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Panorama: Tool und Weezer: Ganze Rocker, halbe Rocker

1996 war ein gutes Jahr für die Rockmusik, die nach dem Ende des Grunge-Booms erst ganz langsam wieder zur Besinnung kam: "Aenima" von Tool und Weezers "Pinkerton" erschienen damals. Zwei Platten, die das Spektrum dessen ausmessen, was man mit Gitarre, Bass, Schlagzeug und Gesang anstellen kann: Zwischen Weezers schrill schepperndem Power-Pop und Tools konstruiertem Intelligent-Doom lagen Welten.

1996 war ein gutes Jahr für die Rockmusik, die nach dem Ende des Grunge-Booms erst ganz langsam wieder zur Besinnung kam: "Aenima" von Tool und Weezers "Pinkerton" erschienen damals. Zwei Platten, die das Spektrum dessen ausmessen, was man mit Gitarre, Bass, Schlagzeug und Gesang anstellen kann: Zwischen Weezers schrill schepperndem Power-Pop und Tools konstruiertem Intelligent-Doom lagen Welten. Bis jetzt die Nachfolgealben der Meilensteine erscheinen, hat es fast fünf Jahre gedauert: Fünf Jahre, in denen kaum ein Monat ohne Gerüchte über die Bands verging. Fünf Jahre, in denen Limp Bizkit, Blink 182 und Konsorten Rockmusik in eine Glaubwürdigkeitskrise stürzten. Fünf Jahre, in denen man Weezer und Tool gebraucht hätte.

Die Erwartungshaltung für Tool wurde hemmungslos geschürt. Wer so auf die Pauke haut, riskiert verdammt viel. Doch Tool gelten als Genies. Dienen als Maßstab, um Radiohead als Schuljungs abzuqualifizieren. "Es wird Monate dauern, diese Platte in ihrer Gesamtheit zu verstehen", kniet ein Rezensent ehrfurchtsvoll vor "Lateralus". Die Begeisterung um Tool hat etwas Sektiererisches - ein Eindruck, dem die Band bereitwillig zuarbeitet. Videos, CD-Artwork, Songtexte und Keenans divenhaft ausgelebtes Künstlertum sind mehr als Zutaten zur Musik des esoterisch angehauchten Gesamtkunstwerkes Tool.

Fast 80 Minuten dauert Tools neues Passagen-Werk, das überzeugt, ohne die maßlosen Vorschusslorbeeren rechtfertigen zu können. Schleppende Gitarrenpassagen wechseln mit verhaltener Akustik in Stücken meist um die Achtminutengrenze. Orientalische Rhythmus-Ornamente treffen auf doomiges Gitarren-Mauerwerk, immer wieder zerrissen von Taktwechseln und abrupten Brüchen. Einfache Songstrukturen sucht man vergebens. Keine Lieder gibt es hier zu hören, sondern Arrangements: elegisch, bombastisch, aggressiv. Nichts wirkt emotionslos, aber alles kühl konstruiert. Tools Heavy Metal klingt, als hätten Helmet oder die befreundeten Melvins bei Peter Greenaway Remixe in Auftrag gegeben.

Chartbreaker klingen anders, sollte man meinen. Doch schon vor "Lateralus" hatten Tool mehr als sieben Millionen Platten verkauft. Jetzt kommt die eine oder andere dazu, wie die Hitlisten verraten. Tool, die man mitsamt ihrer Musik bewundern, aber nicht lieben kann, sind vor Missy Elliott und Janet Jackson platziert - kaum zu glauben.

Auch Weezer tummeln sich derzeit in den illustren US-Top-Ten. Die Geschichte des amerikanischen Power-Pop-Quartetts ist die von Sänger und Gitarrist Rivers Cuomo. Sie ist voll märchenhafter Missverständnisse: 1994 veröffentlichte die Gruppe ihr selbstbetiteltes Debüt und schaffte auf Anhieb den doppelt platinveredelten Durchbruch. Die Single "Buddy Holly" wurde ein Hit, nicht zuletzt wegen des Videos von Clip-Künstler Spike Jonze. Der Regisseur, bekannt unter anderem durch seine Arbeiten für Fatboy Slim und den Film "Being John Malkovich", entwarf eine Parodie der amerikanischen Sitcom "Happy Days" und ließ die Musiker darin ziemlich bescheuert aussehen. Für naiven kid rock hielten das viele, aber schön war es trotzdem. Heute legt Cuomo Wert darauf, "Buddy Holly" sei ironisch gemeint gewesen, was damals freilich niemand zur Kenntnis nahm.

Auch zwei Millionen verkaufte Platten heilten die Selbstzweifel des introvertierten Songwriters nicht. Der bebrillte Normalo, dessen Zimmerwände Kiss-Plakate zierten, zog sich erst einmal nach Harvard zurück, studierte und ließ eine Gehbehinderung operativ behandeln. 1996 kam dann "Pinkerton" heraus, Cuomos Trotzreaktion gegen ein Popstarleben, das er nicht führte: viel rauer als das Debüt, mit brüllend verzerrten Gitarren und schepperndem Schlagzeug. Heute gilt die Platte als Meilenstein. Damals war sie ein Mega-Flop.

Das dritte Album knüpft schon in der Covergestaltung am Debüt an. Cuomos Emotionswogen scheinen sich geglättet zu haben, der Weg geht zurück zur Halbstarken-Lyrik des Debüts: die erste Liebe, das College, "O Girlfriend". Das erinnert an Kaugummi, Zahnspange und Jennifer Capriati, deren Weg vom Teenie-Star über die Depression zum glanzvollen Comeback ganz parallel verlaufen ist. Insgesamt wirken die zehn neuen Popsongs ein wenig glatt und kalkuliert. Mit Dreiminutenstücken, zuckersüßen Melodien, Hooklines ohne Ende und Gitarren im widescreen-Format wollen Weezer wenig falsch machen. Einzig die erste Single "Hash Pipe" fällt mit zähem Stadionrock aus dem Rahmen. Besser als die Konkurrenz sind Weezer trotzdem, vermutlich weil sie sich immer noch nicht richtig wohl in ihrer Haut fühlen. Wie sagte Schlagzeuger Pat Wilson unlängst im "Spex"-Interview? "Wir sind nur eine Popgruppe mit Marshallverstärkern. Wir versuchen zu rocken, schaffen es aber immer nur halb."

Jan-Arne Sohns

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