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Panorama: Wo Kellner Gino sein Trinkgeld selbst bestimmte

Helmut Dietl brütete hier einst den „Monaco Franze“ aus – jetzt weicht das Schwabinger Kult-Café „Venezia“ einer Pizza-Kette

Zum Abschied drehte Gianpiero Pagano noch einmal voll auf. „Marmor, Stein und Eisen bricht, aber u-hun-sre Lie-hi-be nicht“, röhrte der Süditaliener ins Mikrophon. Ein paar harte Männer zerdrückten ein Tränchen. Aus für das Kult-Cafe „Venezia“ an der Leopoldstraße. Mit seiner Schnulzennummer setzte der 29-jährige Geschäftsführer einen Schlusspunkt unter ein Kapitel Schwabinger Geschichte. Im Februar eröffnet hier nun ein „Donatus“ – so nennt man beim Burger King McDonalds die Filialen der neuen Pizza-Kette.

Alles wird getilgt sein, was an das alte Hangout der Schwabinger (Lebens-)Künstler erinnert. Weg die alte schwarz-rote Deko aus den Fünfzigern, verschrottet die naive Schreibschrift an der schmucklosen Fassade. Dahin der schwer beschreibbare, allenfalls erfühlbare Charme einer „No-Location“.

Eigentlich stimmte ja nichts in diesem alten, etwas abgerissenen Laden. Raunzige Gäste, mürrische Kellner, Trouble mit dem Kleingeld. Gino war sicher der einzige Kellner der Welt, der sich sein Trinkgeld selbst bestimmte.

„Aber das war schon okay so“, sagt Drehbuchautor Daniel Wolf (49), der sie alle erlebt hat: den italienischen Weltenbummler, der in Indien überwinterte, den Hautarzt mit Pferdeschwänzchen, den Makler mit der zu großen Brille. „Und all die Mädels, wow. Wir sassen im Sommer stundenlang draußen und vergaben Punkte.“ Solch ein Ort bannte die Verehrer der Frauen. Der Regisseur Helmut Dietl sass hier, tüftelte einmal sogar mit einem weithin unbekannten Kleindarsteller einen ganz großen Hit aus: „Monaco Franze“. Der Mime war Helmut Fischer.

Noch am Tag als die Nachricht von der Schließung die Runde machte, trank Doris Dörrie hier ihren gewohnten Cappuccino. Nee, hat er nicht gesehen, sagt Gianpiero, der Drafi-Deutscher-Fan. Aber dort am Tresen hat er Michele Placido bedient, den Star aus „Pizza Connection“ und „Allein gegen die Mafia“. „Und dann war mal die Arabella wie-heißt-sie-gleich da – ja, richtig, die Kiesbauer von PRO 7.“

Man sah sich – und sah aneinander vorbei. Genoss im Schutz der Zeitung das Leben rundum und draußen auf dem Boulevard. Cool bleiben, Mann! Und dann plötzlich dieser Filmriss. „Es ist wie im Kino“, sagt Daniel Wolf, jetzt heimatlos. „Da berührt dich ein Film so sehr, dass du kurz vorm Losheulen bist. Du denkst: Junge es ist doch nur ein Film. So ist es mit dem „Venezia“. Es ist doch nur ein Cafe! Trotzdem: Es ist zum Heulen.“

Gerhard Merk[München]

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