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Panorama: "Wir nehmen alles, was dem Auge weh tut"

MÜNCHEN ."Wir nehmen alles, was dem Auge weh tut", sagt Peter Gersina.

MÜNCHEN ."Wir nehmen alles, was dem Auge weh tut", sagt Peter Gersina.Die Bandbreite der "Ersten internationalen Sammlung für schlechte Kunst", die der Münchner Medienkünstler zusammmen mit dem Hamburger Designer Florian Borkenhagen aufbaut, kennt keine Grenzen.Es geht beileibe nicht nur um den röhrenden Hirsch im Gebirge, den Tante Olga über ihrem Plüschsofa zu Lebzeiten hoch geschätzt hat, den nun aber die Erben entsorgt sehen wollen.Schlechte Kunst ist für Gersina alles, was ihre Besitzer dafür halten.Ja nicht nur ihre Besitzer.Selbst renommierte Künstler kriegen hin und wieder beim Blick auf das eine oder andere eigene Werk ihr Augenweh."Schließlich hat jeder Künstler auch einmal einen schlechten Tag", sagt Gersina.Wer auch immer ein Stück Kunst, das er als Beleidigung seines guten Geschmacks empfindet, loswerden möchte - Gersina und Borkenhagen helfen.

"First Aid for Bad Art", nennt sich ihr Projekt.Die schlechte Kunst soll in ihrer großangelegten Sammlung sorgsam gepflegt werden und zu ihrem Recht kommen.Denn "schlechte Kunst ist hochinteressant", meint Gersina."Hunderttausende beschäftigten sich mit guter Kunst, aber schlechte hat auch ihre Berechtigung.Wir haben nichts gegen gute Kunst, aber uns geht es um eine Erweiterung des Kunstbegriffs", beschreibt er sein Hauptanliegen: Die Diskussion über Kunst wieder stärker in Gang zu bringen.Es soll eine kontroverse Diskussion über Werte und Inhalte sein.

Was schlechte Kunst ist, mag Gersina selbst nicht entscheiden.Das Urteil fällen diejenigen, die ihre als kitischig oder mißlungen empfundenen Kunstwerke abliefern.Gersina hält die schlechte Kunst für weitaus anregender als die gute, die das Vernissagen-Publikum (das sich selbst am schönsten findet) oft kaum richtig wahrnimmt."Bei schlechter Kunst wird mit einem Glas Prosecco in der Hand nicht über Golf, sondern über die Bilder diskutiert", meint Gersina.

Zunächst kamen Gersina und Borkenhagen auf den Gedanken, bei großangelegten Kunstausstellungen mit einem Leichenwagen und schwarzen Müllsäcken vor die Museen zu fahren.Doch fliegende Wertstoffsammler zur Entsorgung von künstlerischem Sondermüll und möglicherweise auch von dessen Besitzern zu spielen, erschien ihnen schließlich zu makaber.Die "Erste Hilfe" sollte sich allerdings durchaus auch auf die von Kunst gebeutelten Ausstellungsbesucher, die "art victims", erstrecken.So zog ihr Team 1997, durch Ärzte und Psychiater verstärkt und mit weißen Kitteln kostümiert, vor die documenta in Kassel, um das Publikum "gesprächstherapeutisch" zu behandeln.Kunstopfer wurden aufgefordert, sich nicht von der herrschenden Meinung abhängig zu machen, sondern frei zu entscheiden, was ihnen gefällt.Beratende Gespräche führte das Team danach auch mit den Besuchern anderer bedeutender Ausstellungen.

"Jetzt hat Phase Zwei begonnen", sagt Gersina.Die Provokation, eine Art Guildo-Horn-Kult auf dem Feld der Bildenden Kunst, erreichte ihren Höhepunkt, als im Juli im Münchner Volkstheater Auszüge aus der inzwischen 350 Werke umfassenden Kollektion mit einem schrillen Rahmenprogramm gezeigt und zehn per Los ausgewählte Stifter oder Leihgeber an der Endausscheidung um den Preis für das schlechtes Kunstwerk teilnehmen durften.Der von einer Zigarettenmarke, die auch das gesamte Projekt sponsert, gestiftete "Goldene Hirsch" ging schließlich mit knappem Vorsprung - entscheidend war die Lautstärke des Beifalls - an einen Grafiker, der drei Eierbecher als Verkehrsampel untereiandergereiht hatte.Er schlug damit das Bild eines Künstlers, der sich bemüßigt fühlte, extra für die Veranstaltung mit zwei allerliebsten Hündchen richtig schönen Kitsch zu malen.

Mit eigens für die Sammlung und die Prämierung gefertigten Werken überschreitet das Projekt allerdings seine ursprüngliche Sinngebung.Eigentlich sind und waren die Besitzer von Werken, die sie für schlechte Kunst halten, aufgefordert, diese der Sammlung als Schenkung oder Leihgabe zukommen zu lassen und schriftlich kurz zu begründen, warum sie ihr Kunststück als unerträglich empfinden.Auf diesem Weg ist auch ein Hundertwasser-Bild in die Sammlung gelangt.Wenn die Sammlung eines Tages 3000 Werke umfaßt, soll sie als Wanderausstellung auf Tournee gehen.Gersina hofft, das es schon im nächsten Jahr soweit sein wird.In der Endphase ist ein "Museum für schlechte Kunst" geplant.

ROLF LINKENHEIL

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