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Verzweifelt stemmt sich das kleine Elversdorf in Sachsen-Anhalt gegen das Hochwasser von Elbe und Tanger. Foto: Jens Wolf/dpa

© dpa

Weiter Bedrohung durch Hochwasser: Die Welle rollt nach Norden

Das Hochwasser ist noch lange nicht überstanden, auch wenn die Pegelstände mancherorts sinken. Sechs Bundesländer sind nach wie vor betroffen. Am gebrochenen Deich bei Fischbeck gibt es derweil einen ersten kleinen Erfolg.

Ein Reh nimmt Anlauf zum Sprung über die Sandsackbarriere. Es gerät ins Stolpern, sucht auf dem glatten Material vergeblich nach Halt, rappelt sich dann doch mit letzter Kraft auf und schwimmt schließlich zu einer kleinen Insel in der Mitte der Elbe. Das Schauspiel in der Nähe der Stadt Wittenberge im nordwestlichen Brandenburg hat die Helfer am Deich aufgeschreckt: Als sie die Stelle näher betrachteten, sahen sie, dass das Tier drei Sandsäcke bei seinem Überlebenskampf weggerissen hatte. Nun strömte Wasser aus der Elbe über den mit Sandsäcken erhöhten Damm und bedrohte die Standsicherheit des ganzen Bauwerks. Nur mit großem Einsatz konnte die Lücke wieder geschlossen werden.

So eine kleine Episode aus dem nunmehr seit einer Woche andauernden Kampf gegen die Fluten erzählt der Chef des Krisenstabes in der Prignitz, Landrat Hans Lange, nicht in großer Runde. Da geht es eher um Pegelstände, den Einsatz von 200 zusätzlichen Bundeswehrsoldaten oder die Absperrung des Evakuierungsgebietes in Wittenberge, auf halber Strecke zwischen Berlin und Hamburg gelegen. „Aber zumindest bei den Einsatzkräften an den Deichen sprechen sich solche Erlebnisse schnell herum, zum Glück“, sagt Lange. „Sie zeigen, wie sehr die Sicherheit unseres Landstrichs am dünnen Faden hängt.“ Wäre das Reh nicht rechtzeitig gesehen worden, wäre der ganze Damm möglicherweise ins Wanken geraten. So aber konnte die Prignitz vor einer Überschwemmung bewahrt werden.

Bei 7,75 Meter verharrte der Pegel in Wittenberge. Am Sonntag waren es noch zehn Zentimeter mehr. Doch die Marke des „Jahrhunderthochwassers“ von 2002 ist längst überschritten. Nur noch meterhohe Schichten von Sandsäcken auf den Deichen halten die Elbe in ihrem Bett.

Der Nordwesten Brandenburgs profitiert außerdem von zwei Deichbrüchen bei Tangermünde in Sachsen-Anhalt. Bei Fischbeck strömen seit Montag pro Sekunde rund 1000 Kubikmeter Wasser ungehindert ins Hinterland. Der Riss vergrößerte sich bis zum Morgen auf eine Länge von 100 Metern, obwohl die Bundeswehr im Fünf-Minuten-Takt riesige Sandsäcke und sogar Steine aus Hubschraubern auf die Bruchstelle abwarf. Von Land aus ist diese Stelle schon lange nicht mehr erreichbar.

Am Nachmittag brachte der Einsatz der Hubschrauber einen ersten kleinen Erfolg: Luftbilder zeigten, dass die Öffnung im Deich etwas verkleinert werden konnte. Dennoch wurden weitere Gebiete überschwemmt. Tausende Menschen mussten vor den Fluten in Sicherheit gebracht werden. „Die Feuerwehr fährt mit Booten in die eingeschlossenen Orte“, hieß es vom Krisenstab des Landkreises Stendal. „Menschen, die zuerst noch in ihren Häusern ausharren wollten, bitten nun um die Evakuierung. Ohne Strom, Trinkwasser und Lebensmittel ist ein längerer Aufenthalt unmöglich.“ Überschwemmt wurde auch der Ort Schönhausen, in dem 1815 der spätere Reichskanzler Otto von Bismarck zur Welt kam.

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Weiterhin unterbrochen bleibt der Zugverkehr zwischen Berlin und dem Ruhrgebiet und in Richtung Amsterdam, weil die Bahn die Eisenbahnbrücke in diesem Bereich vorsorglich gesperrt hatte.

Unterdessen schob sich der Hochwasserscheitel im Laufe des Dienstags zu den Elbanrainern in Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein, so dass jetzt sechs Bundesländer von der Flut betroffen sind. Die Bewohner der Altstadtinsel im niedersächsischen Hitzacker müssen sich auf eine Evakuierung einstellen. Hier schützt zwar ein Damm den Ort, aber angesichts noch nie erreichter Pegelstände wollen die Behörden kein Risiko eingehen. Am heutigen Mittwoch wollen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) die vom Elbhochwasser bedrohte Stadt besuchen.

Auch in Lauenburg ist man hochwassererprobt. Die bisherigen Rekord-Höchststände 2006 (9,12 Meter) und 2011 (9,22 Meter) wurden bereits am Montag übertroffen. Die Menschen der 11 000 Einwohner zählenden südlichsten Stadt Schleswig-Holsteins erwarten noch den Scheitelpunkt der Flut, doch die vorausgesagten 10,35 Meter werden wohl nicht erreicht. Am Dienstagabend lag der Pegelstand bei 9,61 Metern bei einem Anstieg von einem Zentimeter pro Stunde. In der Nacht zu Montag wurden 400 Altstadtbewohner wegebracht. Rund 1000 Helfer waren zuletzt in Lauenburg im Einsatz. Dort wurde bereits am 5. Juni Katastrophenalarm ausgerufen.

Auch in den nächsten Tagen bleibt der Einsatz eines Hubschraubers mit Wärmebildkameras wichtig, um die Stabilität der Deiche zu überwachen. Nicht die Wasserhöhe, sondern die ungewisse Dauer des immensen Wasserdrucks sorgt die Katastrophenschützer am meisten. Womöglich bleibt die Wasserhöhe noch eine Woche lang über neun Meter – das gab es noch nie in Lauenburg.

Flussabwärts ein paar Kilometer weiter liegt die Stadt Geesthacht. Die dortige Elbuferstraße, an der auch das vom Netz genommene Kernkraftwerk Krümmel liegt, wurde für den Durchgangsverkehr gesperrt. Ein Stadtsprecher betonte, direkt am Meiler gebe es keine Wasserprobleme. Aus dem Kieler Umweltministerium, das für die Atomaufsicht zuständig ist, heißt es ebenfalls, dass keine Gefahr für eine Flutung des Reaktors bestehe. Kritisch werde es bei einem Wasserstand von 9,70 Metern Höhe. Gerechnet werde mit maximal 8,35 Metern. Derzeit sind es etwa 7,40 Meter.

Wer spenden möchte, findet die Kontonummern großer Hilfsorganisationen hier: https:/www.spendenantrag.de

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