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Gigantische Wellen brechen über die Santander vorgelagerte Mouro-Insel hinweg.

© dpa

Wetter und Klimakatastrophe: Große Teile Europas unter Wasser

Extremer Regen hat fast ganz Europa unter Wasser gesetzt. Nur Deutschland bleibt verschont. Angesichts fortgesetzter Wetterextreme erwägt England jetzt, Teile des Landes ganz der Natur zu überlassen.

Prinz Charles zog sich am Dienstag Gummistiefel und Schwimmweste an und ließ sich per Boot zu einem Solidaritätsbesuch nach Muchelney in Somerset schippern. Seit sechs Wochen ist das Dörfchen in den „Somerset Levels“, bekannt durch die Reste einer mittelalterlichen Abtei, durch Flutwasser von der Umwelt abgeschnitten – Symbol für eine stille Umweltkatastrophe. Lebensmittel und Post werden mit Boot und dem Unimog der Feuerwehr ins Dorf gebracht. Zuvor sprach Charles in Stoke St. Gregory mit den von der Jahrhundertflut betroffenen Bürgern und Honorationen. „Gut, dass er kommt. Nett, wenn sich einmal jemand um uns kümmert“, sagte Aubrey Mansfield bittersüß der BBC. Heather Venn aus dem Ort sprach von einer „Katastrophe“. „Für die Menschen ist es grässlich. Die Klärgruben funktionieren nicht. Es ist unvorstellbar“.

Riesenwellen brechen über die Atlantikküste

Tagelange sintflutartige Regenfälle, Stürme, Schneemassen und haushohe Wellen – fast ganz Europa wird in diesen Tagen von extremen Wetterverhältnissen heimgesucht. Italien, Slowenien, Spanien, Frankreich, England, Osteuropa, – eigentlich alle Länder außer Deutschland – sind massiv betroffen. Grund ist ein Mittelmeertief, das ganz Italien unter Wasser setzt und in der Folge auch die anderen Länder.

Großbritannien ist ein Sonderfall, seit zwei Monaten regnet es dort. Wochenlang fühlten sich die Menschen in dem riesigen Überschwemmungsgebiet im Stich gelassen. Als die Regierung vergangene Woche die Armee schickte, brachte sie Amphibienfahrzeuge mit, aber ausrichten konnte auch sie nicht viel. Gegen die Zerstörungkraft von Wasser, das überall eindringt und alles aufweicht, zuletzt auch die Moral der Menschen, nützen Sandsäcke nichts mehr.

Land unter. Große Teile Englands stehen unter Wasser.
Land unter. Große Teile Englands stehen unter Wasser.

© dpa

Es begann vor Weihnachten. Am 5. Dezember peitschten Stürme und Orkane die Küsten von Suffolk, haushohe Brecher donnerten an die Küsten von Wales und Devon. Ein paar Neugierige, die sich zu weit vorwagten, um Fotos zu machen, wurden ins Meer gespült. Aber die wahre Katastrophe ist der Dauerregen, der seither über England niedergeht. Überall heißt es „Land unter“. Im Städtchen Bude wird in der High Street gesurft. In Portreath in Cornwall wurden einer Familie Robben in den Vorgarten gespült.

Niemand kann sich an solche Dauerregen erinnern. Es war der nasseste Januar seit 1910, als Aufzeichnungen begannen. Auch gestern gab es landesweit 44 akute Flutwarnungen, bei denen Häuser geräumt werden müssen. In 166 Orten drohen Überschwemmungen. „Es gibt keine Anzeichen, dass sich das Wettermuster in den nächsten Wochen ändert“, meldete das Wetteramt.

Die Natur lässt sich nicht mehr länger bändigen

„Wer jetzt noch behauptet, das habe nichts mit Klimawandel zu tun, ist wie ein kopfloses Huhn“, sagte Prinz Charles. Eine Regierungsstudie identifizierte 2012 – damals nassestes Jahr der Wettergeschichte – zunehmende Überschwemmungen als wahrscheinlichste Folge des Klimawandels. Wärmere Temperaturen führen zu mehr Luftfeuchtigkeit und mehr Energie in den Wettersystemen. „Wir dachten, das würde sich etwa 2030 bemerkbar machen. Aber alles geschieht viel schneller“, beobachtet Flutexperte Colin Thorne von der Uni Nottingham. Ihm zufolge gibt es nur eine vernünftige Reaktion: Rückzug. „Es hat keinen Sinn, zu verteidigen, was nicht zu verteidigen ist.“ Das Umweltamt überlegt, ob Deiche, diein Norfolk und Suffolk brachen, überhaupt repariert werden sollen.

Die Cley Marshes in Norfolk, seit 1923 Vogelschutzgebiet für Süßwasser- Flora und -Fauna, sind von Salzwasser überschwemmt und müssen möglicherweise aufgegeben werden. Heftiger Streit ist um die „Levels“ entbrannt, 650 Quadratkilometer Feuchtgebiete, die sich von Glastonbury zum Meer erstrecken. Seit über 1000 Jahren leben die Menschen dort mit Überschwemmungen – Mönche der Abteien Glastonbury oder Muchelney leiteten den Bau von Kanälen und Pumpwerken, die halfen, das Land trocken zu halten. Anwohner und Bauern behaupten, dass man die Kanäle verschlicken lasse. Andere halten den Versuch, der Fluten mit noch mehr Kanälen und höheren Betonmauern Herr zu werden, für zum Scheitern verurteilt. Sie fordern „Zurück zur Natur“, mehr natürliche Auffanggebiete – auch, dass Bauern ihre Felder öfter und länger als „Staugebiete“ zur Verfügung stellen. „Wir müssen überlegen, wozu unsere Mittel reichen. Ob wir Städte oder das flache Land vor Fluten schützen“, überlegte der Chef der Umweltagentur, Ex-Labourminister Chris Smith. Damit steht die Frage im Raum, ob Dörfer wie Muchelney nicht ganz der Natur überlassen werden sollen.

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