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Notfallseelsorger Dietmar Krüger

© dpa

Überbringer von Todesnachrichten: "Geweint wird zu Hause"

Dietmar Krüger ist Überbringer von Todesnachrichten. Der Polizist erschüttert dadurch die Welt fremder Menschen.

Wenn Dietmar Krüger seine Armbanduhr in die Hosentasche steckt, beginnen die schwersten Stunden seines Jobs. "In diesen Stunden wäre nichts schlimmer als ein verstohlener Blick auf die Uhr", sagt Krüger. Denn wenn sich der 59-Jährige ohne Uhr am Handgelenk zur Arbeit aufmacht, muss er die Welt fremder Menschen erschüttern. Dietmar Krüger überbringt dann Todesnachrichten.

Ritual hilft beim Job

Das Wegstecken der Uhr ist für den Notfallseelsorger und Mitarbeiter der Regionalen Beratungsstelle (RBS) der Polizei Hannover ein Ritual. Das hilft, diesen Teil des Jobs "von der schwersten nicht zu einer schlimmen Aufgabe" werden zu lassen. Dazu gehört es für ihn auch, sich bei Kollegen über die Todesumstände zu informieren. Unfälle, Tötungsdelikte, Selbstmord. Die Angehörigen wollen von Krüger mehr wissen, als die bloße Botschaft. "War er sofort tot?", ist dann eine Standardfrage - Unwissenheit fatal. Und wenn ein Unfallopfer litt? Dann sagt er: "Das Bemühen der Ärzte war leider vergeblich." Im Schnitt bleibe Krüger zwei bis drei Stunden bei den Hinterbliebenen.

Der Diplom-Sozialarbeiter und Diakon steht seit mehr als 15 Jahren im Polizeidienst. 150 Todesnachrichten pro Jahr seien Durchschnitt in der Region Hannover. Routine gebe es keine. "Das Herzklopfen vorm Klingelschild bleibt nie aus", sagt Krüger. In der Regel habe er Kollegen dabei, um "auf die Lage vor Ort" nicht alleine reagieren zu müssen. Auf Kinder etwa, die an der Haustür hinter ihrer Mama hervorlugen. Die Beamten teilen sich in solchen Fällen auf.

Tod am Geburtstag

Doch aller Vorbereitung zum Trotz ist nichts planbar. "Es gab da diesen Motorradfahrer, der an seinem Geburtstag tödlich verunglückte", erinnert sich Krüger. Als er für das Überbringen der Nachricht klingelte, rief die Frau des Toten voller Erwartung dessen Namen. Hinter der Haustür wartete die Geburtstagsgesellschaft.

"Drum herum reden wäre dann zusätzliche Quälerei. Wir verhelfen schnell, aber nicht hastig zu Klarheit", sagt Krüger. Die Reaktionen sind für ihn das Schlimmste. Weinen, Schreien oder Zusammensacken etwa. "Wir bauen ein System auf, das weiterhilft", berichtet Krüger. Am besten sei es, dafür vertraute Menschen hinzuzuholen. "Niemand soll alleine zurückgelassen werden." Es gelte, viele Fragen zu klären: Muss der Tote in die Rechtsmedizin? Was geschieht dort mit ihm? Wann ist der Angehörige noch einmal zu sehen? Regelt ein Bestatter dann alles weitere?

Aufgehört zu zählen

Ob Krüger seine Todesnachrichten noch zähle? "Nach drei bis vier Jahren habe ich aufgehört", meint er. Einzelfälle blieben hängen. Etwa, einer Mutter zu erklären, dass ihr Mann die Tochter umgebracht habe.

"Selbst wenn es Dir nahe geht, geweint wird zu Hause", laute eine Regel unter seinen Kollegen. Krüger habe sie noch nie gebrochen. "Aber klar, man wird oft ein bisschen stiller danach", umschreibt es der 59-Jährige nüchtern. Konkreter wird er nicht. Durch seinen Hintergrund als Diakon hat er sich auch für die Aufgabe entschieden. "Ich hatte den Eindruck, der Richtige zu sein." Jeden Einsatz reflektiert er. Kommt Krüger zu dem Schluss, alles bedacht und somit auch alle Kompetenzen eingebracht zu haben, "macht mir das die Arbeit leichter und ich bin zufrieden - trotz des Leids, das ich erlebt habe".

Nicht bei allen Polizisten fällt diese Entscheidung so bewusst. Silvana Becker musste ihre erste Todesnachricht spontan überbringen. Nachdem der Sohn einer gestorbenen Frau nicht erreichbar gewesen war, stand er plötzlich vor Silvana Becker in der Wache in Hannover und fragte besorgt, wo denn wohl seine Mutter sei.

"Todesnachrichten gehören zum Job"

Heute arbeitet Becker beim Verkehrsunfalldienst in Hannover. Tödliche Unfälle gebe es jede Woche. "Todesnachrichten gehören zum Job", sagt die 33-Jährige. "Wenn wir Polizisten das nach Unfällen übernehmen, klingt es authentisch", meint Beckers Kollege Carsten Gieseler. "Wer war schuld?", wollten viele Angehörige nach tödlichen Unfällen wissen. Die Polizisten informieren dann aus erster Hand.

Irgendjemand müsse diese Aufgabe nun einmal auf sich nehmen. Obwohl sie die beiden Polizisten nie kalt lässt, hilft es auch ihnen, sich an ein bestimmtes Muster zu halten. Carsten Gieseler etwa sagt meistens: "Ich habe gerade einen Verkehrsunfall aufgenommen. Ihr Angehöriger war beteiligt. Er ist verstorben." Dass mit diesen Worten eine Welt zerbricht, "darüber darf man nachher nicht so sehr grübeln."

Heiko Lossie[dpa]

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