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Toter Staatsanwalt: Dachau und die Stille nach dem Schuss

Nach dem Tod des Staatsanwalts in Dachau denkt die Justiz über Sicherheit in Gerichtsgebäuden nach. Muss demnächst vor jedem kleinen Prozess gefilzt werden wie auf einem internationalen Flughafen?

Die Spurensicherung hat ganze Arbeit geleistet. Am Tag danach weist nur mehr wenig auf das blutige Geschehen hin, das sich am späten Dienstagnachmittag zugetragen hat. Auf dem Max-Emanuel-Platz in Dachau, hoch oben vor dem mächtigen Schloss und dem kleinen Amtsgerichtsgebäude, stehen noch ein paar Fernsehübertragungswagen. Polizeiabsperrungen sind weiterhin provisorisch angebracht, aber der Platz ist menschenleer. In Dachau kehrt eine Art beklemmende Stille ein. Der Amtsgerichtsdirektor hat einen Zettel an die Tür kleben lassen, auf dem lapidar geschrieben steht: „In dieser Woche werden beim Amtsgericht keine weiteren Sitzungen abgehalten.“ Links neben der wuchtigen Eingangstür aus dunklem Holz liegt ein Strauß mit weißen Rosen und schwarzer Trauerschleife.

Im Sitzungssaal C des Amtsgerichtes fand am Tag zuvor ein Prozess wegen Hinterziehung von Sozialversicherungsbeiträgen statt. Es ging um 44 000 Euro und eine Bewährungsstrafe von einem Jahr – ein ganz normaler Fall, wie er täglich in deutschen Gerichtssälen verhandelt wird. Als der 54-jährige Angeklagte Rudolf U. aus Dachau, der einst eine Spedition betrieben hatte, das Urteil hört, zieht er eine Schusswaffe, Kaliber 6,35 Millimeter. Zweimal schießt er auf den Richter Lukas Neubeck. Dieser kann sich wegducken. Dann zielt er auf den 31 Jahre alten Staatsanwalt. Drei Kugeln feuert der Täter ab. Eine trifft in den Bauch, eine in den Arm und eine in die Schulter. Der Staatsanwalt stirbt später im Krankenhaus.

Während der Tat gingen manche Beschäftigte und Besucher im Gebäude von einem Amoklauf aus. Einige Menschen, so wird berichtet, rannten durch den Haupteingang ins Freie, andere versteckten sich auf Toiletten. Zollbeamte, die als Zeugen geladen waren, überwältigten den Täter.

Der Fall hat in Deutschland eine Sicherheitsdebatte ausgelöst. Müssen jetzt für sämtliche Prozesse Kontrollen wie am Flughafen eingerichtet werden?

Die Menschen in Dachau reagieren erst einmal fassungslos auf die Tat. „Das ist ganz furchtbar“, sagt eine ältere Frau bei sonniger Kälte vor einer Bäckerei in die Fernsehkamera hinein. Die 20 Kilometer von München entfernte Kreisstadt ist bekannt für ihre KZ-Gedenkstätte und das einstige Konzentrationslager während der NS-Herrschaft. Es kommen auch immer wieder Besucher wegen des Schlosses, einer ehemaligen Sommerresidenz der Wittelsbacher, und der schönen Altstadt. Nun aber steht Dachau ebenso für diesen Mord an einem jungen, aufstrebenden Juristen aus München.

Gestern ist Rudolf U. dem Haftrichter vorgeführt worden. Ärzte müssen entscheiden, ob er in eine psychiatrische Anstalt kommt. Er macht keine Aussagen, auch verweigert er einen Anwalt. Auf einem Foto bei seiner Festnahme sieht man einen untersetzten Mann mit grauem Haar und Schnauzbart. Nach einem Schlaganfall habe er seine Spedition vor zwei Jahren aufgegeben und dann teilweise in einem Pflegeheim gelebt, heißt es. Mit dem Gesetz war er zuvor nie in Konflikt geraten.

Der getötete Staatsanwalt Tilmann T., der sein Büro in München hatte, steckte gerade in der Promotion, war einer der besten Juraabsolventen seines Jahrganges an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität und hatte zuvor einige Zeit in New York studiert.

Noch am Abend reiste Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) an. Sie zeigte sich „fassungslos und entsetzt“. Bei diesem Gerichtsverfahren habe niemand damit rechnen können, „dass solch eine brutale Straftat begangen wird.“ Sie selbst habe „den jungen Kollegen persönlich gekannt“. Elektronische Schranken am Eingang, die auf Metallgegenstände anschlagen, gibt es im Freistaat nur beim Landgericht Augsburg und im Münchner Justizkomplex an der Nymphenburger Straße. Die anderen knapp 100 Gerichtsgebäude in Bayern sind nicht mit dieser Technik ausgestattet. In München wiederum wird bei bedeutenden Prozessen aufs Penibelste gefilzt. Und das nicht nur am Eingang, sondern vor dem Gerichtssaal noch einmal, in den man dann weder Jacken noch Flaschen oder sonstige als Wurfgeschosse geeignete Gegenstände mitnehmen darf. Bei Besuchern und Journalisten sorgt diese lange Prozedur häufig für Unmut.

In Dachau hingegen saß am Dienstag, wie sonst auch, nur ein Pförtner an der Tür. Durchsuchungen der Besucher würden an solchen Gerichten nur stichprobenweise durchgeführt, wie das Justizministerium erklärte. Rudolf U. konnte seine Pistole unbehelligt in den Verhandlungssaal mitnehmen. Er hatte sich die Waffe illegal besorgt. Der Bayerische Richterverein verlangt nun einen besseren Schutz in Gerichtsgebäuden. An allen Gerichten Metallschranken einzubauen, wäre aber technisch auf absehbare Zeit unmöglich. So wird vorgeschlagen, an den Eingängen stärker zu kontrollieren, auch mit Metalldetektoren. Ebenso könnten Jacken und Taschen vor Betreten des Gerichtssaales abgegeben werden.

Der Münchner Generalstaatsanwalt Christoph Strötz verweist aber darauf, dass Gerichtssäle auch in Zukunft öffentlich bleiben müssen, schließlich könnten und wollten die Staatsorgane offen und nicht in Geheimjustiz verhandeln.

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