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Panorama: Was hat er denn jetzt schon wieder vor? Er ist braun gebrannt und wirkt immer entspannt, als sei er auf dem Weg zum Tennisplatz. Dabei ist Karl Ganser das schlechte Gewissen der Architekten. Er sagt: Laßt das Bauen sein!

Von Susanne Kippenberger Karl Ganser kam aus Breitenthal. Nicht aus Rom und Madrid, Sao Paulo, München und Shanghai, wie so viele Baumeister beim Weltkongress der Architekten in Berlin.

Von Susanne Kippenberger

Karl Ganser kam aus Breitenthal. Nicht aus Rom und Madrid, Sao Paulo, München und Shanghai, wie so viele Baumeister beim Weltkongress der Architekten in Berlin. Karl Ganser kam vom Bauernhof in Bayern: um den Architekten das Bauen auszutreiben.

In Breitkordhosen und Joggingschuhen läuft er die operettenhaft opulente Treppe im Grand Hotel der DDR an der Friedrichstraße hinunter, läßt draußen vor der Tür die schwarzen Limousinen rechts liegen, mit denen ein Sponsor die VIPs zum Kongress kutschiert. Der elegante Bauernsohn, Anwalt einer menschen- und umweltfreundlichen Stadt, setzt sich ans Steuer seines alten roten Kombis, in dem Kleingeld, Schokolade und U-Bahnfahrplan herumfliegen, froh, noch zwei Mitfahrer zu haben: Wenn schon Autofahren, erklärt der überzeugte Ökologe, der in den sechziger Jahren in München das erste Umweltkonzept einer deutschen Kommune vorlegte, dann wenigstens mit vollem Auto. „Ein brillanter, visionärer Pragmatiker“: So hat der „Spiegel“ Karl Ganser 1999, am Ende seiner ruhmreichen Dekade als Leiter der Internationalen Bauausstellung (IBA) Emscher Park gefeiert.

Stadt, das ist für Ganser weit mehr als eine Aneinanderreihung von Bauwerken, weit mehr als Stein allein.„Ressource Architektur“ hieß das Motto des Kongresses. „Ressource Freiraum“ hieß die Ausstellung, die Ganser an einem Abend eröffnete. Er kritisiert den starren Blick allein auf einzelne architektonische Highlights. Das sei fast immer so, wenn Architekten zusammenkommen, sagt er. So wie in den Zeitschriften: Gezeigt wird immer das gelunge Einzelbeispielt, menschenleer, vom Kontext isoliert.

Der Marathon-Mann

Als Sprecher des wissenschaftlichen Vorbereitungskomitees tritt er auf dem Kongress auf, auch wenn er selber gar kein Baumeister ist, eher ein Baustopper, studierter Chemiker und habilitierter Geograph. Als er seine Eröffnungsrede hält, nicht, wie die anderen in Schlips und Kragen, sonder im bayerischen Stehkragen, da hält er sich an keinem Manuskript fest – die Hände braucht er zum Reden. In klar und scharf formulierten Worten und Pausen spricht der Professor über das magische Dreieck, wie er es nennt: Nachhaltigkeit, Respekt vor der Geschichte und regionale Identität.

Man kann sehen, dass Ganser lebt, was er predigt. Bleich sehen die Organisatoren des Kongresses aus, mitgenommen von den Strapazen der Vorbereitung – sportlich und braungebrannt tritt der 64-Jährige auf. Als ginge er auf den Tennisplatz in Sardinien und nicht ins ICC. Man sieht es dem passionierten Wanderer an, dass er nicht am Schreibtisch denkt, sondern im Gehen an der frischen Luft. Man sieht ihm an, dass die Nachhaltigkeit für ihn kein Lippenbekenntnis ist, sondern sein Lebenselixier.

Wo er auch ist: Der urbane Dorfbewohner fällt aus dem Rahmen. Und steht doch mittendrin. Nur stehen bleibt er nicht. „Marathon-Mann“ hat die „FAZ“ ihn genannt, der „in tausend kleinen Schritten“ inmitten der verkrusteten Strukturen des SPD-Reviers erreicht hat, was niemand für möglich hielt. So hat der bayerische Schwabe das Ansehen und Aussehen der Städte im Ruhrgebiet in den letzten Jahrzehnten stärker geprägt als irgendein Architekt oder Städteplaner.

