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Die letzten Worte der Trauerfeier hielt Entertainer Thomas Gottschalk.

© dpa

Trauerfeier für Marcel Reich Ranicki: Was für ein Leben!

Bei der Trauerfeier für den kürzlich verstorbenen Kritiker und Literaten Marcel Reich-Ranicki ist der große Andrang ausgeblieben. Rund drei- bis vierhundert Menschen verabschiedeten ihn in Frankfurt am Main.

Er ist Frank Schirrmacher, der an diesem zunächst düsteren, später herrlich sonnigen Frankfurter Spätsommernachmittag den Kritiker Marcel Reich-Ranicki auf dessen ureigenen Punkt bringt. „Der Punkt ist ja“, beginnt der „FAZ“-Herausgeber seine kurze, prägnante Rede auf Reich-Ranickis Trauerfeier, „er hätte auch diese Veranstaltung rezensiert.“  Eine Beerdigung ohne Polizeiwagen tauge nichts, habe Reich-Ranicki einmal geurteilt, und in diesem Sinn wäre er, so die Schlussfolgerung Schirrmachers, schon nach der Hälfte der Veranstaltung sehr zufrieden gewesen. 

Tatsächlich sind Polizei und Sicherheitsleute unübersehbar präsent vor der Trauerhalle des Frankfurter Hauptfriedhofs, auf dem der am Mittwoch vergangener Woche im Alter von 93 Jahren verstorbene Marcel Reich-Ranicki begraben wird. Diese Präsenz verdankt sich vor allem der Teilnahme von Bundespräsident Joachim Gauck nebst Lebensgefährtin; beide lassen es sich auch nicht nehmen, den Verstorbenen im Anschluss im nicht unweit gelegenen Haus der Chöre bei Kaffee und Kuchen zu ehren.    

Aber ob Reich-Ranicki nicht auch verwundert und womöglich enttäuscht gewesen wäre? Nicht nur, dass fast gar keine Autoren da sind, bis auf die mit ihm befreundeten und auch von ihm geförderten Schriftstellerinnen Eva Demski und Ulla Hahn. Der große Andrang ist ausgeblieben, mit über tausend Trauergästen hatte die Friedhofsverwaltung gerechnet. Es ist sehr übersichtlich am Eingang des Hauptfriedhofs, insgesamt mögen es mit den Gästen, den Literaturmenschen und den Familienangehörigen innerhalb der Trauerhalle drei- bis vierhundert Menschen sein, die an diesem Nachmittag gekommen sind. 

Das ist erstaunlich wenig, gemessen an der Bedeutung Reich-Ranickis, für die Literaturkritik und die Literatur in Deutschland sowieso. Aber eben auch für das Land, dem gegenüber Reich-Ranicki, wie Rachel Salamander in ihrer Rede betont, nie als „Mahner“ oder „Rächer“ aufgetreten sei, sondern dem er allein mit seiner Existenz, seinem Wirken und nicht zuletzt seiner Autobiografie „Mein Leben“ soviel gegeben habe. „Was ihn bewegt, bewegt. Was ihm gefällt, gefällt. Sein glücklicher Geschmack ist der Geschmack der Welt“, zitiert Salamander Lessing, einen von Reich-Ranickis großen Vorbildern, nicht zuletzt deshalb, weil dieser den Widerspruch, den Streit und die Diskussion so schätzte.       

Thomas Gottschalk als letzter Redner

Man bekommt während dieser Trauerstunde noch einmal einen schönen und auch intensiven Eindruck von Reich-Ranickis Schaffen, davon, dass die Literatur nach Heine sein „portatives Vaterland“ gewesen sei, was in kaum einer Rede fehlt - und von seinem Charakter und Wesen. Am bewegendsten ist vielleicht die Erinnerung des Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden, Salomon Korn. Von „ungewohnt menschlichen Zügen“ spricht Korn, die er an Reich-Ranicki vor allem im kleinen Kreis wahrnahm. „Liebevoll, empfindsam und herzlich“ sei er gewesen, wenn sie sich mit ihren Ehefrauen trafen und Reich-Ranicki seine Tosia mit polnischen Kosewörtern geradezu eindeckte: „Was er nicht wusste: Meine Frau Mascha spricht ausgezeichnet polnisch, sie verstand das alles.“ Korn erwähnt das gerade im Gegensatz zu dem „Palisadenzaun“, den Reich-Ranicki um sein Inneres gezogen und nie gänzlich abgebaut habe: „Nie wieder Schwäche! Nie wieder Machtlosigkeit!“. 

Dass Thomas Gottschalk als letzter Redner auftritt, mag verwundern, passt aber auch, war der große Kritiker nicht zuletzt ein großer Entertainer. Gottschalk betont, von Reich-Ranickis Sohn Andrew aufgefordert worden zu sein, eine Rede zu halten, und er erst einmal erschrocken abgelehnt habe: „Ich glaubte nicht, mit dem Vokabular des Entertainers auch nur annähernd dem Ernst dieses Lebens und der Größe dieses Mannes gerecht werden zu können."

Das bekommt Gottschalk dann aber gut hin und er schließt seine Rede damit, dass er Reich-Ranicki nur zu gern noch einmal mit einem „Lebenspreis“ ausgezeichnet hätte: „Keiner bedauert das mehr als ich, dass Du diesen nicht mehr ablehnen kannst.“ Es ist dies ein schöner letzter und treffender Satz einer Trauerfeier, nach der man nur einmal mehr verblüfft ausrufen kann: Was für ein Leben!

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