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Titanic: Gegen einen Berg von Mythen

Vor 100 Jahren stach die Titanic in See. Seither ist vieles behauptet worden – Richtiges und Falsches. Eine Übersicht.

Seit das Wrack der Titanic 1985 in 3800 Metern Tiefe im Nordatlantik gefunden wurde, haben Experten die Reste des luxuriösen Dampfers erkundet, erforscht und mit den vorhandenen Informationen abgeglichen. Viele Mythen um das vor hundert Jahren versunkene Schiff konnten seitdem aufgeklärt oder korrigiert werden. Vom vierten Schornstein, der nur eine Attrappe gewesen sein soll, und es auch war. Vom Retten der Passagiere vor allem der ersten Klasse und dem Eisberg, der die Titanic längsseitig komplett aufgeschlitzt hat.

Zu wenig Rettungsboote

Wenn die Titanic die Anzahl der Rettungsboote an Bord gehabt hätte, die der erste Designer Thomas Andrews vorgesehen hatte, nämlich 48, dann hätten die 2224 Menschen an Bord theoretisch überleben können. Allerdings hatte die Reederei „White Star Line“ im weiterenVerlauf der Fertigstellung beschlossen, 16 Rettungsboote und 4 Faltboote müssten reichen. Mehr Boote hätten mehr Personal erfordert und mehr Platz auf den Promenadendecks geraubt. Die vorhandenen reichten für etwa 1000 Menschen.

Gefüllt wurden die Boote, von denen die Großen etwa 60 Menschen aufnehmen konnten, aber nur mit den 700 Passagieren und Schiffsangestellten, die schließlich gerettet wurden. Eine ganze Reihe von Booten ging halb leer auf die Reise, weggetrieben von der Angst derer, die schon einen Platz hatten, weil die Zeit knapp wurde oder weil vielleicht eine Befestigung riss. Mit ihren knapp bemessenen Rettungsbootplätzen erfüllte die Titanic dabei noch die damals gültigen Bestimmungen des britischen Handelsministeriums.

Genug Rettungswesten

Es gab für die Menschen an Bord genug Rettungswesten. Westen, wie sie damals aus Kork gefertigt wurden. Bei den Wassertemperaturen um den Gefrierpunkt im April im Nord-Atlantik überlebt der Mensch jedoch nur Minuten, keine Stunden im Wasser, wie der Physiker Metin Tolan in seinem Buch „Titanic mit Physik in den Untergang“ ausführt. Da nützt auch keine Rettungsweste. Zumal der Körper im Wasser viel schneller auskühlt als an der Luft.

Die Moral der Mittelschicht

Untergang erster Klasse

An Bord der Titanic starben 1513 Menschen. Unter ihnen reiche ebenso wie einflussreiche Männer: Multimillionär John Jacob Astor IV., Benjamin Guggenheim, einer der reichsten Männer der USA, außerdem der Unternehmer und kurzzeitiges Mitglied im US-Repräsentantenhaus Isidor Straus, der Industrielle George Dennick Wick und der militärische Präsidenten-Berater Major Archibald Willingham Butt. Joseph Bruce Ismay dagegen, Erbe der White Star Line und, nachdem er sie verkauft hat, noch Präsident der Gesellschaft, rettet sich in ein Boot.

