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Panorama: „Wie in einem Horrorfilm“

Portugal wird von einem Kinderschänderskandal erschüttert: Missbrauchten Politiker taubstumme Waisen?

Der gigantische Kinderschänderskandal in Portugals Prominentenszene hat nun auch Staatspräsident Jorge Sampaio zu einer reaktion herausgefordert. In anonymen Briefen, welche die Ermittler in ihren Händen haben, werden der Staatschef und andere Spitzenpolitiker beschuldigt, in die Affäre des jahrelangen und systematischen Kindesmissbrauchs verwickelt zu sein. Sampaio sah sich nun zu einer öffentlichen Stellungnahme genötigt, die live via Radio und Fernsehen übertragen wurde, in der er mit „Empörung" die „Beleidigungen" gegen seine Person zurückwies.

Der Generalstaatsanwalt erhob derweil formell Anklage gegen mehrere Prominente, denen vorgeworfen wird, sich systematisch an Kindern aus einem Waisenhaus in der Hauptstadt Lissabon vergangen zu haben. Zu den zehn offiziell Beschuldigten gehören die bisherige Nummer zwei der oppositionellen Sozialisten, Paulo Pedro, der Ex-Botschafter Jorge Ritto, der populäre Fernsehmoderator Carlos Cruz sowie der bekannte Komiker Herman Jose. Alle beteuern ihre Unschuld, doch glaubt der Untersuchungsrichter, gegen sie ausreichendes Belastungsmaterial zu besitzen. Doch dies dürfte erst der Anfang des Skandals sein. Angesichts des Stillschweigens der Ermittler sprießen derweil die Spekulationen, in deren Rahmen auch die Namen von Sampaio, Oppositionschef Ferro Rodrigues, des früheren Außenministers Jaime Gama, von EU-Kommissar Antonio Vitorino, Ministern der heutigen konservativen Regierung und von prominenten Fußballspielern auftauchen. Anonyme Anwürfe, die Generalstaatsanwalt Jose Souto Moura als „unbedeutend" herunterspielte.

Das Vertrauen der schockierten Portugiesen in derlei offizielle Erklärungen ist gering. Denn der organisierte Kindesmissbrauch im Waisenhaus „Casa Pia", der vor rund 30 Jahren begann, war den Behörden seit langer Zeit bekannt. Formelle Strafanzeigen und Briefe an die diversen Regierungen der Vergangenheit blieben ohne Folgen, was als Indiz dafür gewertet wird, dass in diesem Schmierenstück Täter in hohen Ämtern in Justiz und Politik mitmischten. Erst die Veröffentlichung von Aussagen missbrauchter Waisenkinder in einer Zeitschrift zwang die Behörden vor einem guten Jahr zum Handeln. Inzwischen liegen 600 Aussagen vor, die Ermittlungen füllen 13000 Seiten. Wenigstens 100 taubstumme Kinder befinden sich unter den Opfern. Das Land durchlebt angesichts der Tragweite des Skandals eine der schlimmsten Krisen seiner Geschichte, deren Ende absehbar ist. Die neue Direktorin des Waisenhauses, Catalina Pestana, spricht von Ereignissen „wie in einem Horrorfilm".

Ralph Schulze[Lissabon]

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