qaida-Gruppe“, mit BlausäureAttentaten die Spiele zu stören. Chefpolizist Chris Allison, Nationaler Olympischer Sicherheitsberater, geht auf solche Geschichten aus Prinzip nicht ein. „Wir zelebrieren den Sport, nicht unseren Sicherheitsapparat“, so lautet die Devise von Polizeisprecher Tim Wisemann.

Weniger als drei Monate vor den Spielen sind nur wenige Londoner davon überzeugt, dass die Organisatoren Großbritanniens „größte logistische Operation in Friedenszeiten“ im Griff haben, wie der Olympiasprecher das „größte Ereignis der Welt“ nennt. Stella McCartney, Beatles-Tochter und Designerin, stellte jüngst ihre Trikot-Designs für die britischen Olympioniken vor und frohlockte: „Man kann die Vorfreude jetzt richtig auf Londons Straßen spüren.“ Aber wer sich umhört, spürt eher Unmut, Nervosität und Angst vor Chaos, Gedränge und explodierenden Kosten. Einer Umfrage zufolge bezeichneten sich im Januar nur 32 Prozent der Briten als „gespannt auf die Spiele“.

Peter Bolt jedenfalls, ein Rentner im Trilby-Hütchen, der den Bauarbeiten in der Oxford Street zusieht, fängt gleich zu schimpfen an. „Wir hätten uns nie darauf einlassen sollen. Durcheinander, Staub und noch mehr Schulden, das ist alles, was wir davon haben.“

Europas längste Einkaufsstraße rüstet sich für den Olympiaansturm. In allen Ecken und Enden Londons werden Bürgersteine verbreitert, Verkehrsinseln angelegt, Straßen neu asphaltiert. London will sich den Besuchern in seiner schönsten Pracht präsentieren, mit Freiluftkonzerten, Straßenakrobaten, kostenlosen Olympiaübertragungen, Sport für die glücklichen Ticketbesitzer – und zwischendurch Dauer-Shopping, damit auch die Wirtschaft auf ihre Kosten kommt. Alle Einkaufsbeschränkungen und Ladenschlussgesetze werden während der Olympischen Spiele suspendiert. Aber während Bürgermeister Boris Johnson von der „größten Party der Geschichte“ träumt, hat Bolt andere Sorgen: „Schon jetzt funktioniert doch nichts in dieser Stadt. Unsere Infrastruktur ist viel zu alt und überlastet.“

Verhandlungen mit den U-Bahn-Arbeitern über einen vorausbezahlten „Olympiabonus“, der streik- und reibungsfreie Überstunden garantieren sollte, sind erneut gescheitert.

Den Gewerkschaften sind die angebotenen 850 Pfund nicht genug, sie fordern 2000 Pfund. Für sie ist Olympia eine Gelegenheit, sich für das Sparprogramm der Regierung zu rächen. „Die Attacken auf den öffentlichen Dienst sind so tief und ideologisch, undenkbar, dass die Welt nach London kommt und wunderbare Spiele hat, als sei alles voller Rosen“, warnte Len McCluskey, Chef der Gewerkschaft Unite.

Finden die Gewerkschaften doch wenig Sympathien bei den Londonern, einig ist man sich aber im Zorn über die 109 Straßenmeilen, auf denen sich das Internationale Olympische Komitee Extraspuren für freie Fahrt hat reservieren lassen.

„Zil Lanes“ heißt das „Olympic Route Network“ bei den Londonern, nach den Moskauer Bonzenspuren aus Sowjetzeiten. „Es sind weniger als ein Prozent der Londoner Durchgangsstraßen“, entschuldigt sich Olympiachef Sebastian Coe, hat aber keine rechte Antwort auf die Frage, ob auch Sponsoren freie Fahrt haben, während andere im Stau stehen.

„Ich fordere alle Mitglieder des Olympischen Komitees auf, mit der U-Bahn zu fahren“, versuchte Londons Bürgermeister Boris Johnson den Streit zu schlichten. Er will Anfang Mai wiedergewählt werden und muss nun aufpassen, dass die Olympia-Unzufriedenheit ihm nicht einen Strich durch die Rechnung macht.

Londoner sollen jetzt auf der Internetseite „Get Ahead of the Games“ die Verkehrsknotenpunkte und Stoßzeiten studieren, die sie während der Spiele vermeiden sollen. 30 Prozent der Londoner, so hofft die Verkehrsverwaltung, sollen „von zu Hause“ arbeiten oder in Urlaub gehen, damit nicht alles zusammenbricht.

„Und wenn Krankenwagen im Verkehr stecken bleiben?“, fragt Bolt. Er will gehört haben, dass nicht einmal Krankenwagen die Bonzenspur benutzen dürfen. Nach den Kosten fragt man ihn am besten gar nicht.

Der Streit, wie viel die Olympischen Spiele nun wirklich kosten, tobt in Zeitungen und Parlamenten. Sky News kam auf 24 Milliarden Pfund – das Zehnfache der im Voranschlag der Olympiabewerbung 2005 genannten 2,37 Milliarden.

Der Sender rechnete Extrakosten für Dopingkontrolle, Kunstfestivals, die Sondervergütungen für die 13 000 Angestellten der Verkehrsbetriebe, die Überstunden der Polizisten, die neuen Bürgersteige und sogar die 6,5 Milliarden Pfund für den Ausbau des U-Bahn-Netzwerks dazu, den Bürgermeister Johnson mit dem Olympia-Argument vorangetrieben hat.

Margaret Hodge, Vorsitzende der Haushaltskommission im Parlament, glaubt, dass die Spiele mindestens elf Milliarden Pfund kosten. „Das Bauprogramm blieb beispielhaft im Kostenrahmen“, lobt sie, aber die Durchführung der Spiele und vor allem die Sicherheit schlagen nun zu Buche. „Es ist skandalös, dass die ursprünglichen Berechnungen der Sicherheitskosten so falsch waren“, schimpft Hodge.

Rentner Bolt hält nichts von diesen Berechnungen. „Jeder Londoner hat mindestens 150 Pfund an Sondersteuern für die Spiele bezahlt. Fragen Sie mal, wie viele von uns Tickets für Olympia gekriegt haben.“

Hat er etwa Karten für die Spiele beantragt? „Niemals“, sagt Peter Bolt. „Ich werde einen großen Bogen um die Spiele machen.“

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