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Vielseitig. Der Dundas Square in Toronto erinnert mit seinen großen Werbebildschirmen an den Times Square in New York.

© Lars von Törne

Von „Suicide Squad“ bis „Star Trek“: Hollywood des Nordens - die Filmstadt Toronto

In der kanadischen Metropole Toronto werden so viele US-Filme wie nie zuvor gedreht – nicht jedem Bewohner der Stadt gefällt das. Ein Ortsbesuch

New York, New Orleans und Washington sind nur wenige hundert Meter voneinander entfernt. „Das hier ist die Wall Street, da drüben liegt das Weiße Haus, und die Straße dahinten wird gerne benutzt, wenn die Geschichte am Mississippi spielt“, sagt Bruce Bell. Wer mit dem schauspielerisch begabten Stadtführer mit einer Leidenschaft für Stadtgeschichte durch Toronto spaziert, merkt schnell, was diese drei Millionen Einwohner zählende Stadt aus Sicht von Filmregisseuren attraktiv macht: Auf einem guten Quadratkilometer vereint die von Wolkenkratzern geprägte Innenstadt der kanadischen Metropole so viele unterschiedliche Baustile und Epochen, dass man an jeder Straßenkreuzung das Gefühl hat, Ort und Zeit zu wechseln.

Über allem thront der Trump Tower

Hier ein neogotischer Prunkbau mit dicken Säulen neben dem Eingang, dahinter eine Reihe renovierter alter Lagerhäuser aus dem 19. Jahrhundert, und eine Ecke weiter ein historischer Bau, der dem Amtssitz des US-Präsidenten zumindest entfernt ähnelt. Wenn man den Kopf dreht, sieht man unter anderem ein 100 Jahre altes Hochhaus im Art-Déco-Stil, ein von Mies van der Rohe entworfenes Ensemble von Banktürmen im Stil der klassischen Moderne, und über allem thront der fast 300 Meter hohe Trump Tower, ein vor drei Jahren eröffneter Luxus-Glaspalast.

Diese Stadt – die viertgrößte Nordamerikas – hat im vergangenen Jahr so vielen Kino- und Fernsehfilmen als Kulisse gedient wie noch nie zuvor. „Im letzten Geschäftsjahr hat die Filmwirtschaft in Toronto einen Umsatz von 1,5 Milliarden Dollar erzielt“, sagt Justin Cutler, Film-Manager der Ontario Media Development Corporation. Die OMDC betreut im Auftrag der Regierung der Provinz Ontario die Kultur- und Medienbranche, koordiniert staatliche Zuschüsse und hat auch eine ausländische Filiale – in Los Angeles.

Auch „Robocop“, „Raum“ und „Maps to the Stars“ entstanden hier

Insgesamt rund 700 Filmproduktionen gibt es laut Cutler jährlich in Toronto: Kinofilme, Fernsehserien sowie Werbung und Musikvideos. Gut die Hälfte sind US-Produktionen, so wie der Superschurken-Actionfilm „Suicide Squad“ mit Will Smith, einer der kommerziell erfolgreichsten Filme dieses Jahres. Dessen Verfolgungsjagden wurden nur hundert Meter von Cutlers Büro in der Yonge Street gedreht, einer mit den Jahren heruntergekommenen Flaniermeile, entlang derer gerade zahlreiche neue Hochhäuser gebaut werden und die an manchen Ecken mit ihren gigantischen leuchtenden Werbetafeln wie der Times Square in New York aussieht. Auch „Pixels“, die Neuverfilmung von „Robocop“ und das oscarprämierte Drama „Raum“ sowie die deutsch-kanadische Koproduktion „Maps to the Stars“ von David Cronenberg wurden nicht weit von hier gedreht.

Neben „Suicide Squad“ mit Will Smith und Margot Robbie wurden in Toronto auch „Pacific Rim“ und „Spotlight“ gedreht.
Neben „Suicide Squad“ mit Will Smith und Margot Robbie wurden in Toronto auch „Pacific Rim“ und „Spotlight“ gedreht.

© picture alliance / dpa

Den Spitznamen „Hollywood North“ trägt das zwei Autostunden nördlich der US-Grenze gelegene Toronto schon länger. Aber dank des für US-Konzerne günstigen Wechselkurses zum kanadischen Dollar sowie umfangreichen Steuererleichterungen für ausländische Filmproduktionen boomt die Branche wie nie zuvor.

