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Thronwechsel in den Niederlanden: Überall freie Bürger

Die niederländische Hauptstadt Amsterdam hat ein traditionell ambivalentes Verhältnis zum Haus Oranien – und feiert mit.

Eine Krone trägt der neue König nicht. Die liegt auf einem Tisch, zusammen mit einem in Samt gefassten Exemplar des Grundgesetzes und einigen Symbolen des Königtums wie dem Reichsapfel, der Reichsstandarte und dem Reichsschwert (als Ausdruck der Macht der Obrigkeit). Es sind keine kostbaren Gegenstände. Dafür sind die Niederländer zu sparsam. Das Gold ist nur ein Überzug. Die Diamanten sind Imitate und stammen nicht aus dem früheren asiatischen Weltreich (heute Indien), wie es in England der Fall ist.

Auf dem Dam in Amsterdam wird eine riesige Menschenmenge stehen, die nach Ablauf der Feierlichkeit in der Nieuwe Kerk dem neuen König, seiner argentinischen Frau, Königin Máxima, und ihren drei Töchtern zujubeln wird. Eine Feierlichkeit wie diese findet nur einmal innerhalb einer Generation statt. Willem-Alexander wird an diesem 30. April 2013 der siebte in einer Reihe sein, die in Amsterdam in ihr Amt eingeführt wurden: Drei Könige und anschließend drei Königinnen (Wilhelmina, Juliana und Beatrix) gingen ihm in einer Periode von 200 Jahren voraus. Es wird auf dem Dam noch aus einem anderen Grund voll werden. Der 30. April ist seit 1948 ein nationaler Feiertag, Königinnentag, der offizielle Geburtstag des Staatsoberhauptes. Jedes Jahr ziehen Zehntausende aus dem ganzen Land nach Amsterdam.

Nicht jeder wird an diesem Tag Orange tragen und dem neuen Königspaar zujubeln. Einige Straßen weiter – am Spui, am Waterlooplein und an vier weiteren Orten in der Stadt – wird Bürgermeister Van der Laan denjenigen, die das möchten, Gelegenheit geben, für die Republik und gegen die Monarchie zu demonstrieren. Amsterdam ist eine tolerante Stadt und will diese Tradition bewahren. Vorläufig (niemand weiß es sicher) werden bei den republikanischen Demonstrationen ein paar tausend Menschen erwartet. Polizei zu Pferd wird die Demonstranten im Blick behalten.

Die Gemeindeverwaltung möchte keine Wiederholung der Ereignisse von 1980. Damals wurde im großen Stil randaliert – in der Umgebung des Dams wütete eine wahre Schlacht. Es war vor allem die Hausbesetzerszene, die Autonomen, die sich damals mit der Losung „Keine Wohnung, keine Krönung“ Gehör verschaffte. Erst am Königinnentag 1988 wurde zwischen Beatrix und Amsterdam bei einem unerwarteten und laut bejubelten Besuch im Zentrum der feiernden Stadt der Friede wiederhergestellt. Ein unbekannt gebliebener Zuschauer drückte ihr symbolisch einen Kuss auf die Wange.

1898 schenkte das Amsterdamer Bürgertum der jungen Königin Wilhelmina bei ihrer Amtseinführung eine goldene Kutsche. Das mit goldfarbenen Paneelen beschlagene Fahrzeug wurde von der Stellmacherei Spijkers, heute eine Fabrik für exklusive Sportwagen (Spyker Cars), produziert. Auf der Rückseite prangt das Amsterdamer Wappen. Die Goldene Kutsche ist das teuerste und dauerhafteste Werbegeschenk der niederländischen Geschichte. Nach mehr als 100 Jahren versieht das Fahrzeug noch immer seinen Dienst am Prinsjesdag, dem dritten Dienstag im September, wenn die Sitzung der Staten-Generaal mit viel zeremoniellem Aufwand eröffnet wird.

