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Nach der Verkündung des Urteils bricht Amanda Knox in Tränen aus.

© Reuters

Update

Überraschende Wende: Gericht spricht Amanda Knox frei

Zehn Monate Prozess, zehn Stunden Beratung. Dann verkündet der Richter im Berufungsprozess der wegen Mordes angeklagten Amerikanerin Amanda Knox das Urteil. Die Reaktionen sind durchaus gemischt.

Gestern Abend gegen 22 Uhr schließlich hatten sich die Richter des Berufungsgerichts in Perugia – zwei Berufsrichter, sechs Schöffen – ihr Urteil gebildet. Und während Amanda Knox, die in erster Instanz zu 26 Jahren Haft verurteilte amerikanische Studentin, weinend zusammenbrach, verkündete der Vorsitzende Richter Claudio Pratillo Hellmann: Die Angeklagten sind frei. Nicht nur aus Mangel an Beweisen, wie es zuletzt als Möglichkeit kolportiert worden war, sondern weil sie „die Tat nicht begangen“ hätten. Und im 530 Jahre alten, freskengeschmückten Gerichtssaal von Perugia entlud sich die über Monate aufgestaute Spannung in kopfschüttelndem, ungläubigen Erstaunen, in „Wow“-Rufen, in Umarmungen und vor dem Gericht lauten Rufen „Schande, Schande!“

Den ganzen Tag über hatten Fernsehteams aus aller Welt den Gerichtspalast förmlich belagert. Der Platz davor, in der Altstadt von Perugia, war zu einem Riesenparkplatz für Übertragungswagen geworden. Taghell hatten die Scheinwerfer am Abend das Gebäude beleuchtet – und die steinerne Renaissancefigur der „Gerechtigkeit“ über dem Eingangstor.

Freispruch also für die 24jährige Knox und den 27-jährigen Raffaele Sollecito, ihren Ex-Freund nach vier Jahren Haft. Und für den grausamen, wohl sexuell motivierten Mord an Meredith Kercher gibt es nur einen Schuldigen: Rudy Guede von der Elfenbeinküste. Zwar hatte das oberste Gericht Italiens, als es den heute 27-Jährigen in einem gesonderten Prozess zu 16 Jahren Haft verurteilte, die Beteiligung mehrerer Täter letztinstanzlich festgehalten. Wer diese Mittäter aber waren, wird wohl auf immer ungeklärt bleiben: Außer – unklaren – Spuren von Knox und Sollecito fanden sich am Tatort keine Hinweise auf weitere Personen. „Gerechtigkeit“ sei hergestellt, sagte der Anwalt von Amanda Knox nach dem Urteil. Wie dieses wurde sein Triumph live in alle Welt übertragen. Auf dem Platz vor dem Gericht kam es zu einem Volksauflauf.

Amanda Knox, die in der Presse auch als „Engel mit den Eisaugen“ geschildert wurde, hatte am Montag einmal mehr ihre Unschuld beteuert. „Die Leute wissen nicht, wer ich bin. Ich habe Angst.“ Die Staatsanwaltschaft hatte für Knox und Sollecito lebenslang gefordert. Weil beide „per nulla“ getötet hätten, für nichts und ohne Motiv. Die britische Studentin Meredith Kercher war in der Nacht zum 2. November 2007 in der Wohngemeinschaft, die sie mit Knox teilte, sexuell genötigt und mit 40 Messerstichen erstochen worden.

Warum man in den USA schon immer von der Unschuld der Studentin überzeugt war, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Der Staatsanwalt hatte sich vergangene Woche noch einmal an die Geschworenen gewandt. Giuliano Mignini hat der Angeklagten vorgeworfen, die öffentliche Meinung manipulieren zu wollen. Knox' Familie habe in den USA für eine Million Dollar eine PR-Firma beauftragt, um an ihrem Image zu feilen.

Tatsächlich wirbt die in Seattle und Washington angesiedelte Agentur Gogerty Marriott auf ihrer Homepage mit einem solchen Auftrag. Der Fall Amanda Knox ist unter dem Stichwort „Krisenkommunikation“ aufgelistet. Man habe die Geschichte in „alle großen US-Sender gebracht“, schreibt die Firma, „auch zu Oprah Winfrey“.

15 Minuten Redezeit hatte das Gericht Knox am Montag zugestanden. Knox spricht fließend Italienisch mit amerikanischem Akzent, 2007 kam sie nach Perugia, um Sprachen zu studieren. Sie wolle jetzt einfach nur nach Hause, sagte sie. „Ich habe nicht getötet, ich habe nicht vergewaltigt, ich habe nicht gestohlen.“ Sie habe den Behörden helfen wollen, sei aber von ihnen „betrogen worden“. Knox hatte der Polizei im November 2007 gesagt, sie sei im Haus gewesen, als Kercher starb, habe sie schreien gehört. Vor Gericht widerrief sie das und behauptete, die Polizei habe sie zu ihrer Aussage gezwungen. Deswegen hat Knox jetzt zusätzlich eine Klage wegen Verleumdung am Hals.

Auch Knox' Exfreund, der Informatikstudent Raffaele Sollecito, in der ersten Instanz zu 25 Jahren Haft verurteilt, murmelt ein paar Worte. „Unser einziger Wunsch in jener Nacht war es, sie mit Zärtlichkeiten zu verbringen, sonst nichts“, sagt Sollecito. Kercher sei von Rudy Guede ermordet worden, einem flüchtigen Bekannten von Knox. Seine DNA wurde am Körper und an der Kleidung Kerchers gefunden.

In den USA wurde Knox geglaubt. Nicht zuletzt, weil im Berufungsprozess ein neues DNA-Gutachten erstellt werden musste. Experten stellten darin fest, dass Spuren von Knox und Sollecito an der mutmaßlichen Tatwaffe und am BH des Opfers möglicherweise verunreinigt seien. Die Polizei habe schlampig gearbeitet, immer wieder zeigte Sollecitos Verteidigerin Giulia Bongiorno Videos der Spurensicherung, auf denen die Beamten ihre Handschuhe nicht wechselten. Dass trotzdem vieles gegen die beiden sprach, wurde gerade in den US-Medien gerne unterschlagen. Das Urteil der ersten Instanz hatte auf 427 Seiten alle Indizien aufgeführt: Weitere DNA- und Fußspuren von Knox und Sollecito und einen fingierten Einbruch. Zudem hatte Knox Täterwissen.

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