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Was wäre, wenn eine gewaltige Naturkatastrophe die Europäer nach Afrika treiben würde?

© AFP

"Usoni": Fiktion einer Umkehr - wenn Europäer nach Afrika flüchten

Der Berliner Felix Vollmann ist zum Studieren nach Nairobi gegangen. Nun spielt er die Hauptrolle in einem Pilotfilm, der eine TV-Serie werden soll. Darin flüchten Europäer nach einer Naturkatastrophe über Lampedusa nach Afrika.

Es ist ein Nachmittag Anfang August, an dem Felix Vollmann in Nairobi der Zukunft begegnet. Er hat sie nicht kommen sehen. Eine junge Frau, ein Mädchen noch. Sie sucht nach einem Gesicht, Kaukasier, sucht einen Nordmann mit Ausdruck. Sucht nach der Hauptrolle. Er, blond, Speerwerfer früher, ist ihr aufgefallen. Er kommt gerade vom Sport. USIU Nairobi, nachher noch Vorlesung. Nichts Besonderes. Uni-Alltag. Eigentlich. Nun aber steht sie vor ihm und fragt: Wie heißt du? Fragt: Hast du schon mal geschauspielert?

Der Berliner Felix Vollmann ist einer, der mit dem Kopf durch die Wand will

Sechs Monate später sitzt Felix Vollmann, 26 Jahre alt, Charlottenburger Junge, in seinem Apartment in Nairobi und gibt Interviews über Skype, über das Telefon. CNN, Le Monde, WDR 2, Deutsche Welle. Fährt zu kleinen Fernsehstudios am anderen Ende der Stadt, um über seine Rolle zu sprechen. Über das Projekt. Die TV-Serie, die gerade ein internationales Medieninteresse geweckt hat, weil sie die Geschichte der Immigration einfach umkehrt, sie von Afrika aus erzählt. Usoni, heißt diese Serie. Usoni bedeutet Zukunft.

Und Felix Vollmann sitzt dort wie einer, der von sich selbst überrascht wurde. Da in etwas hineingeraten ist, das er noch nicht richtig erklären kann. „Am Anfang“, sagt er, „habe ich gedacht, das wird nur ein Zeitvertreib“. Es wurde mehr.

Auf der Flucht. Felix Vollmann in einem Szenenbild des Pilotfilms „Usoni“.
Auf der Flucht. Felix Vollmann in einem Szenenbild des Pilotfilms „Usoni“.

© promo

Usoni spielt in der Zukunft. Im Jahr 2063 sind alle europäischen Vulkane erwacht. Mit ihnen, die Sonne verdunkelt, der Kontinent mit Staub überzogen, ist auch das Chaos ausgebrochen. Dantes letzte große Party. Felix Vollmann spielt Ulysse, der sich mit seiner Frau Ophelia, hochschwanger, tief verzweifelt, auf die Reise über das Meer begibt, hinter den Horizont. Dorthin, wo die Sonne noch scheint. Sehnsuchtsort Afrika.

Felix Vollmann kam 2012 nach Nairobi.

"Usoni" heißt Zukunft

Er ist einer dieser Jungs, die mit dem Kopf durch die Wand wollen, sobald ihnen der Raum, der sie umgibt, zu eng wird. Afrika, das ist auch das Versprechen auf weites Land. Für ihn war früh klar: Dort muss ich hin. Studieren. Er ging an die USIU. Master in internationalen Beziehungen. Weil in Nairobi die Theorie der Hörsäle auf die Praxis der Straße trifft. Korruption, Gewalt. Die Sprengkraft, die entsteht, wenn ganz arm auf ganz reich trifft. Es ist das, wonach er gesucht hat. Für ihn eben auch: Sehnsuchtsort Afrika. Seine Geschichte. Sein Film. „Überleg mal“, sagt er, „da gehe ich nach Afrika, weil ich hier die Zukunft sehe, eine Kraft, eine Chance. Und dann lande ich in einem Film, in dem ich tatsächlich vor Europa fliehe.“

Nun ist er Teil einer Geschichte, einer Idee, die größer ist als er selbst, auch größer als das Projekt, das mit einem Budget jenseits der Schmerzgrenze verwirklicht wurde. 22 Studenten sind daran beteiligt. Sie haben nur zwei Kameras.

