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Wikileaks: Politthriller um Julian Assange

Der vor seiner Auslieferung nach Schweden stehende Wikileaks-Gründer Julian Assange hat in der ecuadorianischen Botschaft in London politisches Asyl beantragt. Was steckt hinter diesem Schritt?

Der Auslieferungskampf um Julian Assange nimmt mit seiner Flucht in die ecuadorianische Botschaft eine dramatische Wendung. Am Mittwochnachmittag standen vor der Botschaft in London nicht nur eine Handvoll Anhänger des Gründers der Internet-Plattform „Wikileaks“ mit „Befreit Assange“-Plakaten, sondern auch Polizisten, um ihn zu verhaften, sollte er die Botschaft verlassen. Scotland Yard bestätigte, Assange habe gegen die Bedingungen verstoßen hat, unter denen er nach seiner Verhaftung im Dezember 2010 auf freien Fuß gelassen wurde. Auch die Kautionssumme von 240 000 Pfund (297 600 Euro), die prominente Anhänger Assanges hinterlegten, dürfte Assange mit dem für alle überraschenden Hakenschlag verwirkt haben. Anzeichen, dass Ecuador den Fall Assange zur diplomatischen Staatsaffäre eskalieren und ihn im Diplomatengepäck außer Landes schmuggeln könnte, gab es am Mittwoch nicht.

Assanges Auslieferung nach Schweden auf Grund eines europäischen Haftbefehls steht unmittelbar bevor. Schweden will Assange wegen eines angeblichen Sexualdelikts verhören, das in keinem Zusammenhang mit seiner Veröffentlichung von Zehntausenden geheimen amerikanischen Diplomatendepeschen steht. Scharen von Rechtsanwälten hatten in einem 18-monatigen Tauziehen alle Rechtsmittel erschöpft. Wohl deshalb begab sich Assange am Dienstagabend, anstatt sich pflichtgemäß um 22 Uhr bei der Polizei zu melden, in das Botschaftsgebäude um die Ecke des Edelkaufhauses Harrods. „Ich bestätige, dass ich in Ecuadors Botschaft angekommen bin und diplomatischen Schutz und politisches Asyl beantrage“, teilte er mit. Er sei dankbar, dass Ecuador den Antrag prüfe. Assange deutete auch an, dass sein Heimatland Australien einen Asylantrag abgelehnt habe.

In Stellungnahmen des Außenministeriums in Ecuadors Hauptstadt Quito wurde dann präzisiert. Die Entscheidung, sich mit dem Antrag zu befassen, bedeute nicht, dass Ecuador in die „gerichtlichen Verfahren Großbritanniens oder Schwedens eingreifen“ wolle. Um den Antrag in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht zu prüfen, werde man sich mit den Regierungen Großbritannien, Schwedens und der USA in Verbindung setzen. Das deutet an, dass Ecuador eine Vermittlerrolle übernehmen könnte.

Assange befürchtet, die Auslieferung nach Schweden und die ihm vorgeworfenen Sexualdelikte seien nur ein Vorwand und ein Zwischenstopp vor seiner Auslieferung an die USA, die ihn wegen Hochverrats anklagen und möglicherweise sogar zum Tode verurteilen könnten. Assanges Anhänger verbreiten hartnäckig, eine geheime „Grand Jury“ in Virginia halte einen Haftbefehl gegen ihn bereit und werde die Auslieferung beantragen, sobald Assange auf schwedischem Boden sei. Es gibt für diese Darstellung aber keine Beweise.

Tatsache ist, dass die Quelle der Geheimdepeschen, der US-Soldat Bradley Manning, auf seinen Hochverratsprozess wartet. Assange hat in den Augen der meisten Amerikaner Hochverrat begangen, als er Zehntausende von amerikanischen Geheimdokumenten aus dem kodierten Botschaftsnetzwerk der USA auf Wikileaks veröffentlichte.

Ecuador, das rund 14Millionen Einwohner hat und nicht gerade für seine Pressefreiheit bekannt ist, gehört zu den linksgerichteten lateinamerikanischen Ländern mit kritischer Haltung gegenüber den USA. Vor einem Jahr hatte Ecuadors Präsident Rafael Correa in einer Talkshow des russisch finanzierten Senders „Russia Today“ Assange angeboten, nach Ecuador zu kommen und dort einen Lehrauftrag anzunehmen. Allerdings ist das Angebot inzwischen wohl zurückgenommen worden. Überhaupt sind manche, die Assange anfangs bewunderten, inzwischen auf Distanz zu ihm gegangen.

Mit dem neuesten Schritt dürfte sich Assange weitere Sympathien verscherzt haben. „Ich bin so überrascht wie alle“, tweetete Assange-Promi Fan Jemima Khan, die vertrauensvoll 20 000 Pfund in die Solidaritätskasse zahlte und ihr Geld nun verlieren könnte. Auch sein Gönner Vaughan Smith, Leiter des Journalistenvereins „Frontline“, der Assange seit weit über einem Jahr in seinem Landhaus Ellingham Hall gastfreundlich beherbergt, war nicht informiert und fürchtet um den Verlust einer beträchtlichen Summe. „Ich hatte keine Ahnung“, sagt er. Aber er bleibe Assanges Freund. „Wenn jemand in Großbritannien in eine Botschaft geht und um Asyl ersucht, dann müssen wir uns als Gesellschaft Fragen stellen“, sagte Smith.

Matthias Thibaut

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