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Panorama: Wildwest im Zugabteil

Nach Attacken bei der Bahn wollen Verantwortliche in Deutschland nicht über Konsequenzen reden und schweigen lieber

Es ist wie einst im Wilden Westen. Damals mussten die Passagiere in den Postkutschen ständig damit rechnen, überfallen zu werden – von Räubern oder von Indianern. Auch als die Postkutschen durch die viel bequemere Eisenbahn ersetzt worden war, gingen die Überfälle weiter. Zum Teil genossen die Banditen sogar viel Sympathie wie etwa die Brüder Frank und Jesse James, die sich auf Eisenbahnüberfälle spezialisiert hatten. Die Gesellschaft war nämlich auch nicht zimperlich und für ihre teils kriminellen Machenschaften bekannt.

Jetzt kehrt der Wilde Westen auf die Gleise zurück – nach Europa. Kurz vor Jahreswechsel stoppten, wie berichtet, zwölf Unbekannte bei Rostock-Lichtenhagen eine mit Fahrgästen besetzte S-Bahn, indem sie die Türen des Zuges blockierten und damit die Weiterfahrt verhinderten. Aus Sicherheitsgründen kann der Lokführer nur weiterfahren, wenn die Türen geschlossen sind.

Die Täter wollten allerdings nichts von den Fahrgästen. Ihr Ziel war es, den Zug auf einer Länge von 90 Metern zu besprühen. Das Graffito war nach 20 Minuten drei Meter hoch. Als die alarmierte Polizei eintraf, waren die Täter bereits geflüchtet. Die für die Bahn zuständige Bundespolizei wollte hinterher möglichst gar nichts zu dem Vorfall sagen – offiziell aus „ermittlungstaktischen Gründen“; vielleicht aber auch, weil ein solcher „Überfall“ vorher undenkbar erschien und als peinlich empfunden wird.

Ganz hart zur Sache ging es dann am Neujahrsmorgen in Frankreich. Dort terrorisierten zwei Jugendbanden einen Zug und verbreiteten unter den etwa 600 Fahrgästen eineinhalb Stunden lang Angst und Schrecken. Die Passagiere wurden auf der Fahrt von Nizza nach Lyon mit dem Tod bedroht, beraubt und sexuell belästigt.

Die meist angetrunkenen Jugendlichen sollen von der örtlichen Polizei in Nizza zum Bahnhof begleitet worden sein. Drei Bahnpolizisten haben dann nach Agenturangaben den Zug begleitet, in den die Jugendlichen gestiegen waren, seien dann aber auf einem Untergrundbahnhof ausgestiegen. Danach begann der Terror.

Auch danach wollte die Bundespolizei nicht sagen, wie sie Passagiere in Zügen der Bahn AG vor ähnlichen denkbaren Attacken schützen will. Eine Stelle verwies auf die andere, am Ende war das Innenministerium an der Reihe – und schwieg ebenfalls.

In einem ICE der Bahn sind vier bis acht Mitarbeiter an Bord. Eine regelmäßige Begleitung durch die Bundespolizei gebe es nicht; auch nicht in den Zügen, mit denen Wehrpflichtige am Sonntagabend zurück in die Kasernen fahren. Hier kommt es schon seit Jahren immer wieder zu Zwischenfällen, die sich meist auf Pöbeleien beschränken.

Im Fall des Falles informieren die Mitarbeiter telefonisch die Notfallleitstelle der Bahn, die dann die Polizei alarmiert. Diese warte dann am nächstmöglichen Bahnhof auf den Zug, wo der Lokführer auch außerplanmäßig stoppen könne. Und dann beginnt der Einsatz.

Schwierig wird dieses Verfahren vor allem auf der Neubaustrecke zwischen Hannover und Würzburg, wo die Strecke meist im Tunnel liegt und es kaum Unterwegsbahnhöfe gibt. Für Unfälle hat die Bahn hier Rettungszüge stationiert.

Bei Befürchtungen, dass es zu Randale kommen könnte, werde der Polizeischutz „maßvoll und sichtbar“ verstärkt, hieß es nur. Meist stehen die Bundespolizisten dann auf den Bahnhöfen und beobachten dort die Lage. In den Zügen fahren sie meist nur sporadisch mit.

Zum Einsatzkonzept bei der Fußball-Weltmeisterschaft im Sommer war auch nichts zu erfahren. Hier soll die Welt zu Gast bei Freunden sein – im friedlichen Deutschland und nicht im Wilden Westen.

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