Sie wollen, dass aus dem Pilotfilm eine TV-Serie wird

„Wir hatten kein Geld“, sagt Vollmann, „nur Blut, Schweiß und Sonnenbrand“.

Zwei Monate arbeiten sie an der Pilotfolge, 26 Minuten Film. Es sind Monate, in denen Vollmann kaum schläft. Usoni muss zur selben Zeit fertig werden wie seine Masterarbeit. German foreign Aid to Africa, A Case Study to Kenia, 2008– 2013. Am Tag schreibt er, taucht durch Statistiken, Zahlen. Dann duscht er kurz, steigt auf sein Motorrad und fährt zu einem der Drehorte. Die Nacht gehört dem Film. Den Szenen, die auf Lampedusa spielen, dieser italienischen Insel im Mittelmeer, die längst zum Symbol geworden ist für die gescheiterte Flüchtlingspolitik der EU. Dieses unmögliche Nadelöhr nach Europa, vor dessen Küste die Menschen an ihrer Hoffnung sterben. In Usoni ist Lampedusa nun das goldene Tor nach Afrika.

„Natürlich war ich mir über die politische Dimension bewusst“, sagt Vollmann heute. Und doch ist es die Realität, die aus der Fiktion ein Statement werden lässt. Am 3. Oktober 2013, die Dreharbeiten haben gerade begonnen, ertrinken vor Lampedusa 545 Flüchtlinge aus Somalia und Eritrea. Vollmann sitzt mit den anderen Schauspielern vor dem Fernseher. Es sind diese Bilder, mit denen Usoni spielt. Die Kraft der Nachrichten. CNN, Le Monde. Deutsche Welle. Flimmernde Elendsbilder, die klebrig im Kollektivgedächtnis haften bleiben.

„Wir hangeln uns an den aktuellen Nachrichten entlang“, erklärt Vollmann. Sie finden ihren Weg in die Serie, werden dort neu zusammengesetzt. Es ist ein Spiel mit den Urängsten der Menschheit, der großen Zivilisationskatastrophe. Hunger, globale Erwärmung. Usoni wurde auch deshalb in die Zukunft verlegt, um über die Gegenwart sprechen zu können. Am 27. Januar hat Usoni im Alliance Française, dem französischen Kulturzentrum Nairobis, Premiere. 400 Gäste. Internationales Publikum.

Felix Vollmann steht an diesem Abend auf der Bühne, lacht in die Kameras der Zuschauer, ist plötzlich – ein ganz neues, ein ungewohntes Gefühl – einer, der Antworten geben musste. Antworten auf Fragen, die er sich seitdem auch immer wieder selbst gestellt hat.

Kann das wirklich passieren?

Wie ist das so als Weißer?

Vor allem aber: Wie geht es weiter?

Hypes haben eine geringe Halbwertzeit. Sie halten meist nur bis zur nächsten Katastrophe. Der Usoni-Entwickler, Marc Rigaudis, verhandelt derzeit mit kenianischen und ausländischen Sendern über ein mögliches TV-Format. „Wenn wir es schaffen, das tatsächlich zu verkaufen und 12 Episoden zu drehen“, sagt Vollmann, „dann kann es einen Einfluss auf die Menschen haben, ihr Denken verändern.“ Usoni soll eine afrikanische Produktion bleiben. So würde auch Felix Vollmann seine Rolle behalten. Wenn nicht, dann endet ein Abenteuer. Und ein neues beginnt. Vollmann ist schließlich kein Schauspieler. Nun, da er seinen Masterstudiengang abgeschlossen hat, gibt es, natürlich, bereits ein neues Ziel: diplomatischer Dienst. Er bleibt in Kenia. „Berlin“, sagt er, „ist meine Heimat. Nairobi ist mein Zuhause“.

Am Ende von Usoni geraten Ulysse und Ophelia in ein Unwetter, einen dieser Stürme, die das Meer zum Monster werden lassen. Das Boot geht unter. Die Leinwand wird schwarz. „Niemand weiß, wie es weitergeht“, sagt Felix Vollmann. An einem Februarnachmittag in Nairobi ist seine Zukunft wieder eine Unbekannte.

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