Unesco-Entscheidungen mit Folgen: Weltkulturerbe – eine Illusion
Islamisten zerstören Mausoleen in Timbuktu und um die Geburtskirche in Bethlehem gibt es Streit. Das universelle Konzept des Weltkulturerbes droht in den Niederungen der Politik zu versinken.
Weltkulturerbe ist ein utopischer Begriff. Er geht davon aus, dass die Menschheit über alle Grenzen, politische Streitigkeiten und kulturelle Unterschiede hinweg verbunden ist. Und dass die Völker sich gegenseitig kulturell beeinflussen, so dass es Stätten von universeller Bedeutung gibt, deren Schutz ebenso im Interesse der Deutschen, wie der Saudi-Arabier oder der Ecuadorianer ist.
Von diesem Geist sind die alljährlichen Entscheidungen des Unesco-Komitees getragen. Doch die Auszeichnung nationaler Stätten hat oft auch eine politische Dimension. Und der angewandte Kulturbegriff wird nicht immer geteilt von der gesamten lokalen Bevölkerung. Die machen die Aufnahme der Geburtskirche in Bethlehem in den von Israel besetzten Palästinensergebieten und die Zerstörung der Heiligengräber in Timbuktu durch radikale Islamisten deutlich.
Überraschend war am Freitag die Kirche in Bethlehem, die im vierten Jahrhundert über der Grotte entstand, in der Jesus zur Welt gekommen sein soll, sowie der Pilgerweg dorthin in die Welterbeliste aufgenommen. Überraschend war die Entscheidung, weil sie einem Eilantrag gefolgt war, den die Palästinenser mit dem Argument gestellt hatten, dass das Bauwerk seit 50 Jahren zerfalle. Für einen normalen Antrag war es für die diesjährige Sitzung des Komitees zu spät, da die Palästinenser erst Ende Oktober 2011 in die UN-Kulturorganisation Unesco aufgenommen worden waren – gegen heftigem Widerstand Israels, den USA und Deutschland. Israel hatte daraufhin die Auszahlung palästinensischer Steuergelder eingestellt, die USA ihre Beitragszahlungen an die UN-Behörde in Paris eingestellt.
Folgerichtig werteten die Palästinenser die Aufnahme der Geburtskirche in die Welkulturerbeliste als politischen Erfolg – sehr zum Unmut vieler Kirchenoberen. Außerdem versprechen sich die Palästinenser größeren Schutz vor Übergriffen der israelischen Besatzungsmacht, wenn Teile Bethlehems und der Pilgerweg von der Weltgemeinschaft als schutzwürdig angesehen werden. Die universelle Bedeutung der Geburtsstätte des Christentums ist damit in den Niederungen des politischen Alltags angekommen.
In Timbuktu im Norden Malis, das seit 1988 zum Weltkulturerbe gehört, löst dagegen derzeit die Zerstörung jahrhundertealter Grabstätten weltweit Entsetzen aus. Das am Rande der Sahara gelegene Timbuktu wird „Perle der Wüste“ genannt oder „Stadt der 333 Heiligen“. Die zwischen dem 11. und 12. Jahrhundert von Tuareg-Stämmen gegründete Stadt war lange ein geistiges Zentrum des Islam. Augenzeugen zufolge machten Mitglieder der radikalen islamistischen Gruppe Ansar Dine mindestens drei Mausoleen islamischer Heiliger dem Erdboden gleich. Die Kämpfer seien mit Spitzhacken und Meißeln gegen die Bauwerke aus ockerfarbenen Lehm vorgegangen und hätten „Allah ist groß“ gerufen. Ihr Sprecher Sanda Ould Boumana sagte, die Gruppe wolle „ohne Ausnahme jedes Mausoleum in der Stadt zerstören“. „Gott ist einzig. Was ist dieUnesco?“, sagte Boumana. Wegen des bewaffneten Konflikts hatte das Welterbekomitee Timbuktu erst am Donnerstag auf die Liste des gefährdeten Welterbes gesetzt, was die Täter möglicherweise anstachelte.
Der Volksislam, der sich in Nordafrika in der Verehrung von Heiligen ausdrückt, ist für radikale Islamisten wie Ansar Dine Blasphemie, weil es gegen das Verbot verstößt, andere Götter neben dem einen Gott anzubeten. Damit vertritt die Gruppe eine dogmatische Ideologie, die mit dem universellen Kulturbegriff nicht zu vereinbaren ist. Als radikale Taliban im Jahr 2001 die Buddha-Statuen von Bamiyan in Nordafghanistan zerstörten, argumentierten sie ähnlich.
In diesem Zusammenhang hochinteressant war dagegen die Entscheidung Saudi-Arabiens, die vorislamische Stätten von Al-Hijr (Mada` in Salih) als Weltkulturerbe vorzuschlagen. 2008 wurde die Nabatäerstätte mit ihren Felsgräbern – eine Art Schwesterstadt des jordanischen Petra – aufgenommen. Der Schritt hat vor allem innerhalb Saudi-Arabiens enorme Bedeutung, da damit das vorislamische Erbe erstmals öffentlich anerkannt wird – obwohl die vorherrschende wahabistische Islaminterpretation diese verachtet. Der Umweg über das Weltkulturerbe hat es der saudischen Führung möglicherweise erleichtert, das Bewusstsein für das eigene Erbe zu weitern.
Von der Liste des Welterbes endgültig gestrichen wurden bisher zwei Stätten: Das Wildschutzgebiet der Arabischen Oryxantilope in Oman, nachdem das Reservat um 90 Prozent verkleinert worden war, um dort Öl zu fördern. Die zweite ist die Kulturlandschaft Dresdner Elbtal, die 2009 wegen des Baus der Waldschlösschenbrücke gestrichen wurde.
Die Idee vom Weltkulturerbe glaubt eben an eine bessere Welt.
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