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Verkehrskonzepte: Die Städte atmen auf

Berlin streitet über die Umweltzone. Fahrverbote und strenge Maut-Regelungen gibt es aber schon in vielen Metropolen der Welt – eine kleine Übersicht.

Von Markus Hesselmann

LONDON

In London ist Wahlkampf, der Bürgermeister tritt wieder an. Und da wäre es doch normal, wenn er als Amtsinhaber alles, was die Bürger finanziell belastet, lieber verschweigt oder zumindest herunterspielt. Ken Livingstone tut das Gegenteil. Der Labour-Politiker feiert die „Congestion Charge“, die allgemeine Maut für die Londoner Innenstadt, als großen Erfolg. Mehr noch, er kritisiert seinen konservativen Gegenkandidaten Boris Johnson für dessen einstmals ablehnende Haltung: „Boris Johnson hat die Congestion Charge erst bekämpft und dann eine Kehrtwende vollzogen“, sagt der Bürgermeister. Livingstones erstaunliche Taktik hat schon einmal funktioniert: Im Jahr 2003 führte er die Maut für das Zentrum Londons ein. Ein Jahr später stellte er sich zur Wiederwahl und gewann. In diesem Jahr dehnte Livingstone die Mautzone über den Hyde Park hinaus nach Westen aus. Nach anfänglichen Protesten vor allem von Geschäftsinhabern, die um ihre Umsätze fürchteten, ist die Maut inzwischen akzeptiert und gilt sogar als Modell für andere Metropolen. Umgerechnet zwölf Euro muss jeder Autofahrer zahlen, wenn er von montags bis freitags zwischen 7 und 18 Uhr in den Innenstadtbereich zwischen Notting Hill im Westen, King's Cross im Norden, der City im Osten und Lambeth im Süden will. Anwohner sind nicht befreit von der Maut, müssen aber deutlich weniger zahlen. Seit Einführung der Maut haben sich nach Angaben der Betreiberfirma der Autoverkehr um 20 Prozent und die gesundheitsschädlichen Emissionen um bis zu 15 Prozent verringert. In die Kritik gerät Livingstone allerdings immer wieder, weil Verbesserungen im öffentlichen Nahverkehr, die eigentlich Teil des Maut-Deals sein sollen, kaum spürbar sind. Das lokale Fernsehprogramm der BBC sendet jeden Morgen halbstündlich eine umfangreiche eigene U-Bahn-Rubrik für die vielen Verspätungen und ausfallenden Züge. Doch die Londoner, die sich zur Rushhour klaglos in überfüllte U-Bahn-Waggons pferchen lassen, sind grundsätzlich sehr geduldig. Ken Livingstone darf auf seine Wiederwahl hoffen. Markus Hesselmann

STOCKHOLM

Seit diesem Sommer ist die Stockholmer Citymaut endgültig zur Dauereinrichtung geworden. Wer zwischen 6 Uhr 30 und 18 Uhr 29 in die Innenstadt rollt oder aus ihr hinaus, muss jedesmal zwischen 1,10 bis 2,20 Euro Wegezoll entrichten. Dies allerdings nur bis maximal 6,50 Euro am Tag. An den Mautstellen selbst kann nicht bezahlt werden. Ein modernes, über 411 Millionen Euro teueres System registriert die vorbeifahrenden Fahrzeuge mit Kameras und elektronischen Chips. Das Projekt polarisiert die Stadt wie kein anderes. Nach einer siebenmonatigen Testphase im vergangenen Jahr hatten die Hauptstadtbewohner mit knapper Mehrheit im Volksentscheid eine permanente Einführung beschlossen. Bis zu 30 Prozent weniger Verkehr und deutlich leichteres Vorankommen überzeugten vor allem die anfangs kritischen Berufsfahrer. Weil der Volksentscheid im September so knapp ausfiel, war dennoch lange nicht sicher, was geschehen würde. Die Vorstädte lehnten die Maut mehrheitlich ab, während die finanziell von ihr nicht betroffenen und oft finanziell deutlich besser gestellten Innenstadtbewohner sie nahezu geschlossen befürworteten. Die bürgerliche Regierung, die das Regierungsbündnis aus Sozialdemokraten, Grüne und der Linken zeitgleich zum Volksentscheid ablöste, musste über die Zukunft der Maut entscheiden. Parlamentarier waren nicht nur über die Blöcke hinweg, sondern auch innerparteilich über das Mandat des offiziell nicht bindenden Volksentscheids zerstritten. Die Vorstadtbewohner wiesen darauf hin, dass die Abgabe sozial unausgewogen sei. Die Maut wird nur rund um die noble Innenstadt erhoben und wer so privilegiert sei, dass er sich das Leben dort leisten könne, habe gleich zwei Vorteile. Erstens zahle er keine Zusatzkosten. Zweitens steige die ohnehin hohe Wohnqualität durch den verminderten Verkehr. Um des sozialen Friedens wurde zeitweise erwogen, auch innerhalb der Innenstadt die Maut zu erheben. Nach langem Streit beschloss die bürgerliche Landesregierung die Einführung der Maut. Vor allem die überwiegend positiven Erfahrungen in der Testphase überzeugte auch die bürgerlichen Politiker: Bessere Luft und weniger Stau. Vor allem die anfangs besonders kritischen Berufsfahrer schwärmten nach dem Test von herrlichen Straßenbedingungen. Der Verkehr reduzierte sich um 20 und 25 Prozent. Die Luft in der Innenstadt wurde tatsächlich angenehmer. Laut Umweltamt sank die Kohlendioxidbelastung deutlich. Die auch in Stockholm sehr problematische Feinstaubbelastung sank um 13 Prozent, der krebserregende Benzolgehalt in der Luft reduzierte sich um 14 Prozent. André Anwar

