zum Hauptinhalt

Panorama: Verurteilt und gefeuert

Der Drängler von Karlsruhe muss für 18 Monate in Haft – ohne Bewährung. Daimler-Chrysler entlässt den Testfahrer

Der Angeklagte Rolf F. sitzt an diesem Morgen aufrecht auf seinem Stuhl. Die Hände auf dem Tisch, hört er der Vorsitzenden Richterin Brigitte Hecking mehr als eine Stunde lang aufmerksam zu. Während der gesamten Urteilsverkündung schauen sich Richterin und Angeklagter ins Gesicht. Die Vorsitzende hat den 34-jährigen Versuchsingenieur von Daimler-Chrysler gerade wegen fahrlässiger Tötung zu eineinhalb Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. In freier Rede, ohne abzulesen, legt ihm die Juristin dar, warum das Gericht davon überzeugt ist, dass er der Autobahndrängler war, der am 14. Juli 2003 mit „immenser Geschwindigkeit“ auf den Kleinwagen einer Frau zufuhr, sie so erschreckte, dass sie das Steuer herumriss, über drei Fahrspuren schleuderte und gegen einen Baum prallte. Sie und ihre zweijährige Tochter, die angeschnallt auf dem Rücksitz saß, waren sofort tot.

Unbewegte Miene

Der hagere Angeklagte nimmt den Urteilsspruch, der härter ausgefallen ist, als viele erwartet haben, ruhig entgegen. Wie an den vorangegangenen vier Verhandlungstagen zeigt Rolf F. auch am Mittwoch keine Emotionen. „Sie haben einen Panzer um sich gebaut“, sagte der Rechtsanwalt der Eltern im Prozess zu Rolf F. einmal und forderte ihn zum Geständnis auf. Aber der Versuchsingenieur, der Fahrzeugtechnik studierte und seit 1999 bei Daimler-Chrysler arbeitet, bleibt dabei: „Ich habe nicht gedrängelt und nichts von einem Unfall bemerkt.“

Auch am Mittwoch nach dem Urteil hielten zahlreiche Zuschauer und nicht wenige Journalisten den Versuchsingenieur weiterhin für unschuldig. Ihre Gestik bei der Urteilsverkündung zeigte Unverständnis.

Der Autobauer Daimler-Chrysler will sich von seinem wegen fahrlässiger Tötung verurteilten Testfahrer trennen. Sprecherin Nicole Ladage sagte am Mittwoch in Stuttgart, der Konzern werde die Beendigung des Arbeitsverhältnisses in die Wege leiten. Der 34-Jährige habe gegen interne Regeln verstoßen. Die Regeln würden unter anderem rücksichtsvolles Fahren und das Einhalten der Straßenverkehrsordnung vorsehen.

Die Vorsitzende Richterin war einmal während des Prozesses wütend geworden: „Ich habe allmählich die Schnauze voll“, sagte sie zu einem Zeugen, der sich wie viele andere Daimler-Mitarbeiter vor Gericht plötzlich anders erinnerte als bei früheren Vernehmungen. Die Wut war nicht Ausdruck ihrer Voreingenommenheit, sondern ihrer Entschlossenheit, die Wahrheit herauszufinden. Das Gericht war fast ausschließlich auf Zeugenaussagen angewiesen. Keine Lackspur, kein Bild von einer Radarfalle, kein voll erkanntes Kennzeichen. Das räumte auch Richterin Hecking ein: „Es wäre uns lieber gewesen, wir hätten schöne eindeutige Beweise gehabt.“

Zeugen der Anklage

Dennoch, „nach all den Puzzle-Teilen, die wir zusammengesetzt haben, sind wir überzeugt, dass Sie der Fahrer sind“, sagte sie, dem Angeklagten zugewandt. Entscheidend waren vier Zeugen, die am Unfallmorgen um sechs Uhr auf der Autobahn zwischen Karlsruhe und Bruchsal unterwegs waren. Sie hatten den „schweren dunklen Mercedes“, das Böblinger Kennzeichen, die Doppelauspuffanlage, das Fließheck, die jeweils zwei Scheinwerfer auf jeder Seite beschrieben. Alle sind selbst erfahrene und teils rasante Autofahrer. Das Gericht hielt sie für absolut glaubwürdig. Von 544 Mercedes-Fahrzeugen, die die Sonderkommission „Raser“ überprüfte, passte am Ende nur der CL 600 Biturbo Coupé von Rolf F. auf das Dränglerfahrzeug. Den Vorgesetzten H., der zu einer ähnlichen Zeit mit einem S-Klasse-Modell an der Stelle fuhr, schloss das Gericht als Fahrer aus. Sein Wagen hatte nicht die zwei Scheinwerfer auf jeder Seite, die ein Zeuge „ganz sicher“ erkannt hatte. Außerdem hatte sich Kollege H. nach dem Unfall lange nicht so elektrisiert gezeigt wie Rolf F., der sich täglich auffallend häufig nach den Ermittlungen erkundigte und Zeitrechnungen anstellte. Kurz vor 5 Uhr 30 sei er in Sindelfingen losgefahren, um zur Teststrecke nach Papenburg aufzubrechen. Er habe es bis 6 Uhr zum Unfallort schaffen können.

Keine Bewährung. Das ist das Überraschende an dem Urteil. Wer so rücksichtslos überhole und davon ausgehe, der „Vordermann wird schon wegfahren“, bewege sich am „oberen Rand der Fahrlässigkeit“, begründete Hecking die Entscheidung. „Wenn solch ein Verhalten zu einem tödlichen Unfall führt, dann ist das kein Kavaliersdelikt.“ Unmittelbar nach der Urteilsverkündung verlässt Rolf F. den Gerichtssaal durch eine Seitentür. Sein Anwalt kündigt an, Rechtsmittel einzulegen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false