Rettung erster Klasse

Gerettet wurde tatsächlich nach dem Motto der britischen Seefahrt „Frauen und Kinder zuerst“. Unter dieser Perspektive stimmt die These, vorrangig Passagiere der 1. Klasse hätten überlebt, nicht ganz. Es haben mehr Frauen und Kinder der 3. Klasse überlebt als Männer aus den vornehmen Decks der 1. Klasse. Allerdings waren es doch 140 von 144 Frauen der 1. Klasse, die in ein Rettungsboot gelangen konnten. Aus der 2. Klasse waren es noch 80 von 93 und in der 3. Klasse überlebten nur noch 76 von 165. Bei den Männern der 1. Klasse wurden 57 von 175 gerettet, 68 Prozent ertranken. In der 3. Klasse starben 387 von 462 Männern, das sind 84 Prozent. In der 2. Klasse starben sogar 92 Prozent der Männer, nur 14 von 168 konnten gerettet werden. Und 56 von 109 Kindern überlebten die Katastrophe. Besonders dramatisch ist die Opferzahl bei der männlichen Besatzung. Von 885 Männern gingen 693 mit ihrem Schiff unter, nur 192 haben überlebt. Die Männer blieben an ihren Plätzen im Maschinenraum, am Funkgerät, bei den Rettungsbooten. Von den 23 weiblichen Besatzungmitgliedern wurden 20 gerettet. Dass in der 2. Klasse 92 Prozent der Männer starben, wird als Beleg dafür gesehen, dass diese Schicht die gesellschaftlichen Werte am stärksten verinnerlicht hatte. Diese Männer weigerten sich nahezu vollständig, in die Rettungsboote zu steigen, obwohl viele die Gelegenheit dazu gehabt hätten.

Barrieren zum Deck

Die besseren Überlebenschancen der 1. Klasse erklären Experten mit den Gegebenheiten auf dem Schiff: Die 1. Klasse war bereits an Deck, schneller an den Rettungsbooten und sich schneller im Klaren darüber, was passierte. Die Menschen aus den unteren Decks mussten sich, auch noch unter Umgehung von permanent verriegelten Übergängen zwischen den Decks, erst nach oben durchkämpfen. Informiert wurden sie sicherlich auch nicht ebenso schnell wie die Menschen, die schon oben waren und die Chance hatten zu sehen, was passierte.

Schwimmender Luxus

Die luxuriöse Ausstattung der 1. Klasse auf der Titanic ist viel beschrieben; das Schwimmbad, das türkische Bad, der Fitnessraum, der Squash-Platz, die edle Holzvertäfelung und die Kronleuchter, große Kabinen, feinste Dinner. Allerdings waren auch 2. und 3. Klasse für die damaligen Verhältnisse offenbar komfortabel. Noch in der 3. Klasse gab es Zwei-, Vier- und Sechsbett-Zimmer mit Doppelstockbetten und einer Waschgelegenheit. Es war zwar eng, aber kein Massenpferch wie oft dargestellt. In einem Nachbau erinnert eine solche Doppelstockbett-Kabine an ein kleines Jugendherbergszimmer.

Eisberge in Sicht

Südroute im Frühjahr

Die Gefahr durch Eisberge, insbesondere im Winter und im Frühling war bekannt. Allerdings gab es eine Süd- wie eine Nordroute von Europa nach New York. Die Nordroute galt im Winter und Frühling gerade wegen der Eisberge als zu riskant. Und die Titanic ist die südliche Winterroute gefahren, entgegen der verbreiteten Annahme, der Kapitän habe die kürzere und gefährlichere Nordroute gewählt. Kapitan Smith wurde unterstellt, er habe das blaue Band der schnellsten Atlantik-Überquerung erringen wollen. Das war jedoch schon aufgrund der Maschinenleistung der Titanic nicht im Bereich des Möglichen. Nach neueren Untersuchungen, die das Magazin „Der Spiegel“ jetzt zitiert, könnten aber wohl im April vor hundert Jahren durch eine ungewöhnliche Konstellation von Sonne, Erde und Mond die Gezeiten besonders stark gewesen sein – und auch große Eisberge über jene flachen Gewässer vor Neufundland und Labrador hinweggehoben haben, die normalerweise die großen Eisberge aufhalten.

Eisberge in Sicht

Von Grönland brechen jährlich tausende Eisberge ab, in unterschiedlichen Größen. Es war bekannt, dass im Jahr 1912 viele Eisberge mit großem Tiefgang die flachen Gewässer überwunden hatten und bis zur winterlichen Südroute vorgedrungen waren. Bei Tag allerdings konnten die Seeleute die Eisberge frühzeitig von Weitem erkennen und entsprechend den Kurs korrigieren. Bei Nacht herrschten schlechtere Bedingungen, dazu kam möglicherweise ein Wetterphänomen, das die Sicht weiter eintrübte.

