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Angespannte Lage in Magdeburg: Auf die sachsen-anhaltinische Hauptstadt rollt am Samstagmorgen eine gewaltige Flutwelle zu. Hubschrauber bringen massenweise Sandsäcke an die Elbe.

© dpa

Update

Überflutungen und Evakuierungen: Hochwasser wird zur Katastrophe

Die Menschen in Ostdeutschland bangen wegen Rekordpegelständen. Weitere Orte werden evakuiert, neue Regenfälle drohen. Die Wirtschaft beziffert Schäden in Milliardenhöhe. Geschädigte Bauern können mit weiteren Hilfen rechnen, Flutopfer insgesamt mit Schonung durch Steuerbehörden.

Das Hochwasser hält die Menschen an Elbe, Donau und Saale weiter in Atem. Während die Pegelstände in Bayern wieder sanken, kämpften in Sachsen und Sachsen-Anhalt die Einsatzkräfte unterstützt von der Bundeswehr um die Deiche. Tausende Menschen konnten nicht in ihre Wohnungen zurück. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums sind derzeit mehr als 11.000 Soldaten in den Hochwassergebieten im Einsatz, alleine in Sachsen-Anhalt wurden 5000 Soldaten zusammengezogen.

Wegen eines vermuteten Deichbruchs an der Elbe in Sachsen-Anhalt wurde am Sonnabend die Ortschaft Susigke evakuiert. Rund 300 Bewohner sollten ihre Häuser verlassen. Für sie standen Busse bereit, um sie in eine Sporthalle in Osternienburg zu bringen. Wie die Stadt Aken, zu der Susigke gehört, am Samstag mitteilte, stand Wasser auf der Landstraße 63. Nach Angaben des Krisenstabs der Landesregierung wurde ein Deichbruch als Ursache vermutet. Für die Ortschaft Susigke wurden weitere Einsatzkräfte von Feuerwehr und Bundeswehr angefordert.

In Magdeburg spitzt sich die Hochwasserlage an der Elbe weiter zu. Nach Angaben der Stadt hat das Wasser an der Strombrücke inzwischen eine Höhe von 7,30 Metern erreicht. Vor allem in Magdeburg-Werder ist die Lage kritisch. An der Zollstraße drücken die Fluten gegen die Ufermauer, auch der Grundwasserstand bereitet hier Probleme. Ein Altenpflegeheim wurde bereits evakuiert. Nach Angaben eines Sprechers müssen sich auch die restlichen Bewohner in dem Bereich darauf einstellen, ihre Häuser zu verlassen. Sie würden aber rechtzeitig informiert. In einigen Straßen musste auch die Elektrizität abgestellt werden. Bleckenburg- und Fährstraße sind bereits überflutet.

Magdeburg erlebe ein „dramatisches Wochenende“, erklärte Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD). Vermutlich werde es nicht gelingen, alle Wasseraustritte und Sickerstellen erfolgreich zu bekämpfen. Dieses „größte Hochwasser in der Geschichte unserer Stadt“ werde nicht ohne Schaden bleiben, warnte er. Im Einsatz sind derzeit mehr als 3.000 Hilfskräfte, darunter 1.000 Bundeswehrsoldaten.

Gefährlich ist auch die Lage im Süden Magdeburgs sowie im Norden, wo Wasser in das Industriegebiet Rothensee dringt. Die Evakuierung der diakonischen Pfeifferschen Stiftungen im östlichen Stadtteil Cracau ist bereits abgeschlossen. Betroffen waren insgesamt mehr als 400 Krankenhauspatienten sowie Altenheimbewohner, Hospiz-Insassen und behinderte Menschen.

Hochwasser als "nationale Katastrophe"

Drei Menschen kamen in Sachsen-Anhalt bisher beim Kampf gegen die Überflutungen ums Leben. Niedersachsen und Brandenburg rüsteten sich für die auf beide Länder zuströmenden Wassermassen, die im Süden und Osten bereits große Verwüstungen angerichtet haben.

Der Chef der sachsen-anhaltinischen Staatskanzlei, Rainer Robra, bezeichnete am Freitag das Hochwasser als „nationale Katastrophe“. Er appellierte wie auch Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht an die Solidarität von Bund, Ländern und EU. Der Bauernverband rechnete mit Schäden in Höhe von hunderten Millionen Euro. Meteorologen sagten weitere Regenfälle voraus.

