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Panorama: Wilhelmshorst: Wolf Biermann klampfte unterm Dach

Dem Mann wurde die Großstadt zu laut und schmutzig. Also mietete er einen Eisenbahnwaggon, ließ ihn mitten im Wald aufstellen und genoss hier den Sommer.

Dem Mann wurde die Großstadt zu laut und schmutzig. Also mietete er einen Eisenbahnwaggon, ließ ihn mitten im Wald aufstellen und genoss hier den Sommer. Seine Begeisterung für die Gegend behielt er nicht für sich, so dass sich ein Berliner Kaufmann eines Tages in seinem Brennabor-Cabrio auf den Weg in die so hoch gelobte Gegend aufmachte. Der witterte gleich das große Geschäft. Er kaufte 100 Hektar, ließ sie parzellieren und pries die Grundstücke in Berlin an. Der Anfang für eine neue Villenkolonie kurz nach der Jahrhundertwende war gemacht. Gründer Wilhelm Mühler fühlte sich hier wie ein "Adler in seinem Horst". Seit 1907 ist die südlich von Potsdam gelegene Gartenstadt unter dem Namen "Wilhelmshorst" auf den Landkarten zu finden.

Was wie eine Legende klingt, soll sich tatsächlich so zugetragen haben. Jedenfalls bekommen auswärtige Besucher die Geschichte immer wieder von Einheimischen zu hören. Wilhelmshorst zieht erstaunlich viele Gäste an. Meist wollen sie zum Peter-Huchel-Haus. Da aber kein einziges Schild den Weg zur Gedenkstätte für diesen herausragenden Dichter der Nachkriegszeit weist, kommen Auswärtige ganz zwangsläufig mit Wilhelmshorstern ins Gespräch. Auch wenn das Straßennetz manchmal wie ein Irrgarten anmutete, haben wir das ockerfarbene Haus doch entdeckt. Eine Gewissheit brachte die Sucherei zudem: Vor allem bei den älteren Einwohnern ist Peter Huchel nicht vergessen, obwohl er schon 1971 seine geliebte Heimat nach jahrelanger Isolation und Überwachung verließ. Im Westen, so gestand er einmal, sei er nie so richtig heimisch geworden.

1903 in Berlin-Lichterfelde geboren und aufgewachsen auf dem Bauernhof seines Großvaters im Wilhelmshorster Nachbarort Langerwisch, zog es ihn nach dem Krieg von Berlin wieder in die Mark. "Er wohnte schon ab 1950 in Wilhelmshorst", erzählt der Berliner Literaturwissenschaftler Professor Hans-Dieter Zimmermann. "Von der 25 000 Mark hohen Prämie für den Nationalpreis dritter Klasse kaufte er sich 1953 schließlich das Haus im Hubertusweg 41." Die Adresse sollte bald nicht nur in Künstlerkreisen, sondern auch im Überwachungsapparat der Staatssicherheit eine wichtige Rolle spielen. Fotos aus Huchels Zeiten zeigen das Haus noch von hohen Nadelbäumen geschützt. Wie jede andere Gedenkstätte wirkt auch diese - mit Hilfe öffentlicher Mittel und Zuschüssen von Stiftungen renoviert - durch die Erinnerung an den einstigen Hausherren. Huchel, "der Dichter der Mark Brandenburg" gab zwar nur fünf schmale Gedichtbände heraus. Doch wer sie liest, spürt die Liebe zu seiner Heimat.

Es ist schon erstaunlich, wie viele bekannte Personen den Weg in die Wilhelmshorster Gasse gefunden hatten. Während der Zeit als Chefredakteur der Zeitschrift "Sinn und Form" von 1949 bis zu seinem erzwungenen Rücktritt 1962 und auch danach war das Haus offensichtlich ein beliebter Treffpunkt von Schriftstellern, Künstlern und Intellektuellen, die in Opposition zur Parteiführung standen. Günter Kunert, Reiner Kunze und Ludvik Kundera gehörten dazu. Auch Heinrich Böll und Max Frisch zählten zu den Besuchern dieses "Orts des stillen Widerstandes". Unterm Dach wohnte - und klampfte bisweilen - Wolf Biermann. Peter Huchel bekannte später, dass er doch sehr unter dem Gitarrenspiel seines Gastes gelitten habe. Heute befindet sich in dem Raum das kleine "Ludvik-Kundera-Institut", das die tschechische Literatur in deutscher Sprache fördert.

Als Huchel 1962 die Leitung von "Sinn und Form" aus der Hand genommen wurde, folgten neun Jahre der ständigen Überwachung. Kurt Hager, oberster SED-Propagandist, sprach abfällig vom "englischen Lord von Wilhelmshorst". 1971 reisten Huchel und seine Frau zunächst nach Rom aus, um wenig später nach Staufen im Breisgau überzusiedeln. Hier starb der Dichter 1981. Seine Witwe Monica überschrieb das Haus dem nach der Wende ins Leben gerufenen Peter-Huchel-Verein.

Gäste der Gedenkstätte sollten keine Scheu haben, während des Besuches nach dem Leiter des Hauses zu fragen. Lutz Seiler, selbst Lyriker, wohnt hier und kann als profunder Kenner der Biografie Huchels zu den ausgestellten Manuskripten, Notizen oder Fotos eine Menge erzählen. Fast jeden Monat organisiert er Lesungen, Podiumsgespräche oder Ausstellungen. Im August ist ein großes Gartenfest zum fünfjährigen Bestehen des Huchel-Hauses geplant.

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