Weggeschlossene Ferngläser

Insbesondere aber hatten die beiden Seeleute im Krähennest hoch über dem Schiff keine Ferngläser. Die hatte offenbar der ursprünglich eingeteilte zweite Offizier David Blair in einem Schrank eingeschlossen. Das britische Auktionshaus „Henry Aldridge & Son“ zumindest rühmt sich, die entsprechenden Schlüssel im Angebot zu haben. Es sollte verhindert werden, dass die wichtigen Instrumente im Chaos der Abfahrt verloren gehen. Nicht die Ferngläser gingen verloren, wohl aber der zweite Offizier David Blair. Er wurde noch vor dem Ablegen ausgetauscht, und mit ihm das Wissen um die weggeschlossenen Ferngläser. Heute sind sie in einem Museum hinter Glas zu bestaunen.

Warnungen am Morgen

Bevor die beiden Matrosen im Ausguck gegen 23 Uhr 40 etwas unbestimmtes Dunkles sichteten und Alarm gaben, traf die erste Eisbergwarnung auf der Titanic schon am Morgen des 14. April ein. Am frühen Nachmittag kam dann die Warnung eindringlicher. Nahe der Titanic hatte ein anderes Schiff Eisberge gesichtet. Und schließlich, zwei Stunden vor der Katastrophe, empfingen die Funker auf der Titanic eine Warnung vor Eisbergen genau auf dem Kurs des Schiffes. Die Meldung jedoch gelangte nicht zur Brücke.

Den Stahl geritzt

Der Eisberg

Jener Eisberg, mit dem die Titanic schließlich kollidierte, war nach derzeitigen Erkenntnissen insgesamt 140 Meter hoch, davon allerdings nur etwa 20 Meter über der Wasseroberfläche. Unter Wasser hatte er ziemlich sicher eine breitere Ausdehnung, wie Physiker Tolan beschreibt. Die Titanic war damit dem Eisberg noch näher, als die Männer im Krähennest es sehen konnten, geschätzte 300 Meter. Ausreichend Zeit für eine rettende Reaktion hatte der diensthabende erste Offizier William McMaster Murdoch jetzt nicht mehr. „Volle Kraft zurück“ und „Hart Steuerbord“ waren nach der Rekonstruktion seine ersten Befehle. Gedrosselt sollte die Titanic damit den Eisberg rechts liegen lassen. Damit das Heck dann aber nicht voll auf den Eisberg prallen würde, was passiert wenn der Bug dem Berg ausweicht, gab Murdoch dann wohl den Befehl „Hart backbord“. Die Titanic schrammte am Eisberg entlang, Experten sprechen von sechs kleinen Rissen von insgesamt nur 1,2 Quadratmetern Gesamtfläche, die der Eisberg in die rechte Seite des Schiffes riss.

Stahlplatten

Sicherheitshalber ließ der Offizier die Schotten schließen, die das Schiff von Bug nach Heck in einzelne Elemente teilte. So soll verhindert werden, dass ein gesamtes Schiff voll Wasser läuft, wenn nur an einem Element ein Leck ist. Experten haben dargestellt, dass der Eisberg die Titanic dabei nicht aufgeschlitzt hat, wie lange angenommen wurde. Vielmehr ist das Schiff vermutlich mehrfach gegen den Eisberg geprallt, wobei sich an den Nietstellen der Stahlplatten, aus denen das Schiff gefertigt war, Ritzen bildeten, durch die das Wasser in insgesamt sechs Kammern einströmte. Sechs Kammern, das war zu viel. Wären die Stahlplatten an nur zwei Stellen auseinandergerissen worden, hätte die Titanic dank des Schottenprinzips vermutlich die Kollision überstanden. Gegen 2 Uhr 20 ging die Titanic unter.

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