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Panorama: Unbeschreibliche Seelenqualen - Angehörige der Opfer besuchen den Unglücksort

Angehörige von Opfern der Londoner Zugkatastrophe besuchen derzeit immer wieder die Unglücksstelle. Sie erleiden dabei unbeschreibliche Seelenqualen.

Angehörige von Opfern der Londoner Zugkatastrophe besuchen derzeit immer wieder die Unglücksstelle. Sie erleiden dabei unbeschreibliche Seelenqualen. Weil viele Leichen verbrannt sind und nicht identifiziert werden können, sind sie hin- und hergerissen zwischen der Erkenntnis, dass ihre Angehörigen tot sind und der Hoffnung, sie könnten vielleicht doch noch leben.

"Er nahm immer denselben Zug. Er liegt nicht im Krankenhaus. Also welche Möglichkeit gibt es noch?" Stewart Steven ist völlig verzweifelt. Sein Freund ist vermisst und es wird noch Tage dauern, bis er die letzte Hoffnung verlieren wird. Im Gegensatz zu Fluggesellschaften gibt es im Zugverkehr keine Passagierlisten, die den Angehörigen Aufschluss geben könnten.

Die Untersuchung des am stärksten betroffenen 1. Klasse Wagens des Intercity-Zuges gestaltet sich so schwierig, dass er frühestens am Samstag betreten werden kann. "Wenn wir ohne einen sehr sorgfältigen Plan da hineingehen, werden wir die Beweise zerstören, nach denen wir suchen", sagte Polizeisprecher Andy Trotter. Ein anderer Polizeisprecher beschrieb das Innere des Erste-Klasse-Wagens als "ein Meer von Trümmern und Asche."

Das Zugunglück ist nach dem ersten offiziellen Untersuchungsbericht von gestern nachmittag offenbar auf menschliches Versagen zurückzuführen. Die für die britischen Bahnen zuständige Behörde bestätigte am Freitag, dass einer der beiden Lokführer ein Haltesignal überfuhr. Die Signalanlage funktionierte nach den bisherigen Ermittlungen einwandfrei. Die Arbeiten an der Unglückstelle waren auch drei Tage nach dem Frontal-Zusammenstoß der beiden Züge im morgendlichen Berufsverkehr noch nicht abgeschlossen. Bis zum Freitagnachmittag wurden erst 30 Leichen geborgen. Vermisst wurden noch 127 Menschen, von denen offenbar viele in den Waggons zu Asche verbrannten.

Die Untersuchungsbehörde HSE (Health and Safety Executive) kam zu dem Schluss, dass der Lokführer des verunglückten Vorortzuges in der Nähe des Bahnhofes Paddington ein Signal missachtet hatte, das auf Rot stand. 700 Meter weiter kam es dann zu dem Zusammenstoß, dem schlimmsten Zugunglück in Großbritannien seit 50 Jahren. In der nächsten Zeit will die Kommission nun insbesondere prüfen, ob das Signal schlecht zu sehen war. Eisenbahner hatten sich mehrfach beklagt, dass die Anlage durch Kabel und Pfeiler fast verdeckt sei. An genau derselben Stelle konnte vor genau einem Jahr ein Zusammenstoß gerade noch vermieden werden.

Die Behörde kam ferner zu der Erkenntnis, dass entgegen ersten Vermutungen die Signalanlage einwandfrei funktionierte. Zugleich verwies die HSE darauf, dass die Katastrophe hätte vermieden werden könne, wenn der Vorortzug mit einem automatischem Bremssystem ausgerüstet gewesen wäre.

Der Fehler des Lokführer sei nur "einer der Faktoren", die zu dem Unglück geführt hätten. Zudem war nach Informationen der britischen Zeitung "Financial Times" bei dem anderen Zug das automatische Bremssystem nicht eingeschaltet. Wie die Zeitung am Freitag berichtete, war die Vorrichtung in dem Express-Zug der Gesellschaft Great Western bereits seit einem Monat nicht mehr in Betrieb.

Great Western wollte sich zu dem Zeitungsbericht zunächst nicht äußern. Das Unternehmen räumte allerdings ein, ein Produkt zur Verflüssigung von Diesel zu verwenden, das den unmittelbar nach dem Zusammenstoß ausgebrochenen Brand beschleunigt haben könnte. Möglicherweise wird nie genau feststehen, wieviele Menschen bei dem Unglück ums Leben kamen. Wegen der hohen Temperaturen von bis zu tausend Grad Celsius verbrannten vermutlich die meisten Opfer zu Asche. Mit Sicherheit identifiziert wurden bis zum Freitagnachmittag erst elf Tote. Allerdings meldeten sich auch einige Pendler, die von ihren Familien als vermisst gemeldet worden waren, bei den Behörden. Diese gingen aber weiterhin von mindestens einhundert Toten aus.

Unterdessen nahm Verkehrsminister John Prescott Äußerungen vom Vortag zurück, alle nötigen Gelder für den Einbau von optimalen Sicherheitssystemen in britischen Zügen bereitzustellen. Nach seinen Worten müssen die privaten Betreibergesellschaften der Bahnen selbst für die Kosten aufkommen. Die Unternehmen stehen seit dem Unglück massiv in der Kritik.

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