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Männliche Ferkel werden häufig wenige Tage nach der Geburt kastriert.

© Daniel Karmann/dpa

Tierschutz: Ferkel vor dem Verfassungsgericht

Der Tierrechtverein „Peta“ erhebt Verfassungsbeschwerde für unbetäubt kastrierte Schweine.

Von Ronja Ringelstein

Schweine können durch Quieken ihren Unmut ausdrücken – aber können sie klagen? Die Tierrechtsorganisation „Peta e.V.“ will das höchstrichterlich klären lassen. Am Dienstag wird der Verein im Namen gequälter Ferkel Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht einreichen. Das Besondere: Die Ferkel selbst sollen als Rechtspersonen auftreten, sind formal und inhaltlich Beschwerdeführer. Dass Tiere so an einem Prozess teilnehmen, ist in Deutschland eine Neuheit – und höchst umstritten. Die Karlsruher Richter könnten die Verfassungsbeschwerde der Schweine deshalb bereits an der Zulässigkeit scheitern lassen. Dann käme es gar nicht mehr zu der materiellen Prüfung. Hintergrund der Verfassungsbeschwerde ist die von Tierschützern als Quälerei angeprangerte Praxis der Kastration der Schweine. Jährlich werden etwa 20 Millionen männliche Ferkel in Deutschland kurz nach der Geburt kastriert, um den „Ebergeruch“, der den Geschmack des Fleisches beeinträchtigt, zu vermeiden. Bei der Kastration werde den Ferkeln meist ohne Betäubung die Haut über den Hodensäcken aufgeschnitten. Anschließend werden die Hoden herausgedrückt und die Samenstränge durchtrennt. Die Schweine sind bei der Prozedur bei vollem Bewusstsein.

Abschaffung immer wieder verschoben

Bereits 2013 wurde das Tierschutzgesetz dahingehend geändert, dass die betäubungslose Kastration nur noch bis Ende Dezember 2018 erlaubt sein sollte, dann aber beschloss der Bundestag kurz vor dem Auslaufen dieser Frist am 29. November 2018 auf Initiative der Bundesregierung, die Frist um weitere zwei Jahre zu verlängern. Der Hintergrund der Verlängerung: Den Bauern kam das Verbot zu früh, sie wollten den „geregelten Ausstieg aus der betäubungslosen Kastration“, hieß es damals vom Deutschen Bauernverband. Der „Kompromiss“ der Bundesregierung sah schließlich vor, dass es ab 2020 den Tierhaltern erlaubt sein soll, ihre Ferkel mit dem Narkosegas Isofluran selbst zu betäuben. Gegen diese Praxis und die gesetzlich festgelegte Verlängerung der Frist wendet sich nun Peta mit der Verfassungsbeschwerde.

„Die deutsche Gesetzeslage und der Umgang mit Tieren in unserer Gesellschaft stehen in eklatantem Widerspruch zueinander: Trotz des Tierschutzgesetzes und des in der Verfassung festgeschriebenen Staatszieles Tierschutz werden jeden Tag unzählige Tiere gequält und misshandelt“, sagt Harald Ullmann, zweiter Vorsitzender von Peta Deutschland e.V. in einer Erklärung des Vereins.

Schweine sollen Rechte einfordern können

„Damit die geltenden Rechtsbestimmungen endlich auch praktisch durchgesetzt werden, ist es unerlässlich, dass Tiere als Rechtssubjekte behandelt werden und sie die Möglichkeit haben, die Durchsetzung ihrer Rechte vor Gericht einzuklagen.“

Laut Grundgesetz entscheidet das Bundesverfassungsgericht über „Verfassungsbeschwerden, die von ,jedermann‘ mit der Behauptung erhoben werden können, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte verletzt zu sein“. Sind Schweine „jedermann“? Die Frage klingt philosophisch. Mit ihr wird sich das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe aber auseinandersetzen, denn die Antwort darauf wird entscheiden, ob Schweine – und andere Tiere – selbst in Karlsruhe klagen dürfen, also beschwerdebefugt sind oder nicht.

Tierschutz ist Staatsziel

Christian Arleth, Syndikusanwalt bei der Tierrechtsorganisation Peta, sagt: „Dass der Begriff ,jedermann‘ weit auszulegen ist, dürfte ja wohl klar sein“, streng genommen wären sonst ja bereits Frauen nicht mehr beschwerdebefugt. „Jedermann“ ist für Juristen derjenige, der Träger von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten ist. Dass die Schweine das Recht haben, selbst als Beschwerdeführer aufzutreten, leiten die Anwälte vom Peta e.V. aus der bestehenden Rechtsordnung ab: Die Fähigkeit, eigene Grundrechte zu haben und einzufordern, hänge davon ab, ob eine Person von der Rechtsordnung als „interessensfähig und intrinsisch schutzwürdig angesehen“ werde, sagt Christian Arleth. Dies sei bei den Ferkeln der Fall. „Die Tiere werden bereits durch eine Strafrechtsnorm im Tierschutzgesetz um ihrer selbst willen geschützt. Es gibt den Grundsatz der Freiheit von Leid und Schmerzen für jedes einzelne Tier“, daraus lasse sich der subjektive Rechtsschutz für die Tiere selbst und damit die Fähigkeit, diese Rechte selbst einzufordern, ableiten. Tierschutz ist als Staatsziel in Artikel 20 a des Grundgesetzes verankert.

Andernorts wurden Tiere bereits Rechte als „nicht-menschliche Person“ zugestanden. Beispielsweise war die Orang-Utan-Dame Sandra, die 2014 mittlerweile 20 Jahre lang in einem Zoo in Argentinien lebte, von einem Gericht in Buenos Aires aus ihrer „ungerechtfertigten Gefangenschaft“ freigesprochen worden. Sie sei zwar biologisch nicht mit dem Menschen identisch, wohl aber emotional und in Freiheit glücklicher, hatten Tierschützer argumentiert. Das Gericht war dieser Ansicht gefolgt.

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