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Haker

© privat

Westreise: Eine Wechselgeschichte

Eine Schwerinerin erzählt, wie sie 1967 mit fremdem Pass gen Westen reiste und wieder zurückkehrte.

Im Sommer 1967 kam Gerlinde Haker mit ihrem Mann Horst pünktlich aus dem Urlaub in der Tschechoslowakei in ihre Heimatstadt Schwerin zurück. Jedoch erst nach dem Mauerfall im November 1989 konnten sie ihren Freunden und Nachbarn erzählen, wo sie wirklich gewesen waren. Sie hatten mit Schwägerin Elfriede und Schwager Dieter aus dem Westen die Pässe getauscht und waren 14 Tage lang durch die Bundesrepublik und Österreich gereist.

Zwei Tage, nachdem Gerlinde, Elfriede und Dieter Haker diese schier unglaublich anmutende Geschichte im „Nordmagazin“ des NDR-Fernsehens erzählt haben, sitzt Gerlinde Haker in einem Schweriner Café und erzählt ruhig: „So war das halt.“ Nur leicht verschmitzt fügt die Mitarbeiterin der evangelischen Domgemeinde hinzu, sie habe den Kommunisten ein Schnippchen geschlagen, weil sie nicht bis zur Rente auf eine West-Reise warten wollte. Sie wollte keine Heldin sein, niemandes Vorbild, niemanden vorführen. „Ich habe es nur für mich getan.“ Genossen habe sie die Reise, besonders die frischen Brötchen und den Camembert. Im Westen bleiben wollte Gerlinde auch nicht. Dabei hatten die Hakers mit dem SED-Staat wahrlich nichts am Hut: „Aber warum sollten wir gehen? ,Sollen doch die Kommunisten gehen’, war unser Motto.“ Erzählen durfte Gerlinde Haker in Schwerin niemandem von ihrer Westreise. So blieb ihre Extratour „meine stille Freude“. Auch nach dem Mauerfall erzählte sie die Geschichte nur wenigen Freunden, wenn es sich ergab. Der 64-Jährigen fehlt der Hang zum Prahlen oder zum Triumphieren. Horsts Bruder Dieter und dessen Frau Elfriede kamen im Sommer 1967 aus Wischhafen in Schleswig-Holstein nach Prag, erzählt Gerlinde Haker. Sie stiegen in den Wartburg der Schweriner, während diese den schwarzen VW-Käfer übernahmen und sich mit einer Handvoll geschenkter D-Mark auf den Weg gen Westen machten. In Hamburg überraschten sie Verwandte von Horst. Die staunten, hielten aber dicht.

Über Bremen, die Heimatstadt von Gerlindes Eltern, ging es weiter den Rhein entlang, dann nach Frankfurt, München und Salzburg. Bei Linz kehrten sie ebenso unbehelligt, wie sie ausgereist waren, in den Ostblock zurück.

Gerlinde und Elfriede sind zwar gleich groß und gleich alt, aber sonst durchaus nicht zu verwechseln. Dennoch durften die Hakers ungehindert ausreisen. „Vielleicht hat der Grenzposten damals seinen Augen nicht getraut“, sagt Gerlinde Haker. Vielleicht wollte er den Unterschied zwischen Elfriedes schwarz-weißem Passfoto und der echten Gerlinde nicht wahrhaben. „Zweifelsfrei hielt er einen echten bundesdeutschen Pass in der Hand. Dass die Frau dazu die falsche war, konnte er nicht ahnen.“ Blauäugig, so beteuert Gerlinde Haker, sei sie nicht gewesen. „Wenn wir erwischt worden wären, hätten wir die Wahrheit gesagt: Wir wollten nach zwei Wochen zurückkommen.“ Nicht nur, weil ihre Schwägerin und ihr Schwager in der Tschechoslowakei waren. „Die hatten es auch nicht gerade leicht. Sie mussten die Ostdeutschen im Wanderurlaub spielen und durften nicht auffallen.“

1975 tauschte Gerlinde ein zweites Mal mit Elfriede den Pass und besuchte in Begleitung ihres Schwagers Dieter Verwandte und Freunde in Hamburg, Stade und Ratzeburg. Diesmal quengelte ihr 15 Monate alter Hartmut im Auto auf ihrem Arm, als ihr Schwager in Selmsdorf die Grenze passieren wollte. Ihre Schwägerin war mit ihrem gleich alten Söhnchen am Tag zuvor nach Schwerin gekommen. Der Grenzer forderte, Gerlinde möge ihr Ohr frei machen – und ließ sie passieren. Hartmut hat von dem Abenteuer erst am 9. November 1989 erfahren. „Da standen wir am Grenzkontrollpunkt Selmsdorf in der Schlange – diesmal mit den eigenen Pässen.“

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