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Was uns so für Mails erreichten: Die tägliche Wut: „Idioten!“ - „Türken!“ - „Nazis!“

Jeden Morgen gab es Stress, das war fast schon Routine für Lina, 18. Die Typen, die sie an der Haltestelle und im Bus nervten und beleidigten – sie gingen auf die Nachbarschule in Zehlendorf.

Jeden Morgen gab es Stress, das war fast schon Routine für Lina, 18. Die Typen, die sie an der Haltestelle und im Bus nervten und beleidigten – sie gingen auf die Nachbarschule in Zehlendorf. Zwischen beiden herrscht „so eine Art Bandenkrieg“, mailte Lina uns, „das geht seit Generationen so“. Schule gegen Schule, Schüler gegen Schüler. Über Monate hat sie die Stressmacher („ein paar türkische Jungs und Mädchen“) an der Bushaltestelle ertragen müssen, „aber das war noch harmlos“, schrieb sie. Doch irgendwann haben sie Lina die Tasche entrissen und nach Geld durchsucht. Gut: Lina hatte keine Kohle dabei, schrieb sie, „ich war nie so glücklich, pleite zu sein“. Pech: Von da an ging der Ärger richtig los. Schläge, Drohungen, Erpressungen. Na toll.

Ein anderer Fall, am anderen Ende Berlins. Max, 18, hat uns von einem Überfall am S-Bahnhof Hennigsdorf geschrieben. Er kam gerade von der Party eines Kumpel, als ihn zwei junge Typen in einem Tunnel an der Schulter packten und an die Wand drückten. „Nach einigen Schlägen, Tritten und Morddrohungen gelang mir die Flucht“, mailte uns Max, „ich rief die Polizei.“ Nur: Als die eintraf, mischten sich immer mehr Jungs („bestimmt 20“) ein. Als Max endlich im Polizeiwagen saß und eigentlich sicher war, zischte ein Typ noch einen letzten knappen Satz, den Max nicht vergessen hat: „Ich bin hier Hennigsdorfer Nazi. Und wenn ich dich noch mal sehe, bringe ich dich um.“ Verstanden?

„Wir Opfer“. So lautete die Überschrift vorigen Freitag auf unserer Seite. Wir wollten wissen, ob auch ihr überfallen wurdet und wie ihr damit umgeht. Wir bekamen viele Mails, persönliche und traurige. So wurde Paul, 26, vor wenigen Wochen in Charlottenburg niedergestochen („In den Oberarm, in den Rücken, in die Wange – ich kann den Mund immer noch nicht gut öffnen“). Die Typen waren „meines Erachtens nach Deutsche“, mailte uns Paul – als ob es das weniger schlimm machen würde. Ronny, 21, wurde nahe des S-Bahnhofs Landsberger Allee ausgeraubt, als er ziemlich betrunken nach Hause torkelte. „Ich bin gerannt wie ein Irrer, und – naja – mit vier Bier weniger im Hirn hätten die Wichser mich nicht erwischt.“ Auch bei ihm waren es Deutsche, „die verhalten sich eh alle gleich“. Ronny hat sich einen neuen MP3-Player kaufen müssen.

Die Wunden von Paul – er, der in Charlottenburg niedergestochen wurde – werden verheilen, die Polizei hat die Typen geschnappt, aber so ein dummer Gedanke bleibt: „Ich schaue mich viel um, bin nicht gern im Dunkeln.“ Außerdem ist da diese Frage: Kommen sie zurück, jetzt, da sie wissen, wo sie klingeln müssen? Er hat sich blutend in seine Wohnung gerettet – vor den Augen der Täter.

In seiner Mail an uns hat es Jens, 16, aus Lichtenrade vielleicht auf den Punkt gebracht. „Oft hat diese Art von Raub ja nichts mit Geld zu tun“, schrieb er uns, „es ist mehr und mehr ein Trendsport. Viele Leute gehen zum Spaß andere Leute ausrauben.“ Das ist irgendwie normal, genauso, dass Jens nun junge Typen, die aussehen wie „Südländer“, – Jens wurde von „fünf Arabern“ am Ku’damm überfallen („wegen 3 Euro, aber die Polizei hat sie geschnappt“) – über einen Kamm schert. Das Abziehen fördere Ausländerfeindlichkeit, er ertappe sich oft selbst dabei, wie er oft Klischees anwende, schreibt er. „Leider.“ André Görke

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