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Trauriger Rekord: Jeder 100. US-Bürger sitzt im Knast

Nirgendwo in der Welt sitzen so viele Menschen im Gefängnis wie in den USA - und kostet die Nation fast 50 Milliarden Dollar jährlich.

Wenn es um die Verbrechensbekämpfung geht, sind die Behörden in den USA kreativ. Da gibt es den Sheriff in Arizona, der seine Gefangenen in Zelten in der Wüste schlafen lässt und sie zwingt, rosa Unterwäsche zu tragen – die Demütigung, schwuchtelige Unterwäsche zu tragen, soll ihnen das Macho-Gefühl austreiben. In New York ließ der ehemalige Bürgermeister Rudy Giuliani Leute schon fürs Schwarzfahren in der U-Bahn ins Gefängnis wandern.

Nirgendwo in der Welt sitzen so viele Menschen im Gefängnis wie in den USA, sowohl absolut als auch relativ. Von den 230 Millionen erwachsenen Amerikanern sind es knapp ein Prozent. Das ist Weltrekord.

Die in den 80er und 90er Jahren zu Zeiten hoher Drogenkriminalität zu ungekannter Blüte gelangte „Law & Order“-Mentalität kommt die Nation mittlerweile teuer zu stehen. Fast 50 Milliarden Dollar geben die USA nach einer Untersuchung des PEW Centers of the States in Washington jedes Jahr für die 2,3 Millionen Menschen hinter Gittern aus. In vielen Bundesstaaten übersteigt der Etat für die Gefängnisse mittlerweile den für Bildung, im Durchschnitt macht er rund sieben Prozent des Budgets aus. „Wir neigen dazu, eine Gefängnisstrafe als einfache Antwort auf Kriminalität zu akzeptieren“, sagt PEW-Direktorin Susan Urahn.“

Nach einer Vergleichsstudie des International Center for Prison Studies des King`s College in London sitzen von 100 000 Deutschen 93 hinter Gittern, das ist etwa ein Zehntel des Anteils in den USA. Besonders betroffen sind in den USA Minderheiten. Einer von 36 erwachsenen Männern hispanischer Herkunft befindet sich laut der PEW-Zahlen im Gefängnis und einer von 15 schwarzen Erwachsenen. Von den schwarzen Männern im Alter von 20 bis 34 Jahren sitzen derzeit über zehn Prozent ein. „Es ist keine Frage, dass die Kriminalitätsrate sinkt, wenn man gewälttätige und chronische Straftäter wegschliesst“, sagt Adam Gelb vom PEW-Projekt für öffentliche Sicherheit, „andererseits sitzen eine Menge Leute im Gefängnis, die nur in Fragen öffentlicher Sicherheit geschult werden müssten – während sie weiter ihre Steuern zahlen und ihre Opfer entschädigen.“ Gelb denkt dabei etwa an Autofahrer, die mit zuviel Alkohol im Blut erwischt wurden und bislang schnell im Gefängnis landen. Auch die teilweise langen Haftstrafen für Konsumenten verbotener Drogen sind umstritten.

Rund die Hälfte aller Insassen sitzen für gewaltlose Vergehen ein. Gelb sagt: „Hart gegen die Kriminalität vorzugehen, ist hart für die Steuerzahler geworden. Sie wollen keine 23 000 Dollar im Jahr für einen Gefangenen zahlen, der wegen einer Kleinigkeit einsitzt.“ Zudem seien Faktoren wie die Arbeitslosenquote, die Höhe der Löhne und die Polizeipräsenz auf den Straßen mindestens ebenso wichtig, um die Verbrechensrate zu drücken, wie drastische Strafen.

Der Bundesstaat Texas, das mit 172 000 Insassen das größte Gefängnissystem der USA besitzt, ist deshalb gerade dabei, sein Rechtssystem zu reformieren. So soll es Alkohol-Sündern künftig eher erlaubt sein, ihre Strafe mit Sozialdiensten, Schulungen und unter strenger Beobachtung abzuleisten. Der Bundesstaat Virginia denkt über einen ähnlichen Schritt nach. „Wir versuchen, zwischen jenen zu unterscheiden, die uns Angst machen und jenen, auf die wir nur wütend sind”, sagt Rick Kern von der Virginia Criminal Sentencing Commission, „nicht, dass Letzere nicht bestraft werden sollten. Aber es gibt klügere Wege, als sie für viel Geld wegzuschliessen.“ Ein weiteres Problem in vielen US-Bundesstaaten sind die rigiden Bewährungsauflagen. Viele müssen zurück ins Gefängnis, weil sie nur einen Drogentest oder ein Treffen mit ihrem Bewährungshelfer verpasst haben.

In Kalifornien landen Zweidrittel der auf Bewährung Entlassenen innerhalb von drei Jahren wieder hinter Gittern. 40 Prozent davon wegen formaler Verstöße gegen ihre Auflagen. Der Polizeichef von Los Angeles, William J. Bratton, sagt: „Wir sitzen auf diesem Karousell, auf das die Leute gleich wieder aufsteigen, kaum dass sie abgestiegen waren.“

Was einen Großteil der Öffentlichkeit allerdings herzlich wenig interessiert. Auch im heiß umkämpfen Präsidentschaftsrennen spielt das Thema bislang keine Rolle.

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