Marathon-Mann. Ein Mann der tausend Stiche. Eckig, grantig und charmant, hört Ganser mit dem Sticheln nie auf. Auch nicht auf der Eröffnungspressekonferenz des Kongresses. Er muss den Mund nicht aufmachen, um zu reden. Seine Mimik choreografiert er, wie alles andere, sehr genau. Auch wenn er ein Teamarbeiter ist – die Fäden gibt Ganser nie aus der Hand. Während die Vertreter der Verbände sich selber feiern und, kaum dass der Kongress begonnen hat, erklären, was für ein großer Erfolg er ist, setzt Ganser alles ein, was er hat, Augenbrauen und Falten, Augen, Nase, Mund, um zu ironisieren, zu kommentieren, zu kritisieren.

Von Sonntagsreden hält er nichts. Karl Ganser hält immer Montagsreden: Fangen wir es an! Nur, dass, was für ihn der Anfang ist, für andere das Ende bedeutet. „Wir müssen endlich aufhören, immer wieder neu zu bauen, weiter zu baue“, predigt er den Architekten. Rückbauen heißt für ihn das Gebot der Stunde. Mit sorgfältiger Hand wegnehmen, was weg kann, und weiter entwickeln, was sich weiter zu entwickeln lohnt. So sieht sein magisches Dreieck in der Praxis aus.

Man kann hören, dass er lebt, was er predigt: Noch immer spricht er mit jenem leicht knarzigen bayerischen Akzent, den er auch in den 30 Jahren seiner Tätigkeit in Nordrhein-Westfalen nicht abgelegt hat, in denen er jedes Wochenende zurückgefahren ist auf den Bauernhof in Breitenthal, zwischen Augsburg und Ulm, den schon sein Vater bewirtschaftet hat. Dort lebt er heute mit seiner Frau, die diesmal auch mit nach Berlin gekommen ist.

„Ich bin ziemlich sicher“, erzählt er am Frühstückstisch im Grand Hotel, dass wir auch noch Autobahnen einsäen werden.“ Da muss selbst seine Frau lachen, die an verrückte Ideen gewohnt ist. „Das glaub ich nicht.“ Doch, strahlt Ganser, während er sich die Sülze aufs Brötchen legt, das haben wir schon gemacht: in Dortmund, mit einer vierspurigen Tangente, die überflüssig war.

Was für andere das Ende ist, das Ende des wirtschaftlichen Wachstums, ist für ihn die Hoffnung auf einen Neuanfang: der Abschied vom Größenwahn, der in Berlin besondere Blüten getrieben habe. „Hurra, wir wachsen wieder!“, so Ganser, hieß der Jubelschrei nach der Wende. Dass die Wasserstadt Havel eine große Pleite würde, meint er, war von Anfang an vorauszusehen: „Das war völlig überdimensioniert. Da hat Berlin sich wissentlich in die Tasche gelogen.“

Jetzt müsse sich die Stadt einer neuen Herausforderung stellen: der Normalität. „Die Zeit der Stars ist vorbei. Man kann nicht permanent Hauptstadt bauen.“ Dabei kann Berlin nun zum Vorbild werden, glaubt Ganser,weil es als erste große deutsche Stadt mit jenem gewaltigen Problem konfrontiert ist, dem sich bald alle stellen müssten, dass es von allem zu viel hat. Nicht nur zu viele Theater und Opernhäuser, auch zu viele Wohnungen, Straßen, Büros und Kindergärten. In den Architektur-Ausstellungen im Gropius Bau und am Potsdamer Platz sind derzeit lauter schicke neue Schulen zu bewundern. Gleichzeitig werden jetzt schon 22 Schulgebäude in der Stadt nicht mehr als solche genutzt. Und es werden bekanntlich immer mehr.

