zum Hauptinhalt
Viele Menschen wollen keine Windräder, sie bilden sich Krankheiten ein.

© dpa

Windkraft-Gegner: Infraschall – das Brummen, das keiner hört

Windräder machen krank. Behaupten ihre Gegner. Schädlich ist wahrscheinlich nur die Panikmache. Über die Angst vor gesundheitlichen Folgen der Windkraft.

Berlin - Sie haben Kopfschmerzen und können sich kaum konzentrieren, sie sind reizbar und haben Herzrasen, sie klagen über Schwindel und Übelkeit. Vor allem sind sich einige Nachbarn von Windkraftanlagen sicher, was ihr Leiden verursacht: Der von den Turbinen erzeugte „Infraschall“ – das ist ein Brummton unter 16 Hertz – schädige die Gesundheit.

Keine einzige wissenschaftliche Studie bestätigt das, zumal Menschen ein solches tiefes Brummen nicht hören können. Der Ärger über die Kolosse jenseits des Gartenzauns aber wächst, je störender der Anblick ist, je lauter die Windräder sind und je skeptischer man der Technik gegenübersteht, zeigten Epidemiologen. Diese negative Einstellung könnte zu dem Windrad-Syndrom führen, schreiben nun der Psychologe Keith J. Petrie von der Medizinischen Hochschule in Auckland und seine Kollegen im Fachblatt „Health Psychology“. Grund sei der sogenannte Noceboeffekt.

Nocebo heißt wörtlich „Ich werde schaden“. Es ist das dunkle Gegenstück zum Placeboeffekt. Beides ist in der Medizin allgegenwärtig und beruht auf zwei grundlegenden Mechanismen: Erwartung oder Erfahrung. „Wenn Sie einem Patienten eine falsche Diagnose mitteilen, beobachtet er trotzdem bald die dazu passenden Symptome bei sich“, sagt der Noceboforscher Paul Enck von der Universität Tübingen. Und wer einen Beipackzettel allzu genau liest, spürt bald die Nebenwirkungen. Krebspatienten wird oft schon auf dem Weg zur Chemotherapie übel.

Wie mächtig der Nocebo-Effekt sein kann, erfuhr auch der depressive Derek Adams. Als seine Freundin sich von ihm trennte, schluckte er alle 29 Pillen, die er als Proband in einem Arzneimitteltest bekommen hatte. Im Krankenhaus brach er bewusstlos zusammen. Die Ärzte hatten Mühe, ihn zu stabilisieren. Wie die amerikanischen Psychiater um Roy R. Reeves von der University of Mississippi im Fachjournal „General Hospital Psychiatry“ berichteten, verschwanden die Symptome erst dann schlagartig, als Adams mitgeteilt wurde, dass er ein wirkstofffreies Placebo-Präparat genommen hatte.

Jede Spritze sei nicht nur ein Medikament, sagt der Placeboforscher Fabrizio Benedetti von der Universität Turin. „Der Arzt verabreicht zusätzlich Wörter. Sie können extrem wirksam sein und die Hirnchemie verändern.“ Im Krankenhaus etwa sage alles dem Patienten: Bald geht es mir besser. Das Wort sei jedoch ein zweischneidiges Schwert, sagt Enck. Unbedachte Äußerungen können Angst machen und Noceboeffekte auslösen. Ähnliches vermuteten Petrie und seine Kollegen hinter dem Windrad-Syndrom. Sie ersannen ein Experiment mit 54 Teilnehmern. Eine Gruppe sah eine Dokumentation über die schädlichen Auswirkungen von Infraschall auf die Gesundheit. Einer anderen Gruppe erklärten Forscher, dass Infraschall unbedenklich sei und uns im Alltag ständig begleitet – egal ob Autoverkehr an uns vorbeirauscht, ob Donner grollt oder das Herz schlägt, Wellen ans Ufer schlagen oder Tiere miteinander kommunizieren. Anschließend wurden beide Gruppen in einen Raum geführt, wo sie angeblich mit den tiefen Tönen beschallt wurden.

Der Test bestätigte die Macht der Wörter. Wer Angst vor dem Infraschall hatte, fühlte sich in dem Raum körperlich unwohl, egal ob wirklich etwas vom Band kam oder ob es völlig still war. Wer keine Angst hatte, dem konnte auch der Infraschall nichts anhaben. Sollte sich der Befund bestätigen, könnte man das Windrad-Syndrom einfach verhindern – durch weniger Panikmache. Jana Schlütter

Zur Startseite