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Seit über einer Woche toben Waldbrände in der Sperrzone um den im April 1986 verunglückten Kernreaktor.

© Volodymyr Shuvayev / AFP

Update

Waldbrände toben in Ukraine: Feuerwehr kämpft bei Tschernobyl in verstrahlter Sperrzone

Seit mehr als einer Woche brennt es in der Sperrzone um den Unglücksreaktor Tschernobyl. Es wächst die Sorge, dass dadurch Radioaktivität freigesetzt wird.

Von Oliver Bilger

Weit in den Himmel ragende Rauchsäulen, brennende Bäume und Häuser, dichter Qualm, der die Sicht am Boden nimmt – das sind die Bilder, die seit Tagen aus dem Norden der Ukraine in alle Welt gelangen. Ein Feuerinferno, nicht weit vom havarierten Atomkraftwerk Tschernobyl.

Seit mehr als einer Woche toben Waldbrände in der Sperrzone um den im April 1986 verunglückten Kernreaktor. Und die Feuerwehrleute haben die Flammen noch immer nicht unter Kontrolle. Nun wächst die Sorge, dass durch die Waldbrände Radioaktivität freigesetzt werden könnte.

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Nach dem Reaktorunglück vor 34 Jahren war im Radius von 30 Kilometern eine Sperrzone rund um das Gelände des ehemaligen Atomkraftwerks errichtet worden. Die Gegend ist weiterhin mit radioaktiven Stoffen wie Cäsium- und Strontium-Partikeln kontaminiert. Das Gebiet wird streng kontrolliert, damit es nicht zu Bränden kommt.

Diesmal konnten auch die Wachleute nichts ausrichten. Seit Tagen lodert nun das Feuer. Am Sonntag kämpften 362 Einsatzkräfte gegen die Flammen. Drei Flugzeuge und drei Hubschrauber waren ebenfalls im Einsatz, um das Feuer zu stoppen.

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Zum aktuellen Ausmaß der Brände machten die Behörden keine Angaben. Sie verwiesen am Wochenende lediglich auf Satellitenbilder vom vergangenen Sonntag, wonach ein Gebiet von etwa 3500 Hektar innerhalb des Sperrgebiets in Flammen gestanden habe. Der Beton-Sarkophag der Atomruine war am Freitag bereits in Rauch gehüllt. Das tatsächliche Ausmaß der Brände könnte allerdings noch größer sein, befürchten Umweltschützer.

Keine Gefahr für Deutschland

Mehr als 350 Feuerwehrleute sind im Einsatz gegen die Flammen. 
Mehr als 350 Feuerwehrleute sind im Einsatz gegen die Flammen. 

© REUTERS

„Brände in der Sperrzone sind keine Seltenheit, aber die Schwere und Intensität der Brände hat im Laufe der Jahre zugenommen“, heißt es in einer Stellungnahme des Nasa Earth Observatorys. Untersuchungen hätten zudem ergeben, dass Brände in stark kontaminierten Bereichen aufgewirbelte radioaktive Elemente in Rauchwolken über große Entfernungen transportiert werden könnten.

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Für Deutschland stellten die Brände keine Gefahr da, erklärte das Bundesamt für Strahlenschutz. „Aufgrund der derzeitigen Wetterlage wurden bisher keine Luftmassen aus der Ukraine, die radioaktive Stoffe hätten mit sich führen können, nach Deutschland transportiert", hieß es in einer Stellungnahme. Selbst bei ungünstigen Wetterverhältnissen wären die Auswirkungen auf Deutschland äußerst gering. 

Nordwestwind trug Smog in den vergangenen Tagen in Richtung der nur knapp 100 Kilometer entfernten Hauptstadt Kiew. Zwar warnten die Behörden vor schlechter Luftqualität, begründeten die jedoch mit meteorologischen Bedingungen und nicht mit dem Feuer. Das Katastrophenschutzministerium in Kiew und Behördenvertreter der  besiedelten Gebieten nahe der Sperrzone versicherten, dass keine Grenzwerte für radioaktive Strahlung überschritten worden seien.

