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Der 40-jährige Ueli Steck war am Mount Everest, um sich an die Höhenluft zu gewöhnen.

© dpa

Update

Unfall am Mount Everest: Schweizer Extrem-Bergsteiger Steck tödlich verunglückt

Ueli Steck galt als einer der besten Extrembergsteiger der Welt. Seine Paradedisziplin war das Hochgeschwindigkeitsklettern. Nun ist der Schweizer am Mount Everest abgestürzt.

Ein Mann steht an einer senkrechten Felswand. Hunderte Meter tief klafft der Abgrund unter seinen Füßen, mehrere hundert Meter sind es noch bis zum Gipfel. Den Weg nach oben über die Nordwand auf den Eiger versperrt ein Eisfeld. Der Kletterer hat kein Seil dabei. Er steigt allein. Keiner sichert, wenn ihn die Kraft verlässt oder wenn er fehltritt. „Free solo“ nennen das die Bergsteiger. In den Armen zieht es schon schmerzhaft, die Bauchmuskulatur ist fest. Die letzte Chance zur Umkehr auf sicheren Grund liegt lange zurück. Der Kletterer muss weiter, immer weiter. Oder er stürzt in die Tiefe.

Vor einem Rekordversuch

Ein Albtraum, aber nicht für Ueli Steck. Der Schweizer begab sich beruflich immer wieder in Lebensgefahr, er war einer der berühmtesten Extrembergsteiger der Welt. Am Sonntag ist der 40-Jährige im Himalaja tödlich verunglückt. Steck hatte im Mai den Mount Everest (8848 Meter) besteigen wollen und seinen Nachbarn, den Lhotse (8516 Meter), gleich danach. Das alles innerhalb von nur 48 Stunden. Vergleichbares hatte bisher nur eine einzige Seilschaft geschafft und ohne zusätzlichen Sauerstoff sogar noch niemand. In der langen Liste von Stecks Weltrekorden am Berg sollte dies der nächste werden. Die Tour am Wochenende diente der Akklimatisierung und technischen Vorbereitung. Steck war allein unterwegs, als er offenbar ausrutschte und abstürzte.

In zweieinhalb Stunden durch die Eiger-Nordwand

Dem Schweizer „Tagesanzeiger“ hatte Steck noch ein Interview zu diesem Vorhaben gegeben. Darin sagte er: „Irgendwann riskierst du so viel, dass es knallt.“ Der letzte Satz lautete: „Scheitern heißt für mich: Wenn ich sterbe und nicht heimkomme.“ Nun ist er offenbar jedoch in einer Situation gestorben, die einer wie er wohl „Alltag“ nannte.

Wie Steck die Nordwand bezwang – natürlich allein – lässt sich auf YouTube bewundern. Der Mann steigt atemberaubend schnell, leichtfüßig und dabei doch sicher. Fast scheint es, als gehe er auf ebenem Grund. Zu keinem Zeitpunkt hat man jedenfalls den Eindruck, dass er sich in Lebensgefahr befindet. Zwei Stunden und 22 Minuten brauchte Steck für die gewaltige Wand, niemand war auch nur annähernd so schnell. Was für andere Todesangst bedeutet, nannte Steck Restrisiko. Er denke den Tod mit, sagte er einmal, aber er suche ihn nicht.

Steck war schon mit zwölf ein begeisterter Bergsteiger, mit 18 versuchte er sich zum ersten Mal erfolgreich an der Eiger-Nordwand. Er bezwang die Klassiker in allen Weltregionen. Den Everest, den Mount Dickey in Alaska und auch die gewaltige Felswand des El Capitan in Kalifornien. Im Sommer 2015 kletterte er innerhalb von 62 Tagen auf alle 82 Viertausender der Alpen. Die Strecken dazwischen legte er zu Fuß, per Fahrrad oder fliegend mit dem Gleitschirm zurück.

Steck wurde bewundert, aber er war immer auch umstritten. Vor allem bei den Konkurrenten. Sie bezweifelten beispielsweise, dass er 2013 den 8091 Meter hohen Anapurna allein über die Südwand und in nur 28 Stunden bestiegen habe. Einen Beweis dafür musste der Bergsteiger nämlich schuldig bleiben. Ein Gipfelfoto konnte er nicht präsentieren, weil sein Fotoapparat verloren gegangen sei, erklärte Steck. Und ein GPS-Gerät habe er nicht dabeigehabt. Immer wenn er kletterte, versuchte Steck mit dem absoluten Minimum an Ausrüstung klarzukommen.

Von Sherpas verprügelt

2013 wurde er im Basislager am Everest von wütenden Sherpas sogar fast erschlagen. Über die Vorgänge gibt es unterschiedliche Darstellungen. Steck soll einen Eisschlag ausgelöst und damit Menschen gefährdet haben, sagen die einen. Andere erzählen, in seiner unstillbaren Sucht nach Geschwindigkeit beim Aufstieg habe Steck die von den Sherpas mit Seilen versicherten Routen benutzt, ohne dafür zu bezahlen.

Früher galten hohe Berge als Sitz der Götter, als Treppen in den Himmel, als magische Orte. Für einen wie Steck waren sie – völlig unromantisch – Sportplätze. Reinhold Messner, der sonst so Kritische, der der vorhergehenden Generation von Bergsteigern angehört, hatte dafür merkwürdigerweise Verständnis. „Die jungen Bergsteiger haben nicht mehr die Möglichkeit, an unbestiegenen Bergen ihr Können zu zeigen“, sagte er schon vor Jahren in einem Gespräch. Das Erlebnis Berg sei in den Hintergrund getreten, der Rekord in den Vordergrund. „Alles lässt sich in Zahlen ausdrücken.“

Einer wie Steck sagte nicht mehr, er habe den und den Gipfel bestiegen. Über ihn wurde geschrieben, er sei in der Schwierigkeit 5.10 in 8000 Metern Höhe in fünf oder sieben Stunden oben gewesen. Er, Messner, schaue darauf völlig unsentimental. „Wie soll sich ein junger Mann wie Ueli Steck ausdrücken, mit seiner Kondition, mit seiner Technik, mit seinem Kletterkönnen, wenn nicht durch eine schnelle Durchsteigung von extrem schweren Wänden?“, fragte Messner, der Experte für Extreme. mit dpa

Von Frank Herold

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