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Umweltdesaster: "Katrina" setzt Giftcocktail frei

Entsetzliche Bilder gehen um die Welt. In New Orleans treibt eine aufgedunsene Leiche hinter einer völlig erschöpften Frau durch eine überflutete Straße.

Washington (04.09.2005, 16:08 Uhr) - Ein paar hundert Meter weiter liegen Tierkadaver in einer stinkenden Kloake, daneben stehen Kinder im knietiefen Wasser. Eine kilometerhohe Rauchwolke zeugt von einer Explosion im Chemielager am Eisenbahndepot. Aus der Luft ist auf dem Mississippi bei Venice ein Ölteppich zu sehen. Neben den menschlichen Tragödien sind auch die Umweltschäden, die Hurrikan «Katrina» verursacht hat, unüberschaubar. «Cancer Alley» - Krebs-Gasse - heißt der hunderte Kilometer lange Katastrophenkorridor im Volksmund bereits.

Besonders akut ist die Lage in New Orleans. Die Stadt liegt unter dem Meeresspiegel, und das Wasser abzupumpen, das dort seit Tagen teils meterhoch in den Straßen steht, wird Wochen dauern. «Wir reden hier von einem unglaublichen Umweltdesaster», warnt der stellvertretende Direktor des Hurrikan-Zentrums an der Universität von Louisiana, Ivor van Heerden, seit Tagen. Auf mehr als 100 Milliarden Dollar (80 Milliarden Euro) schätzt Hugh Kaufman von der staatlichen Umweltschutzagentur EPA die Kosten der Säuberung.

«Wir haben es mit einem Giftcocktail zu tun, der nicht nur Bakterien und Viren aus den Abwässerkanälen, sondern auch Schwermetalle und giftige Chemikalien enthält», sagte er in einem Interview mit dem Radiosender NPR. «Da ist Benzin aus Tankstellen drin, Altöl, Putz- und Haushaltsreiniger, Pflanzenschutzmittel, Chemikalien. In der Gegend gibt es jede Menge Tanks, in denen gefährliche Substanzen aufbewahrt werden.» Südlich von New Orleans gab es mehrere Mülldeponien, die völlig aufgeschwemmt sein dürften.

Die giftige Suppe könne eigentlich nur in die Kanäle geleitet werden, und dann über den Mississippi in den Golf von Mexico, meint Kaufman, kontrolliert und in zeitlichen Abständen, um die Gewässer nicht auf einmal mit diesen riesigen Giftberg zu belasten. Die Folgen für Flora und Fauna sind unabsehbar. An Land müssten die kontaminierten Schichten abgetragen und entsorgt werden.

Entlang der Golfküste von Mississippi gibt es rund 140 Chemieanlagen, im Golf von Mexiko waren 1600 Ölplattformen verankert. Eine davon hängt jetzt halb zerstört im seichten Wasser vor Mobile (Alabama). Die Flutwelle von Hurrikan «Katrina» riss die haushohe Anlage aus der Verankerung und kilometerweit mit.

Der Chemieverband ACC hat bei einem erstem Augenschein keine verheerenden Schäden entdeckt. «Nach bisherigen Informationen scheinen die Produktionsstätten unserer Mitglieder noch intakt zu sein», teilte der Verband mit. Wie Tanks und Leitungen den Sturm tatsächlich überstanden haben, ist aber längst nicht abzusehen. Die Zugangsstraßen liegen teilweise noch meterhoch unter Schutt, Gebäude sind so beschädigt, dass sich niemand bislang dort hineintraute.

Der Ölteppich, der vor Venice südlich von New Orleans gesichtet wurde, dürfte aus zwei Tanklagern stammen, die tausende Barrel Öl enthalten. Die Stelle ist bislang nur per Boot zu erreichen. Für die Säuberung sind die Besitzer zuständig, sagt das Umweltamt von Louisiana. Das Bundesumweltamt EPA hat zwölf Teams an die Golfküste geschickt, die Boden- und Wasserproben nehmen.

Als wichtigste Maßnahme nach dem Desaster listet die Behörde aber etwas anderes auf. Sie lockerte nach dem Sturm sofort die Reinheitsauflagen für Benzin und Diesel. Auch Sorten, die die Emissionswerte überschreiten, dürfen jetzt ausgeliefert werden, um Engpässe an den Tankstellen zu vermeiden. «Das ist nötig, um die Benzinversorgung der Rettungskräfte und Helfer sicherzustellen», sagte Direktor Stephen Johnson. (Von Christiane Oelrich, dpa)

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