Viele Fäden laufen am östlichen Stadtrand zusammen: In den Pinewood-Studios am Ufer des Ontariosees, einem Dutzend extra für diesen Zweck gebauter und von außen bemerkenswert schmuckloser Hallen, werden viele Szenen gedreht, die keine reale Stadt als Kulisse brauchen. So wurden hier die Kunstwelten für Blockbuster wie „Pacific Rim“, den Oscar-Gewinner „Spotlight“ und die Fernsehserie „Orphan Black“ geschaffen.

Derzeit wird hier „Star Trek – Discovery“ gedreht - streng geheim

Beim Besuch des Tagesspiegels auf dem streng abgeschirmten, fast 200.000 Quadratmeter großen Gelände sind die Kulissenbauer in einer Halle, deren Tür zufällig offen steht, gerade damit beschäftigt, eine etwa 15 Meter hohe geschwungene Holzrampe zu bauen. Offenbar für die von vielen Science-Fiction-Fans mit Spannung erwartete CBS-Fernsehserie „Star Trek – Discovery“ – der erste Ableger dieser lukrativen Marke, der außerhalb der USA gefilmt wird. In einer anderen Halle, so ist zu hören, werden gerade die letzten Szenen für die Neuverfilmung von Stephen Kings Horrorclown-Geschichte „Es“ abgedreht. Tiefere Einblicke sind bei diesem Spaziergang übers Gelände nicht erlaubt: Die Pinewood-Studios sichern den Filmkonzernen schriftlich strenge Vertraulichkeit zu.

Offener geht es im Rathaus von Toronto zu. „Danke für Eure Gastfreundschaft, wie immer“ – mit diesen Worten hat sich Matt Damon auf einem Foto von sich verewigt, das im Eingang des markanten Gebäudes hängt, eines aus zwei halbrunden, grauen Betontürmen bestehenden 60er-Jahre-Baus. Auch Colin Farrell und andere prominente Schauspieler haben ein Souvenir auf den Regalen von Michele Alosinac und ihren Kollegen hinterlassen. Die ehemalige Regisseurin ist „Film Sector Development Officer“ in der Wirtschaftsförderabteilung des Rathauses von Toronto. Wer sie in ihrem mit Filmplakaten dekorierten Büro besucht, wird am Empfangstresen von den Bildern der Hollywood-Elite begrüßt.

Die Innenstadt wurde auch mal von einer Neutronenbombe ausradiert,

Michele Alosinac und ihr Team sind unter anderem für Drehgenehmigungen und die Auswahl der passenden Drehorte zuständig. Die wirtschaftliche Bedeutung für die Stadt ist enorm: „Unsere drei großen Branchen sind Finanzen, Ernährung und Film“, sagt Alosinac. Deswegen haben Stadtrat und Bürgermeister im Sommer einen Fünf-Punkte-Plan verabschiedet, wie man der Filmwirtschaft noch mehr entgegenkommen kann. Auch das Torontoer Rathaus wurde übrigens immer wieder in Kinofilmen verewigt: In „Resident Evil: Apocalypse“ ist es Regierungssitz der fiktiven Stadt Raccoon City – und wird erst von Milla Jovovich in Missachtung der Schwerkraft als vertikale Laufstrecke benutzt und dann von einer Neutronenbombe ausradiert, zusammen mit der restlichen Innenstadt von Toronto.

Viele Bewohner Torontos leben gut von und mit der wachsenden Filmwirtschaft. Mehr als 30 000 Arbeitsplätze hat die Branche im vergangenen Jahr in der Stadt gesichert, sagt Michele Alosinac. Aber einige Kanadier freuen sich über den Boom nur bedingt. „Man hat das Gefühl, dass irgendwo in der Stadt immer ein Film gedreht wird, was oft zu Verkehrsbehinderungen und anderen Störungen führt. Aber fast nie spielt Toronto dabei sich selbst“, sagt Stadtführer Bruce Bell. Toronto trage mit seiner besonderen Bausubstanz weltweit zum romantisierten Bild von New York, Chicago und anderen US-Metropolen bei, aber profitiere davon selbst zu wenig. „In einem Kinofilm haben sie sogar unser höchstes Gebäude, den CN-Tower, in der Nachbearbeitung am Computer durch das Empire State Building ersetzt“, schimpft Bell. „Es ist zum Verrücktwerden, wie unsere schöne Stadt alle anderen Städte imitiert und dabei selbst unsichtbar bleibt.“

Der Besuch des Autors wurde von der Fördergesellschaft Tourism Toronto unterstützt.

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