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Panorama: Wer sind die Hintermänner?

Der Papst-Attentäter Ali Agca wird wegen guter Führung freigelassen – die Wahrheit wird wohl niemals herauskommen

Mittwoch, 13. Mai 1981, 17 Uhr 19. Zur Generalaudienz vor mehreren Zehntausend Gläubigen fährt Johannes Paul II. im offenen Wagen über den Petersplatz. Da treffen ihn zwei Schüsse aus nächster Nähe. Lebensgefährlich am Bauch verletzt, wird der 61-Jährige unter hohem Blutverlust in die Gemelli-Klinik gebracht. Mit knapper Not übersteht er Attentat, Operationen und eine nachfolgende Virusinfektion. Johannes Paul II. ist der erste Papst, der sich, leidend und ausgemergelt, im Krankenbett fotografieren lässt. Später vergibt er öffentlich dem Attentäter. Fünf Monate später beginnt er wieder mit den Generalaudienzen auf dem Petersplatz.

Als Schütze verhaftet und nach nur dreitägigem Prozess zu lebenslanger Haft verurteilt wird der 23-jährige Türke Ali Agca. Er ist, wie sich herausstellt, Mitglied der Terrororganisation „Graue Wölfe“ und professioneller Killer: Zwei Jahre zuvor hatte er einen linksgerichteten türkischen Journalisten erschossen.

Die Richter in Rom befinden, Agcas Attentat auf den Papst könne in seiner Perfektion nicht von einem Menschen allein vorbereitet worden sein. Auch finden sich drei Kugeln auf dem Petersplatz; aus Agcas Waffe sind aber nur zwei abgefeuert worden. Die Suche nach den Hintermännern indes bleibt erfolglos. Agca selbst rühmte sich noch im vergangenen Jahr, er habe „fünfzig falsche Versionen“ aufgetischt, die richtige stehe noch aus. Einmal erzählte er, er habe auf eigene Faust den „führenden aller Kreuzritter“beseitigen wollen. Dann benannte er den kommunistischen bulgarischen Geheimdienst als Auftraggeber. Das schien plausibel: Der Ostblock könnte durchaus großes Interesse daran gehabt haben, den „gefährlichen“ polnischen Papst auszuschalten, und Bulgarien könnte Handlanger für den sowjetischen Geheimdienst KGB gewesen sein. Möglich aber unbewiesen.

In einer anderen Phase seiner Haft brachte Agca die CIA ins Spiel. Ein andermal deutete er an, hohe vatikanische Kardinäle hätten ihn angestiftet; dann sah er sich als Werkzeug einer höheren Vorsehung – und traf sich damit mit seinem Opfer: Da der Anschlag genau am Erscheinungstag der Muttergottes von Fatima erfolgte und scheiterte, interpretierte der innige Marienverehrer Johannes Paul II. die Tat als Teil des fundamentalen Kampfs des Bösen oder des Teufels gegen das Gute in der Welt. „Agca war ein professioneller Auftragskiller“, schreibt der Papst in seinem letzten Buch: „Er wusste, wie man schießt; er schoss zweifellos, um (tödlich) zu treffen. Nur war es, als hätte jemand, ein anderer, diese Kugel umgeleitet.“

Im Dezember 1983 besuchte Johannes Paul II. seinen solcherart verhinderten Mörder im römischen Gefängnis Rebibbia. Ob ihm Agca beim vertraulichen Gespräch in der Zelle etwas über die Hintergründe verraten hat, ob Agca diese Hintergründe überhaupt kannte, das ist bis heute offen.

Im Jahr darauf brachte der Papst, zum Dank für seine Errettung, eine von Agcas Kugeln in den portugiesischen Marienwallfahrtsort Fatima; dort wurde sie in die Krone der Muttergottes-Statue eingearbeitet. Und als Italiens Staatspräsident im Jahr 2000 dazu neigte, Agcas viertes Begnadigungsgesuch zu akzeptieren, stimmte insgeheim auch der Papst zu: Man feierte das große Heilige Jahr, und vergeben hatte Johannes Paul II. „meinem Bruder“ schon mehrfach; mehrfach auch hatte er die Mutter und einige Angehörige Agcas empfangen.

So kam Agca im Juni 2000 nach neunzehn Jahren italienischem Gefängnis frei – wurde aber nach seiner Abschiebung in die Türkei sofort wieder verhaftet, diesmal für einen früheren Bankraub und dem Mord an jenem Journalisten. Für das zweite Delikt hatte man ihn ursprünglich zum Tode verurteilt; die Strafe wurde in Haft umgewandelt. Dass Ali Agca jetzt vorzeitig freigelassen wird, verdankt er einem Gericht in Istanbul, das seine Haft in Italien ebenso berücksichtigt hat wie seine „gute Führung“ im türkischen Gefängnis.

Der römischen Zeitung „La Repubblica“ sagte Agca angeblich am Telefon, für sein weiteres Leben habe er „noch keine Pläne“; er wolle „die Freiheit genießen“. Neugierig indes warten viele darauf, ob Agca jetzt die von ihm angekündigte „wahre Version“ der Verschwörung gegen den Papst liefert.

Ferdinando Imposimato, ein römischer Ermittlungsrichter von damals, meint, Agca dürfe gar nicht auspacken. Denn wenn er die wahren Drahtzieher preisgebe, sei sein eigenes Leben in akuter Gefahr.

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