OSLO

In Norwegen ist die Innenstadtmaut seit Mitte der 80er Jahre als erstes Land in Europa eine Selbstverständlichkeit. Alle größeren Städte wie Oslo, Bergen und Trondheim haben sie. Die Ausformung ist überall ähnlich. Anfangs ging es hauptsächlich um die Straßenfinanzierung, später stieg die Bedeutung des Umweltschutzes. In Oslo bezahlt der Autofahrer rund drei Euro beim passieren des sogenannten „Bomring“. Nach einer Erhebung der norwegischen Zeitung „Aftenposten“ sind zwei Drittel der Hauptstadtbewohner für den Wegzoll. André Anwar

ROM

Rom wird – langsam, langsam – ruhiger. Die Stadtverwaltung hat San Lorenzo, das trendige Kneipen- und Ausgehviertel, an vier Abenden der Woche gesperrt. Nachtfahrverbote waren zuerst im historischen Zentrum und im Flanierviertel Trastevere eingeführt worden. Anders, sagten sich die Stadtgewaltigen, wäre man des Lärms, der Luftverschmutzung, der Dauerstaus und des undurchdringlichen Dschungels an Überall-Parkern nicht Herr geworden. Bar- und Restaurantbetreiber tobten zwar zuerst, doch stieg die Akzeptanz für eine typisch römische Lösung: motorisierte Zweiräder sind von allen Sperren ausgenommen. Seit vielen Jahren arbeitet Rom daran, wenigstens die Altstadt möglichst autofrei zu bekommen. Den Anstoß hat Papst Johannes Paul II. gegeben, als er für 2000 ein Heiliges, ein „Großes Jubiläumsjahr“ ausrief. Seither ist die historische Innenstadt um die Piazza Navona, das Pantheon, das Kolosseum und die Spanische Treppe herum jeden Wochentag zwischen 6 Uhr 30 und 18 Uhr für Autos gesperrt. An 22 Stellen wachen Videokameras darüber, dass nur der hineinfährt, der entweder in der Innenstadt wohnt, dort arbeitet oder sich eine Genehmigung gekauft hat. Paul Kreiner

MAILAND

In Mailand wird es noch in diesem Herbst eine Innenstadt-Maut geben. Die dortige Bürgermeisterin Letizia Moratti will damit nicht nur das Stauaufkommen reduzieren, sondern auch die Feinstaubbelastung in der chronisch von Luftverschmutzung geplagten Mailänder City reduzieren. Autofahrer müssen künftig werktags zwischen 7 und 19 Uhr eine Gebühr an einem elektronischen Checkposten zahlen. 42 solcher Checkposten werden zur Abbuchung rund um die Mailänder Innenstadt errichtet. Die Höhe der Gebühr soll entsprechend den Abgaswerten der Fahrzeuge zwischen 2 und 10 Euro pro Tag betragen. Elektroautos und besonders abgasarme Autos sollen von der Maut ausgenommen werden. Fürsprecher der Maut erhoffen sich eine Reduktion der Smog-Werte um bis zu 50 Prozent sowie der gesamten Luftverschmutzung um 25 Prozent. Boris Kruse

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