Die Zeit der Stars ist vorbei

Was macht man mit denen? Erst mal stehen lassen, lautet Gansers Empfehlung. Was man heute stehen lässt, kann man morgen immer noch abreißen. Mit diesem Konzept hat er das Ruhrgebiet gerettet. Tabula rasa wollten die Politiker machen, als es mit dem Bergbau und der Schwerindustrie zu Ende ging. Weg mit den Zechen, weg mit den Hochöfen, weg mit allem, was an den Schmutz und die Arbeit erinnert, mit dem das Ruhrgebiet groß geworden ist. Die IBA Emscher Park hat die eigene, eigenwillige Schönheit des Ruhrgebiets zum Vorschein gebracht. Dass die Essener Zeche Zollverein heute auf der UNESCO-Liste des Weltkulturerbes steht, dass Stadtplaner und Politiker aus der ganzen Welt ins Ruhrgebiet pilgern, um sich anzugucken, was man mit einer toten Industrieregion alles anstellen kann, dass Hochöfen zu Freizeitparks wurde, Gasometer zu Aussichtstürmen, Zechen zu Gründerzentren und Gebläsehallen zu Konzertsälen – das ist das Verdienst von Ganser und seinem kleinen Team von 30 Mitarbeitern.

Dass er entscheidend zu einer veränderten Wahrnehmung und Nutzung von Industriebauten beigetragen hat, dafür sollte er im letzten Jahr auch vom Deutschen Kulturrat, geehrt werden: für seine „hervorragenden Verdienste“ als Leiter der IBA Emscher Park. „Dieses Vorhaben vereinigt beispielhaft Baukultur, Stadtentwicklung, Ökologie, Wirtschaft und sozialen Wandel“, hieß es. Aber dann hat Ganser in letzter Minute die Annahme des Preises verweigert: er hoffte damit, die Zerstörung eines anderen Industriedenkmals, des Kraftwerks Vockerode in Sachsen-Anhalt, verhindern zu können. Vergeblich.

Was heute abgerissen wird, kann – und soll – man morgen nicht wieder aufbauen, das ist Gansers Überzeugung. „Ich nerve die Leute immer damit, dass ich frage: Was sieht man, wenn man nichts mehr sieht? Dass wir in den letzten 50 Jahren gebaut haben wie die Weltmeister, um alle Lücken zu schließen – und jetzt rangehen , neue aufzureißen, so dass die übrigen Bauten dastehen wie nach dem Krieg, wie Zähne in einem löchrigen Gebiss, höchstens mit Rasen als Zwischenraum.“ Das ist für Ganser keine Lösung.

Wenigstens so viel Zeit sollte man sich immer lassen: erst mal zu überlegen, was man machen will und kann damit. Eine Menge, glaubt Ganser, und plädiert im Zweifel für eine möglichst einfache, billige Lösung. Warum nicht eine leere Schule in einen überdachten Bolzplatz verwandeln, fragt der Fußballspieler, statt schicke Bibliotheken rein zu bauen, die man hinterher nicht mehr braucht, weil man auch von ihnen zu viel hat. Warum nicht die leeren Gebäude in einen Fonds geben, die Kosten , die für den Abriss nötig wären, in den notwendigsten Unterhalt stecken und die Häuser phantasievollen Nutzern überlassen – wie ja auch in Berlin nach der Wende oft geschehen.

Wenn wegnehmen, dann mit Intelligenz, heißt seine Empfehlung . Also nicht einfach in die Luft sprengen, sondern auf den Schrottplatz bringen, eine Art Autofriedhof als Materiallager, von wo aus Einzelteile weiter verwendet werden können – Plattenbauten zu Bauzäunen. Das Traggerüst, denkt er weiter zwischen Brötchen, Kaffee und Sülze, könnte man auch stehen lassen und als Pergola begrünen, wie der Künstler Danny Karavan es in Duisburg gemacht hat. Oder man entscheidet sich für „das kontrollierte Wegrosten“, wie bei den Hochöfen in Duisburg: „Ruinen haben immer zur deutschen Landschaft gehört, am Rhein zum Beispiel“, sagt er. Warum also nicht auch am Postbahnhof in Berlin, von dem Ganser mit leuchtenden Augen erzählt, einer so großen Industriebrache, dass Berlin sich sehr schwer tun werde damit, sie sinnvoll zu nutzen. „Vieles wird Wildnis werden.“ Zu diesem Konzept gehört Gelassenheit: „Man muss ein solides Verhältnis zur Unordentlichkeit haben.“