Die Kutsche wird auch bei fürstlichen Hochzeiten benutzt. So etwa 1966, als Prinzessin Beatrix in Amsterdam ihren deutschen Mann, Claus von Amsberg, heiratete. Als ehemaligem Soldaten der Wehrmacht begegnete man ihm in den Niederlanden mit Misstrauen. Die Fotos der Goldenen Kutsche, die durch Rauchbomben der Sicht entzogen war, gingen um die Welt. Das Gefährt wurde auch 2002 bei der Hochzeit von Willem-Alexander und Máxima gebraucht, wieder in Amsterdam. Die Kutsche ist wirklich eine Ikone des niederländischen Staates, zusammen mit dem Concertgebouworkest und der „Nachtwache“ von Rembrandt, dem berühmten Gemälde, das seit dem 13. April wieder im neu eröffneten Rijksmuseum zu sehen ist.

Dass die Oranier in Amsterdam in ihr Amt eingeführt werden, hat noch einen anderen Grund, der direkt der niederländischen Geschichte entlehnt ist. Die Dynastie Oranje-Nassau und die Stadt Amsterdam waren jahrhundertelang Rivalen. Diese Rivalität reicht bis zum Beginn der niederländischen Geschichte zurück. Die heutigen Niederlande waren von 1581 bis 1795 eine Republik, die stolze Republik der Sieben Vereinigten Provinzen. Die Oranier waren damals noch keine Könige, sondern Statthalter. Der Statthalter vertrat den Landesherrn, in diesem Fall den spanischen König, den es nicht mehr gab. Der König, Philipp II. – Sohn von Kaiser Karl V. – war von den freiheitsliebenden Niederländern zu Beginn des Aufstandes von 1568 verjagt worden.

Die Regenten hatten mit den Oraniern kein festes Band

Der erste Statthalter der Republik war Willem, Graf von Nassau, Prinz von Oranien (1533-1584). Er ist der Gründer des niederländischen Staates, der Vater des Vaterlands. Und er ist der Gründer der Oranierdynastie. Seine Söhne Maurits und Frederik Hendrik waren Feldherren von europäischem Ruf. Königin Beatrix stammt in der weiblichen Linie direkt von Willem van Oranje ab. Nirgends in Europa ist das nationale Fürstenhaus so eng mit der Geschichte der Landesentstehung verbunden wie in den Niederlanden. Auch die niederländische Nationalhymne, der Wilhelmus, der noch immer bei internationalen Fußballwettkämpfen gesungen wird, ist durch den Kampf Willem van Oranjes gegen den spanischen König inspiriert.

Während des Achtzigjährigen Krieges (1568-1648) stiegen die Oranier in Europa zu großem Ansehen auf. Ein Sohn Fredrik Hendriks heiratete die englische Königstochter. Eine Tochter, Louise Henriette, ehelichte den „Großen Kurfürsten“, Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1620-1688). Auch die Hohenzollern dürfen sich daher Prinzen von Oranien nennen. Ein Enkel Frederik Hendriks, Statthalter Willem III. (auch mit einer englischen Prinzessin vermählt) führte 1688 die Glorious Revolution gegen seinen katholischen Schwiegervater an und wurde König von England.

Auch die Republik der Sieben Vereinigten Provinzen erlebte zwischen 1600 und 1700 ihr Goldenes Jahrhundert. Mit dem Frieden von Münster 1648, der den Achtzigjährigen Krieg in den Niederlanden beendete, wurde die Republik ein unabhängiger Staat – einer der mächtigsten im damaligen Europa. Das war bemerkenswert, denn sie war nicht mehr als eine lose Föderation von Provinzen und Gebieten mit zusammen höchstens zwei Millionen Einwohnern.

