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Panorama: Von 0 auf 80 in 35 Sekunden

Vor 50 Jahren kam der Messerschmitt-Kabinenroller auf den Markt – Sammler zahlen heute Liebhaberpreise

Es war ein skurriles Gefährt, das da im Nachkriegsdeutschland die Straßen bevölkerte. 1,20 Meter hoch, 1,20 Meter breit, von der Gestalt einer Zigarre und mit dem Gesicht eines Froschs. Doch das merkwürdige Gefährt steht aus heutiger Sicht beispielhaft für die Motorisierung Deutschlands – das macht den Messerschmitt-Kabinenroller zum Mythos.

Nicht nur der Markenname zeigt die Nähe zum Flugzeug, auch der Konstrukteur Fritz Fend hatte als Flugzeugingenieur sein Geld verdient. Im bayrischen Rosenheim baute er 1948 zuerst einen Dreirad-Einsitzer, Anfang der 50er-Jahre entstand dann der Kabinenroller, der ab Frühjahr 1953 im brachliegenden Messerschmitt-Werk in Regensburg in Serie produziert wurde. Sein Einzylinder-Zweitaktmotor besaß 173 Kubikzentimeter Hubraum und leistete 10,9 PS – im Nachkriegsdeutschland war das für viele schon genug für den Traum von der individuellen Motorisierung. Immerhin fuhr der KR 175 knapp 80 km/h schnell und bot für zwei Personen, die wie auf einem Tandem hintereinander saßen, ein festes Dach über dem Kopf. Er schaffte es in 35 Sekunden von 0 auf 80. Dass sich die Fahrer unter der Plexiglaskuppel ein wenig wie Flugzeugpiloten fühlen konnten, lag an Fends Fliegervergangenheit: Der Kabinenroller besaß nämlich keine Türen, einsteigen musste man, indem die gläserne Kuppel wie bei einem Flugzeug zur Seite geklappt wurde. Und auch der filigrane Lenker erinnerte eher an einen Steuerknüppel denn an ein Autolenkrad.

So einfach und technisch primitiv der Kabinenroller auch war, erlebte er trotzdem eine technische Weiterentwicklung. 1955 folgte der KR 200 mit größerem Hubraum, während 1958 das Topmodell der Baureihe seine Premiere feierte. Seine Modellbezeichnung Tg 500 stand für Tiger, und den schien er wirklich im Tank zu haben. Zwei Zylinder, 500 Kubikzentimeter Hubraum und stolze 19,5 PS, damit wurde der Kabinenroller fast zum Schrecken der Landstraße. Damit die nur 390 Kilogramm schwere Renn-Zigarre ihre Leistung auch ordentlich auf den Boden bekam, fand am Fahrwerk eine kleine Revolution statt. Während der Kabinenroller bislang drei Räder – zwei vorn und eins hinten – zählte, rollte der Tiger auf vier Rädern daher.

Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kabinenroller zumindest wirtschaftlich schon einen Dämpfer erhalten. 1956 kam es im Unternehmen zu finanziellen Schwierigkeiten, infolgedessen das Regensburger Werk aus dem Messerschmitt-Konzern herausgelöst wurde. Fritz Fend übernahm die Produktion und baute den Kabinenroller fortan unter dem Markennamen FMR (Fahrzeug- und Maschinenbau GmbH Regensburg). Um den Kabinenroller konkurrenzfähig zu halten, brachte Fend sogar eine Cabrioversion auf den Markt – Autofahren mit Badewannen-Feeling.

1964 rollte der letzte Kabinenroller vom Band. Das skurrile Gefährt konnte mit der schnellen Auto-Entwicklung nicht mithalten, denn inzwischen galt der große VW Käfer längst als des Deutschen Auto-Traum – und der war immerhin schon damals ein richtiges Auto. Geblieben ist die Erinnerung an ein eigenwilliges Auto mit Flugzeug-Genen in der Kurbelwelle, um das sich heute noch Liebhaber kümmern. 35000 Euro kostet ein restauriertes Exemplar.

Ulrich Bethscheider

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