Greenpeace warnt vor „kritischer Situation“

Heinz Smital, Atomexperte der Umweltorganisation Greenpeace, sprach dennoch von einer „kritischen Situation“. „Bei Bränden kann eine erhebliche Menge Radioaktivität freigesetzt werden“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur und verwies auf Erfahrungswerte von Bränden in der Vergangenheit. Aktuelle Daten lagen ihm noch nicht vor. „Für die Feuerwehr ist das eine gefährliche Sache.“

3500 Hektar sollen betroffen sein. Das wahre Ausmaß der Brände könnte jedoch noch größer sein. 
3500 Hektar sollen betroffen sein. Das wahre Ausmaß der Brände könnte jedoch noch größer sein. 

© Volodymyr Shuvayev / AFP

Der Leiter der ukrainischen Umweltbehörde, Jegor Firssow, schrieb bereits in der vorigen Woche bei Facebook: „Es gibt schlechte Neuigkeiten – im Zentrum des Feuers ist die Radioaktivität über der Norm.“ Dazu veröffentlichte Firssow ein kurzes Video, in dem ein Geigerzähler zu sehen ist. Der Messewert des Geräts beträgt 2,3 Mikrosievert pro Stunde – üblich seien hingegen 0,14. Die Strahlung wäre demzufolge 16 Mal höher.

Die maximal zulässige Menge an natürlicher Hintergrundstrahlung beträgt laut ukrainischen Behörden 0,5 Mikrosievert pro Stunde. Andere Bilder von Geigerzählern in der betroffenen Region zeigten jedoch auch niedrigere Werte.

Bewohner in Sicherheit gebracht

Wladimir Demtschuk vom Zivilschutzdienst bezeichnete den Löscheinsatz als schwierig: „Ich möchte betonen, dass zu den Besonderheiten der Löscharbeiten in der Sperrzone gehört, dass die Technik nicht zu einzelnen Brandherden fahren kann.“ Er sprach von erhöhter radioaktiver Strahlung an einzelnen Abschnitten.

Mehrere Bewohner, die in die eigentlich verlassene Ortschaft Poliske zurückgekehrt sind, musste die Polizei in Sicherheit bringen. Die Behörden schlossen die Kontrollpunkte zur Sperrzone.

Flammen wüten in dem Dorf Stara Markiwka, nahe Poliske.
Flammen wüten in dem Dorf Stara Markiwka, nahe Poliske.

© Pyotr Sivkov/ imago images/ITAR-TASS

Ein 27-Jähriger aus einer benachbarten Siedlung soll nach Polizeiangaben gestanden haben, für den Brand verantwortlich zu sein. Der vorbestrafte Mann gab an, aus Langeweile gezündelt zu haben.

Präsident Selenskyj kritisiert Umgang mit Feuer

In den vergangenen Jahren gab es wiederholt Brände in dem eigentlich unbewohnten Gebiet. Immer im Frühjahr verbrennen Menschen trockenes Laub und Gras – und verursachen unkontrollierbare Brände. Präsident Wolodymyr Selenskyj kritisierte den leichtfertigen Umgang mit Feuer: „Ich möchte mich an die Bürger wenden, denen es egal ist. Die Rede ist von jenen, die im 21. Jahrhundert Gras anbrennen und damit schreckliche Feuer verursachen“, sagte er.

In diesem Jahr kann sich das Feuer besonders schnell ausbreiten. Wegen des zu milden Winters in der Ex-Sowjetrepublik ist es in weiten Teilen des Landes viel zu trocken. Nun liegt die Hoffnung auf dem Einsatz der Feuerwehr und einem Wetterumschwung zu Wochenbeginn, der Regen bringen könnte. (mit dpa)

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