Von diesen Gebieten war Holland das weitaus wichtigste und Amsterdam wiederum die mächtigste Stadt Hollands. Sie war das Handels- und Finanzzentrum Europas. Auf dem IJ vor Amsterdam (früher ein Meeeresarm der Zuidersee), auf dem Willem-Alexander und Máxima am 30. April nach Ablauf der Amtseinführung mit dem Boot fahren werden, lagen eine mächtige Kriegs- und Handelsflotte vor Anker. Laufen Sie einmal entlang der Grachten und betrachten Sie die prächtigen Häuser an der Herengracht, der Keizersgracht und der Prinsengracht. Ihr Bauplan stammt von 1613. Sie wurden mit dem Geld, das im Ostseehandel (Getreide und Holz) und mit den Reisen in die niederländischen Kolonien in Asien, Afrika und Amerika (Gewürze, Zucker, Gold und Sklaven) verdient wurde, gebaut. Jedes Jahr wurden große Flotten nach dem heutigen Indonesien entsandt. Zehntausende Deutsche und Skandinavier zogen in die Stadt, um auf den Schiffen der Vereinigten Ostindischen Kompagnie oder der West-Indischen Kompagnie anzuheuern.

Die Regenten – so hießen die Bürgermeister und anderen Honoratioren der holländischen und seeländischen Städte – hatten mit den Oraniern kein festes Band. Sie fühlten sich als freie Bürger in einer freien Republik. Sowie sie eine Gelegenheit dazu bekamen, widersetzten sie sich dem Machtstreben der Oranier. Die Bürgermeister von Amsterdam führten diesen Widerstand an. Das war 1650 der Fall, als der einzige noch lebende Oranier (der spätere Willem III.) ein wenige Monate altes Baby war. Eine statthalterlose Epoche begann. 1672 endete die Macht der Amsterdamer Regenten wieder, als der junge Prinz, nun volljährig, wiederum Statthalter wurde (und später König von England). In dieser Zeit übrigens arbeiteten Amsterdam und die Oranier eng zusammen gegen den gemeinsamen ausländischen Feind: Frankreich unter Ludwig XIV.

Eine neue statthaltlerlose Epoche folgte von 1702 bis 1747. Schließlich mussten preußische Truppen 1787 die Ordnung wiederherstellen, als der letzte Statthalter Willem V. – verheiratet mit einer preußischen Prinzessin – die Hilfe seines Schwagers, des preußischen Königs Friedrich Wilhelm II., gegen die republikanisch gesinnten „Patrioten“ erbat. Auch dieses Mal war Amsterdam der Kern des Widerstands. 1795 folgten 18 Jahre französischer Herrschaft.

Die Oranier hatten durchweg die Unterstützung des Volkes gegen die Regentenoligarchie. Diese Popularität besteht weiter. Königin Beatrix, Willem-Alexander und Máxima regen die Phantasie an. Sie sind das einende Element in den politisch jämmerlich gespaltenen Niederlanden. Meinungsumfragen zeigen, dass rund 80 bis 90 Prozent der Bevölkerung Anhänger der Monarchie sind. Geert Wilders ist eigentlich der einzige, der sich feindlich gegenüber Königin Beatrix aufgestellt hat. So warf er ihr pro-moslemische Sympathien vor, als sie bei einem Staatsbesuch in arabischen Golfstaaten ein Kopftuch trug. Das hat ihn viele Wähler gekostet; nun ist er vorsichtiger.

Eine Diskussion über die staatsrechtliche Position und den Einfluss der Königin oder des Königs gibt es im Moment nicht. Wohl wurde im vergangenen Jahr beschlossen, dass Beatrix bei der Kabinettsbildung keine Rolle mehr spielen soll, sondern dass die Zweite Kammer der Staten Generaal dies fortan selber tut. Das Ergebnis ist indes kein ungeteilter Erfolg. Die heutige Regierung von Ministerpräsident Rutte (eine Koalition von Liberalen und Sozialdemokraten) hat keine Mehrheit in der Ersten Kammer, wodurch die Sanierung der Staatsfinanzen, wie von Brüssel verlangt, sich verspätet. Doch das wird die Freude am 30. April nicht verderben. Willem-Alexander und Máxima wird man laut zujubeln, viele „Hochs“ und „Hurras“ werden erklingen in einem Amsterdam, das ein großes Fest feiert.

Der Autor ist emeritierter Professor der Universität Leiden. Er hat eine zwischen 1998 und 2001 erschienene zweibändige Biographie von Königin Wilhelmina sowie weitere Bücher über das niederländische Königshaus verfasst. Aus dem Niederländischen von Rolf Brockschmidt

Cees Fasseur

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