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Mit Glitzerfummel am Bosporus: Ein Teilnehmer der zwölften Gay Pride Parade in Istanbul performt in seinem Kostüm. Die Parade wird am Sonntag stattfinden. Schon zuvor ist auf den Straßen der türkischen Metropole viel davon zu sehen.

©  SEDAT SUNA/dpa

Vor der Gay Pride Parade in Istanbul: Türkei: Tanzen für Toleranz nicht nur am Bosporus

Regenbogen-Party in den Straßen Istanbuls: Rund 100.000 Menschen werden am Sonntag zur „Gay Pride“ in der Bosporus-Metropole erwartet. In der mehrheitlich muslimischen Türkei wollen lesbische, schwule, bi- oder transsexuelle Menschen mehr Toleranz - und Schutz.

Idil Su musste sehr viel aufgeben, um als Frau leben zu können. Die 34-jährige transsexuelle Türkin verlor ihren Job und wurde von ihrer Familie jahrelang geschnitten. „Das Leben ist manchmal immer noch sehr hart, aber es war es wert“, sagt sie und nippt an ihrem Drink. In ihrem Glitzerkleid sitzt sie mit Freunden in einem Nachtclub in der Nähe des Istanbuler Taksim-Platzes. Das Viertel ist bekannt für Transsexuellen-Bordelle. Im Club läuft gerade eine transsexuelle Miss-Wahl. In Bikinis und hochhackigen Schuhen stolzieren die Teilnehmerinnen über den Laufsteg.

Die Wahl findet vor der „Gay Pride“-Parade am 28. Juni statt. Rund 100.000 Menschen werden dieses Jahr zu dem größten Schwulen- und Lesbenmarsch des muslimischen Nahen Ostens erwartet. Im Westen der Türkei, vor allem in großen Städten, ist der Raum für persönliche Freiräume größer als in den ländlichen Gegenden Anatoliens. In Istanbul etwa hat sich eine kleine Szene für lesbische, schwule, bi- oder transsexuelle Menschen etabliert, auch wenn die regierende islamisch-konservative AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan in den vergangenen Jahren ein strengeres Religionsverständnis begünstigt hat.

Die zwölfte Gay Pride Parade in Istanbul am 29. Juni 2014.
Die zwölfte Gay Pride Parade in Istanbul am 29. Juni 2014.

© dpa

Diskriminierung sei an der Tagesordnung gewesen, als sie begann, als Frau zu leben, erzählt Idil Su. Aus ihrem Job als Rechtsanwältin sei sie herausgedrängt worden. Kollegen, Taxifahrer und sogar Richter - von überall seien Beschimpfungen und Beleidigungen gekommen. In der mehrheitlich muslimischen Türkei ist es immer noch sehr schwierig, als Mitglied einer sexuellen Minderheit einen Job zu finden. „Auch Menschen, die mir nahe stehen, die mich und meine Arbeit kennen, geben mir keinen Job, weil sie Angst haben“, meint Su. Viele trans- oder homosexuelle Türken hoffen daher, dass das Klima im Land nach dem Wahlerfolg der Kurdenpartei HDP Anfang Juni toleranter wird. Die Partei hat sich den Kampf gegen Homophobie und für mehr Minderheitenrechte auf die Fahnen geschrieben. So will die Oppositionspartei, die bei den Parlamentswahlen 80 Sitze gewonnen hat, ein Gesetz gegen Hassverbrechen einbringen.

Der schwule HDP-Kandidat Baris Sulu sieht sich trotz seiner guten Ausbildung vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen. „Es gibt viele Vorurteile, man zahlt einen hohen Preis“, sagt er. Auch wenn er es dieses Mal nicht ins Parlament geschafft hat, bleibt er optimistisch. „Die Menschen reißen bestehende Strukturen ein, weil sie frei leben und sich ausdrücken wollen.“ Homosexualität ist in der Türkei nicht verboten, Schwule oder andere sexuelle Minderheiten genießen aber kaum gesetzlichen Schutz. „Es ist wichtig für uns, dass wir sichtbarer werden“, sagt Derya Kaynak, eine transsexuelle Kurdin aus dem Südosten des Landes. Die Einstellung der Menschen ist dort eher konservativ, aber in ihrer Heimatstadt, der Kurdenmetropole Diyarbakir, fühlte sie sich dennoch wohler als in Istanbul. „Als ich heute Abend herkam, haben mich die Leute angeglotzt. Als wäre ich eine Kuh. Diyarbakir ist ganz anders. Niemand starrt.“ (dpa)

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