Besonders dramatische Szenen spielten sich am Freitag am Rande von Bitterfeld in Sachsen-Anhalt ab. Über Lautsprecherdurchsagen forderte die Polizei die Bevölkerung zum Verlassen der Häuser auf. „Wir appellieren an die Bürger, freiwillig zu gehen“, sagte Uwe Holz vom örtlichen Katastrophenstab. „Aber niemand sollte die Gefahr unterschätzen.“

Die Hochwasserlage im brandenburgischen Mühlberg ist weiter sehr angespannt. Zwar sank der Pegelstand der Elbe seit Freitag auf inzwischen 9,77 Meter, dennoch blieb der Druck auf die Schutzanlagen enorm. Ein Sprecher des Koordinierungszentrums Krisenmanagement des brandenburgischen Innenministeriums in Potsdam sprach davon, dass den Einsatzkräften an den Deichen ein tagelanger Kampf gegen das Hochwasser bevorstehe. Hunderte Helfer seien in der Nacht wieder im Einsatz gewesen. Unter ihnen waren auch Deichläufer, die Gefahrenstellen an den Deichen aufspürten. Nach der Evakuierung von Mühlberg im Kreis Elbe-Elster sei an eine Rückkehr der 4500 betroffenen Bürger derzeit nicht zu denken.

Die Lage an Spree und Schwarzer Elster entspannte sich dagegen allmählich. So gingen die Pegelstände in Spremberg (Spree), Bad Liebenwerda und Herzberg (beide Schwarze Elster) langsam zurück.

Nach der Überflutung von Kläranlagen in Thüringen fließt dort das Abwasser von 20.000 Haushalten völlig ungefiltert in den Fluss Weiße Elster. Wie der MDR berichtete, sind die Kläranlagen in Greiz und Berga überschwemmt. Der Greizer Bürgermeister Gerd Grüner sagte: „Die Technik und die Verwaltung sind abgesoffen.“

Was die Politik für die Flutopfer finanziell unternimmt

Flutopfer  in Bayern, Sachsen und Thüringen sollen vom Fiskus geschont werden. Wie das Bundesfinanzministerium  auf Anfrage des Tagesspiegels mitteilte, gebe es mit den drei Bundesländern eine entsprechende Vereinbarung. So können Unternehmer ihre Steuervorauszahlungen kürzen, fällige Steuern würden gestundet, auf Vollstreckungsmaßnahmen und Säumniszuschläge werde verzichtet, teilte das Ministerium mit. Außerdem könnten Aufwendungen für die Wiederbeschaffung von Hausrat und Kleidung von der Steuer abgesetzt werden.

Der Bund stellt derweil den vom Hochwasser geschädigten Bauern weitere Hilfen in Aussicht. „Die Soforthilfe kann nur ein erster Schritt gewesen sein, dem weitere folgen müssen“, sagte der Sprecher des Bundeslandwirtschaftsministeriums, Holger Eichele, dem Tagesspiegel. „In Anbetracht der immensen Schäden ist es selbstverständlich, dass wir die betroffenen Landwirte nicht allein lassen werden.“

Der Deutsche Bauernverband fordert über das bereits existierende, 100 Millionen Euro umfassende allgemeine Soforthilfeprogramm des Bundes hinaus ein zusätzliches Wiederaufbauprogramm, das allein der Landwirtschaft zugute kommen soll. Dieses Programm soll mindestens 200 Millionen Euro umfassen, das Geld soll vom Bund, den Bundesländern und der EU kommen

Bundesagrarministerin Ilse Aigner (CSU) habe bereits mit ihren Amtskollegen in Wien und Prag telefoniert sowie mit EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos, um über mögliche europäische Hilfen zu diskutieren, betonte der Sprecher. „Was die Hilfen für deutsche Landwirte betrifft, stehen wir auch in engem Kontakt mit den Bauernverbänden“, sagte Eichele.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) fürchtet, dass der durch die Flut verursachte Schaden höher ausfallen wird als 2002. „2002 betrug der durch das Hochwasser hervorgerufene volkswirtschaftliche Schaden rund elf Milliarden Euro“, sagte DIHK-Präsident Eric Schweitzer der „Rheinischen Post“. „In einigen Regionen dürfte das Ausmaß der Schäden eher größer sein als 2002.“

Den überfluteten Regionen drohen neue, schwere Regenfälle. Tief „Ira“, das am Freitag über Frankreich lag, zieht ostwärts und bringt vor allem der Südhälfte Deutschlands heftige Gewitter, sagte Meteorologin Dorothea Paetzold vom Deutschen Wetterdienst (DWD) in Offenbach am Freitag voraus. Aller Voraussicht nach werde es Unwetterwarnungen für einige Regionen geben. Von den insgesamt rund 23 Billionen Litern Wasser, die über Deutschland vom 20. Mai bis zum 2. Juni niedergingen, hatte Bayern nach Berechnungen des DWD mit 8,3 Billionen Litern den größten Teil abbekommen. In Sachsen summierte sich der Regen an den vier Tagen auf 2,5 Billionen Liter, in Thüringen auf 1,43 Billionen und in Hessen auf 1,2 Billionen Liter. (mit rtr/dpa)

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