Alpenrecht in Duisburg

Architekten, findet Ganser, jammern zu viel: Wie schlecht die Welt sei, wie knapp das Geld, wie erbarmungslos die Bürokratie, und wie verständnislos das Publikum – und wie gut sie selber wären. Ganser hält dagegen: „Die Welt ist nicht so festgefügt, dass es nicht immer Lücken gibt, wo man mehr bewegen kann, als es zunächst aussieht.“ Ganser ist kein Anarchist, er überschreitet die Gesetze nicht – er sucht Wege, sie zu umgehen. So können die Leute heute über die riesige, ungesicherte Hütte in Duisburg kraxeln, weil der Bayer dort Alpenrecht durchgesetzt hat.

Auch eine gute Planung gehört zum Konzept, zum Bauen ebenso wie beim Wegnehmen. Darum hat er auch mit angeregt, im Rahmen des gewaltigen Projekts Stadtumbauprogramm Ost, für das in den Jahren 2002 bis 2009 2,7 Millarden öffentlicher Gelder bewilligt sind, nicht gleich mit dem Abriss zu beginnen, sondern erst einmal einen städtebaulichen Wettbewerb für all die Städte und Siedlungen auszuschreiben, aus denen die Menschen weglaufen. In diesem Sommer wird die Jury entscheiden.

Weniger die Baukunst allein, die Baukultur als Ganzes liegt Ganser am Herzen. So gehört er auch zur Initiative Baukultur, die das Bundesbauministerium mit Vertretern der verschiedenen Verbände fördern will, als Teil des gesellschaftlichen Alltags. Als Vorsitzender des Fördervereins Deutsches Architekturzentrum wurde Ganser mit der Bildung einer Initiative beauftragt, die in eine Stiftung münden soll. Ein Konvent soll ein Schwarz-Weiß-Buch erstellen, in dem auch abschreckende Beispiele, genau recherchiert, und aufgelistet werden.

Ganser hätte den Architekten auf dem Weltkongress nicht nur die neuen großen Bundesbauten gezeigt, sondern auch die sozialen Stadtprojekte, die abgelegenen Plattenbausiedlungen. Denn auch in dieser Beziehung wird Berlin seiner Meinung nach Vorreiter sein: in dem Ausmaß, in dem es konfrontiert ist mit der Aufspaltung der Stadt in Reich und Arm. Darum auch bedauert er, dass Hardt-Waltherr Hämer, Leiter der IBA Alt in Berlin, auf dem Kongress nicht als Redner auftrat; schließlich hat er die behutsame, soziale Stadterneuerung entwickelt, hat die Mietskasernen vor dem Abriss gerettet, bezahlbaren Wohnraum erhalten und die Lücken mit neuer Architektur, wie am Maybachufer, gefüllt. Der Berliner ist gerade 80 geworden – gibt es keine jungen Hämers? Nein, kommt die Antwort kategorisch zurück, „weil wir ihnen kein Podium geben. Aber auch weil alle Studenten Stararchitekten werden wollen – und niemand solider Sozialarbeiter mit gestalterischem Gefühl.“

Der Sozialarbeiter als Architekt der Stadt der Zukunft? Da kann einem auch Angst werden. Heißt das, keine atemberaubende Zukunftsarchitektur mehr? Keine verwöhnten Stars mit teuren Ideen? Selbst wenn Ganser zuweilen übers Ziel hinausschießt – es lohnt sich, seiner ungewöhnlichen Stimme zuzuhören. Denn er will ein Gegengewicht zum Übergewicht der Stararchitektur sein. Abschaffen will er sie nicht. Deshalb hat er in der Kongress-Dokumentation auch den Brief von Matthias Sauerbruch abgedruckt, der als Mitglied des wissenschaftlichen Vorbereitungskomitees scharfe Kritik übt an den Fragen, die Ganser formuliert hatte. Sauerbruch, einer der besten, kreativsten Architekten Berlins, war das alles zu konservativ, zu restriktiv. Das ganze Wagnis der modernen Architektur, der Spaß am Risiko, der kam ihm da zu kurz.

Die Stadt braucht eben beides: einen Ganser und einen Sauerbruch.

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