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Panorama: „Wir haben keinen Hinweis auf die Opfer“

An der Einsturzstelle des Kölner Archivs macht sich Resignation breit – der Trümmerberg ist dicht, Hohlräume sind unwahrscheinlich

Die Rettungsspürhunde schlagen schon lange nicht mehr an. Sie sind ausgebildet, lebende Opfer zu orten. Dennoch suchen 220 Rettungskräfte in Köln weiter nach den beiden vermissten Männern, die unter den Trümmern des eingestürzten Stadtarchivs liegen sollen. 150 Tonnen Schutt seien bis zum Samstagnachmittag an der Unglücksstelle abgetragen worden, berichtet Feuerwehrchef Stephan Neuhoff. Dort, wo der 17-jährige Bäckerazubi Kevin und der 24-jährige Designstudent Kahlil vermutet werden, lägen jedoch noch immer enorme Trümmermengen. Und die sind so dicht, dass kaum Hoffnung besteht, Hohlräume könnten zum Schutzraum für die jungen Männer geworden sein. Spezialisten aus den USA, die mit Sonden nach den Vermissten suchen wollten, konnten wegen der Schuttdichte gar nicht erst eingesetzt werden. Zwar hatten Leichenspürhunde an einigen Stellen mehrfach angeschlagen. Bis in vier Meter Tiefe wurde gegraben. Gefunden worden sei aber nichts, berichtet der Feuerwehrchef am Samstag. „Im Moment haben wir keinen Hinweis mehr, wo sich die Personen aufhalten könnten“, sagt er resigniert.

Für die Angehörigen der Vermissten ist das Warten kaum noch zu ertragen. Ewig dauert es aus ihrer Sicht, bis am Freitagabend um kurz nach 20 Uhr mit der Suche überhaupt begonnen wird. Schon zwanzig Minuten später heißt es: „Bagger Stopp!“ Ein Mauerteil von einem angrenzenden Gebäude bewegt sich bedrohlich, die Rettungsaktion wird vorerst ausgesetzt. Um 21 Uhr 30 nehmen die Einsatzkräfte ihre Arbeit wieder auf. „Wir graben mit bloßen Händen“, sagt ein Feuerwehrsprecher. Doch Khalil und Kevin bleiben verschwunden.

Es ist kalt an diesem Abend an der Kölner Severinstraße. Die Angehörigen und Freunde von Kahlil sitzen in einer Teestube im abgesperrten Bereich und haben direkten Blick auf die Unglücksstelle. Zwei Stunden standen die 15 Männer und Frauen direkt am Trümmerfeld und schauten den Feuerwehrleuten bei der Suche nach dem 24-jährigen Designstudenten zu. Jetzt ist den verzweifelten Angehörigen kalt, und sie wärmen sich mit heißen Getränken. Hunger hat niemand. Als ein ZDF-Reporter in der Nachtsendung verkündet: „Es gibt weiter kein Lebenszeichen“, schlagen die meisten die Hände vor das Gesicht und schütteln die Köpfe, danach verlassen sie die Teestube. Khalil war krankgeschrieben und wollte sich in seiner Wohnung auskurieren. Kurz vor dem Unglück wurde er noch in einer Apotheke auf der Severinstraße gesehen – dann stürzte sein Wohnhaus mit der Nummer 230 ein.

Enge Freunde oder Angehörige des zweiten Vermissten, des Bäckerazubis Kevin, bleiben dem Unglücksort fern. Der Junge hatte bis vor wenigen Monaten in einer Jugendeinrichtung gelebt. Zu seinem Betreuer hatte Kevin einen guten Kontakt. In einem Artikel über Bäckereinachwuchs hatte der 17-Jährige einer Reporterin der „Kölnischen Rundschau“ gesagt: „Am liebsten mag ich Schwarzbrot.“ Und ergänzte: „Ich liebe es, viel zu arbeiten.“ Kevin hat sich am Dienstag gegen 14 Uhr nach seiner Nachtschicht zum Schlafen gelegt. Möglicherweise hat er gar nicht bemerkt, dass das Haus zusammensackte.

Bei der Bergung der Vermissten steht die Feuerwehr vor immer neuen Hindernissen. Wegen instabiler Verhältnisse muss die Suche immer wieder unterbrochen werden. Manche Einsatzkräfte klammern sich an die Hoffnung, dass es unter dem riesigen Haufen von Geröll und Schutt doch noch Hohlräume geben könnte. „Dann gibt es noch eine Überlebenschance“, betont der leitende Notarzt Alex Lechtleuthner. Aber so richtig glaubt niemand mehr an ein Wunder in der Domstadt. Feuerwehrchef Stephan Neuhoff kann noch immer nicht glauben, was in der Kölner Südstadt passiert ist: „So etwas konnte ich mir in Köln nicht vorstellen“, sagt der Branddirektor, der in der Vergangenheit häufig in dem Historischen Archiv war, um dort die Geschichte der Kölner Wehr aufzuarbeiten.

Daniel Taab[Köln]

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